Was mit einer katholischen Wallfahrt nach Polen begann, entwickelte sich irgendwann von der Leidenschaft zur Berufung: Wo immer in Deutschland und anderswo Orgeln aus geschlossenen Kirchen entsorgt oder einem Neubau weichen müssen, ist Andreas Ladach zur Stelle. In Wuppertal betreibt der 52-jährige Hobbyorganist und studierte Elektroingenieur einen gut gehenden Handel mit gebrauchten Instrumenten und hat sein Lager gleich in einer endwidmeten Kirche aufgeschlagen.
Herr Ladach, was fasziniert Sie so an Orgeln?
Andreas Ladach: Jede ist anders, ein Unikat. Ihre unterschiedlichen Bauformen und Register machen die Sache so spannend. Wenn Sie an eine Orgel kommen, die Sie nicht kennen, wissen Sie erstmal noch nicht, wie sie klingt.
Und was verbinden Sie emotional damit?
Ladach: Ach herrje. Die Frage hätten Sie mir mal vor dreißig Jahren stellen sollen. Da ich nun beruflich damit zu tun habe, gehe ich inzwischen mit anderen Augen heran als früher, als eine Orgel für mich noch etwas Magisches oder Mystisches hatte. Aber wenn man wie ich im Leben vielleicht 3.000 Orgeln besichtigt hat, geht das etwas verloren.
Also eine Handelsware?
Ladach: Nein, es bleibt schon ein Musikinstrument. Aber ich bin nicht mehr so besonders ergriffen wie früher.
Können Sich an Ihre erste Begegnung mit einer Orgel erinnern?
Ladach: Das ist ziemlich lange her. Das war als kleiner Junge in meiner Heimatgemeinde Sankt Suitbertus in Wuppertal-Elberfeld, wo ich jeden Sonntag in die Kirche gegangen bin.
Wie darf man sich dort Ihre Jugend vorstellen?
Ladach: Einen Standard-Lebenslauf habe ich nicht. Für mich war klar, dass ich nach dem Zivildienst studieren wollte. Und ich hatte immer schon sehr viel ausprobiert. Da ich mein Studium selbst finanzieren musste, kam mir die Idee, mit Dingen zu handeln: erst mit Computern, dann mit Autos, später auch mit Klavieren.
Darüber kamen Sie dann auch zu den Orgeln?
Ladach: 1987 war ich als Jugendlicher zum ersten Mal in Polen mit einer sogenannten Jugendwallfahrt nach Oberschlesien. Dort haben wir mit zwanzig Leuten bei einem Kirchenbau mitgeholfen. Das war für mich die Initialzündung, Polnisch zu lernen, weil wir uns nur mit Händen und Füßen unterhalten konnten. Dabei habe ich viele Leute kennengelernt und kam immer wieder zurück. Dort habe ich mir auch das Handeln angeeignet, weil ich beobachten konnte, wie der sozialistische Tauschhandel in Zeiten des Mangels funktionierte.
Auf Autos kommt man ja schnell, aber Orgeln?
Ladach: 1993 rief mich ein polnischer Kollege an, dass er durch einen Tauschhandel sechs belarusische Klavier erworben hätte und ob ich daran interessiert sei. Die habe ich umgehend in Deutschland verkauft und merkte, dass es ganz einträglich war. Drei Jahre später saß ich eines schönen Tages in meiner Heimatkirche beim Orgelüben. Da kam der Kirchenarchitekt auf mich zu und sprach mich auf meine polnischen Kontakte an. Er hätte da in Düsseldorf eine kleine Orgel übrig, weil eine neue eingebaut werde. Ob ich mal nachfragen könnte. Dabei stellte sich heraus, dass die Polen ganz heiß darauf waren. Wir haben die also hier ab- und dort wieder aufgebaut. Als mir der Pfarrer das Geld bar auf den Tisch zählte, erkannte ich die Marktlücke.
Machten Sie damit nicht den Orgelbauern Konkurrenz?
Ladach: In der damaligen Zeit wollten die mit gebrauchten Instrumenten gar nichts zu tun haben. Das waren alles Künstler, die ihre eigenen klanglichen Vorstellungen verwirklichen wollten. Und so ergab sich schnell ein Verkauf aus dem anderen. Ich habe dann zwar noch mein Studium abgeschlossen, aber mich völlig den Orgeln verschrieben.
Auch ein Ingenieur könnte wohl nicht einfach so eine Orgel ab- und wieder aufbauen. Wie haben Sie sich das angeeignet?
