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Blickwinkel: Christoph Amend

„Optimismus kann nicht schaden“

Christoph Amend, Chefredakteur des ZEITmagazins, lässt Kulturschaffende in seinem E-Mail-Newsletter „Was für ein Morgen“ zu Wort kommen.

vonJakob Buhre,

Herr Amend, seit Beginn der Corona-Pandemie erfreut sich Ihr E-Mail-Newsletter „Was für ein Morgen!“ großer Beliebtheit. Was hat es damit auf sich?

Christoph Amend: Wir hatten in der Redaktion nach dem sogenannten Lockdown das Bedürfnis, etwas für Künstlerinnen und Künstler zu tun, deren Bühnen ja alle geschlossen wurden. Also habe ich gemeinsam mit meiner Co-Autorin Johanna Palla unseren Newsletter „Was für ein Tag“ als Plattform genutzt für eine zweite tägliche Ausgabe. Wir haben sie „Was für ein Morgen“ genannt, um Kulturschaffenden eine Bühne zu bieten. Das Echo darauf war von Anfang an sehr schön und hat bis heute nicht abgenommen. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass die Situation in der Branche nach wie vor verheerend ist. Ich erfahre zurzeit von vielen Musikerinnen und Musikern, die sich fragen, wie sie ihr Leben in Zukunft finanzieren.

Die Ansprache in Ihrem Newsletter ist sehr persönlich. Sehen Sie es als Journalist auch als Ihre Aufgabe, den Lesern ein Stück Hoffnung und Optimismus mitzugeben?

Amend: Als Journalist versuche ich, die Wirklichkeit abzubilden und gleichzeitig mit einem konstruktiven Grundton die Welt zu betrachten. Ich bin kein Fan eines Journalismus, der immerzu beschreibt, dass die Welt gerade untergeht. Gerade in anstrengenden Zeiten, die wir gerade erleben, kann Optimismus nicht schaden.

Zu Ihren Newslettern „Was für ein Morgen!“ und „Was für ein Tag!“ gibt es eine Playlist bei Spotify. Warum ist bei den über 400 Titeln keine klassische Musik dabei?

Amend: Ups, gar keiner? Es gibt natürlich gar keinen Grund, nicht auch Klassik aufzunehmen, über Igor Levit beispielsweise haben wir mit seinen Brahms-Aufnahmen auch im Newsletter berichtet. Ich selbst bin kein Experte für klassische Musik, bei uns zu Hause spielte Popmusik eine riesige Rolle, mein Vater hat viel Beat und Chansons gehört, meine Mutter Disco und Jazz, und ich wurde früh ein Hip-Hop-Fan und überhaupt von Musik, die DJs produziert haben, House, Techno. Wobei mich die Popmusik auch wieder zur klassischen Musik hinführt. Chilly Gonzales zum Beispiel war ein Türöffner für mich, seit seinen „Solo Piano“-Alben höre ich auch andere Pianisten wie Igor Levit.

Sehen Sie in der Corona-Krise eine Kluft zwischen dem vielerorts subventionierten Klassik-Betrieb und freischaffenden Pop-Künstlern?

Amend: Ich kenne einige klassische Musikerinnen und Musiker. Und diejenigen, die nicht in festen Vertragsverhältnissen sind, haben genauso zu kämpfen wie alle anderen auch. Überhaupt hört man verhältnismäßig wenig über von solchen Geschichten, vielleicht schämen sich auch Leute, darüber zu reden, was ich verstehen könnte. Ich denke, da schlummern viele Fälle, von denen wir noch nichts wissen.

In den Nachrichten ging es zu Beginn der Pandemie sehr häufig um die Arbeitsplätze bei Lufthansa, TUI oder in der Autoindustrie.

Amend: Das stimmt. Die großen Konzerne haben eine starke Lobby, sind besser organisiert – und kommen sofort in die Tagesschau. Dabei arbeiten in der Veranstaltungsbranche etwa anderthalb Millionen Menschen. Sie haben aber kaum eine organisierte Lobby. Um so mehr ist es unser Job als Medien, auf deren Probleme aufmerksam zu machen.

Als 2019 Ihr Buch „Wie geht’s dir, Deutschland?“ erschien, sagten Sie in einem Interview, Deutschland sei „tief gespalten“. Wie ist Ihre Analyse 2020 in der Corona-Krise?

Amend: Es gibt einen kleinen, aber sehr lautstarken Teil der Bevölkerung, der die Corona-Regeln kritisiert, aber die große Mehrheit der Bevölkerung steht hinter den Maßnahmen, zumindest steht das in den Umfragen, die ich dazu gelesen habe. Lassen Sie es mich am Beispiel meines Vaters erklären: Er sieht die Flüchtlingspolitik der Regierung seit 2015 sehr kritisch und sagt in meinem Buch, es sei kein Wunder, dass Menschen AfD wählen. Während der Corona-Pandemie erlebe ich ihn anders. Die politischen Maßnahmen seien vernünftig, sagt er, man merke in so einer bedrohlichen Situation, dass die Bundesregierung im Großen und Ganzen einen guten Job mache: „Wir sind in Deutschland – bei allen Schwierigkeiten und bei allen Fehlern, die gemacht werden – gut dran.“

Viele kulturelle Events wurden ins Internet verlegt. Was war Ihr bisheriges Highlight – und was funktioniert im Netz für Sie nicht?

Amend: Mein Highlight im Frühjahr waren die Hauskonzerte von Igor Levit. Ich habe vorher geglaubt, dass es so etwas wie ein kulturelles Lagerfeuer am Bildschirm gar nicht mehr geben kann. Aber da war es plötzlich. Jeden Abend haben sich einige zehntausend Menschen aus der ganzen Welt zugeschaltet, um einem Pianisten zuzuhören, wie er in seinem Wohnzimmer spielt. Weniger funktioniert hat für mich dagegen das Live-Streaming von DJ-Sets. Da habe ich gemerkt, dass die Idee des DJs am Ende eben doch vor allem im Club funktioniert, als gemeinschaftliches Erlebnis, an dem man auch körperlich teilnimmt. Streaming kann das nicht vermitteln.

Helge Schneider sagte in einer Internet-Botschaft: „Ich trete nicht auf vor Leuten, die 1, 50 Meter auseinander sitzen und Mundnasenschutz tragen müssen. Ich werde erst wieder auftreten, wenn alle Freiheiten wieder da sind.“ Haben Sie für diese Einstellung Verständnis?

Amend: Ich verstehe, was er damit meint, aber wenn ich nach den Monaten der Pause wieder ein Philharmoniker-Konzert besuchen möchte, wird mir das durch diese Regeln ermöglicht. Niemand wünscht sich diesen Abstand und Mundnasenschutz, aber das ist nun mal keine Frage des Ob. Und vielleicht sind diese Konzert-Regeln ein Schritt, um wieder näher dorthin zu kommen, wo wir alle eines Tages wieder sein wollen.

Sie haben in Ihrer Laufbahn für Interviews und Porträts viele große Künstler persönlich getroffen. Lässt sich dies durch Videokonferenzen ersetzen?

Amend: Vor kurzem habe ich Daniel Brühl porträtiert, da war es schon ein großer Vorteil, dass wir uns auf einer Restaurant-Terrasse viele Stunden gegenübersaßen, zusammen gegessen und getrunken haben, und ein bisschen gemeinsam durch die Stadt gelaufen sind, weil ich so beobachten konnte, wie er auf mich wirkt. Das wäre bei einer digitalen Übertragung verloren gegangen. Aber tatsächlich bin ich seit Corona nicht mehr für Interviews ins Ausland gereist. Den Tennisspieler Roger Federer habe ich neulich über Zoom interviewt – und es war wunderbar, weil er sich voll auf die Situation eingelassen hat. Wenn beide Gesprächspartner das Beste daraus machen wollen, kann es durchaus funktionieren.

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