Ladach: Als ich zu meinem Düsseldorfer Erstling fuhr, nahm ich einen Maschinenbauer mit, wir guckten uns das gemeinsam an und stellten fest, dass es technisch keine sehr komplizierte Sache ist. Aus heutiger Sicht muss man sagen: Das war auch sehr einfach, denn sie verfügte über einen elektrisch ansteuerbaren Spieltisch. Es gab also keine mechanischen Verbindungen. Der Rest war Learning by Doing. Ich habe im Laufe der Zeit natürlich auch viel Lehrgeld bezahlt, denn nicht alles funktionierte auf Anhieb. Inzwischen habe ich Orgelbauer beschäftigt, die sich darum kümmern. Dafür bekommen Sie relativ viele Leute. Aber meine Spezialität ist, eine neue Heimat für die Instrumente zu finden. Das können nicht alle.
Sie haben eine gut gepflegte Webseite, wo Sie Ihre Neuerwerbungen zum Verkauf einstellen. Wer sind die Verkäufer, wer die Käufer?
Ladach: Die Webseite wird von beiden Seiten gut observiert, so dass ich schnell Angebote bekomme. Verkäufer sind zum einen ältere Herrschaften, die sich zum Üben früher mal Hausorgeln gekauft hatten, weil die elektronischen Instrumente damals viel zu teuer waren. Zum anderen werden in deutschen Großstädten gerade massiv Kirchen geschlossen, deren Inventar dann verwertet wird. Allein in den letzten zwanzig Jahren habe ich so in Hamburg fünfzig Orgeln abgebaut, fast alle aus geschlossenen Kirchen. Dasselbe finden Sie zum Beispiel im Ruhrgebiet, wo man viele Kirchenneubauten der Nachkriegszeit nicht mehr braucht, weil sich die Einwohnerzahlen halbieren. Hier in Wuppertal wurden in den letzten dreißig Jahren 34 Kirchen geschlossen. Mit der Säkularisation wandern die Orgeln ab.
Wo werden Sie sie wieder los?
Ladach: Fast ausschließlich im Ausland, wo es Kirchen mit Orgeltradition gibt: Italien, Spanien, Portugal, Polen, Frankreich, teilweise nach Übersee. Aus unterschiedlichsten Gründen fehlen dort Orgeln. In Litauen etwa dienten die Kirchen zu sowjetischen Zeiten als Lagerräume oder Sporthallen. Inzwischen weiht man sie wieder. Oder Ungarn: Hier förderte der Staat zum Reformationsjubiläum seine protestantischen Kirchen, so dass dort viele Instrumente angeschafft werden konnten, wo es bisher keine gab.
Aber müssten in vielen dieser Kirchen nicht schon Instrumente stehen?
Ladach: Viele Gemeinden dort konnten sich bisher einfach keine neue Orgel leisten oder hatten bisher ein elektronisches Instrument. Jetzt nutzen sie ihre Chance, preiswert ihre erste gute Orgel zu bekommen.
Das Völkchen der Orgelbauer und Organisten hat ja seinen ganz eigenen Charakter. Wie lange haben Sie gebraucht, bei denen akzeptiert zu werden?
Ladach: In der Tat eine ganze Weile. Zwischendurch hatte ich durchaus Phasen der Ernüchterung. Heute bin ich aber in der Szene bekannt wie ein bunter Hund. Inzwischen vermitteln mir Orgelbauer auch die alten Instrumente, die sie gerade durch neue ersetzen, oder sie verkaufen sogar über meine Webseite gegen Provision. Es gibt aber auch welche, die bis heute sehr zugeknöpft sind.
Ihren Unternehmenssitz haben Sie vor 25 Jahren in einer entwidmeten Kirche aufgeschlagen. Stehen alle Orgeln aus Ihrem üppigen Onlinekatalog dort?
Ladach: Nein, die würden hier gar nicht alle reinpassen. Aufgrund der hohen Ab- und Aufbaukosten versuchen wir die Instrumente von Punkt zu Punkt zu verkaufen, meistens per Internet. Nur wenn das nicht gelingt, kommen sie zu uns. Gerade bauen acht Leute eine ganze Woche lang vierzig Register für eine Kirche in Polen ab. Erfahrungsgemäß dauert der Aufbau dann dreimal so lange. Wenn Sie das zweimal machen müssten, wäre es völlig unwirtschaftlich.
Wie viele Orgeln handeln Sie im Jahr?
Ladach: Etwa achtzig, also pro Woche durchschnittlich anderthalb. Dafür sind wir vier Leute. Dass ich am Wochenende nicht arbeite, kommt also ganz selten vor.
Klingt so, als seien Sie mit Ihren Orgeln verheiratet.
Ladach: Das könnte man sagen. Auf jeden Fall fließen Freizeit und Beruf ineinander.