Frau Meining, was war Ihre erste Reaktion, als sie erfuhren, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine Durchführung des Mozartfests Würzburg in seiner ursprünglichen Planung unmöglich machen würden?
Evelyn Meining: Für uns war von Anfang an klar, dass wir mit der Absage nicht die Hände in den Schoß legen werden. Auch die Stadt Würzburg hat uns ermutigt und aufgefordert in abgewandelter Form das umzusetzen, was erlaubt und möglich ist. Den Auftrag haben wir gerne angenommen und in acht Wochen ein neues Festival unter Corona-Bedingungen aus dem Boden gestampft. Wenn man sich die 43 überwiegend kleinen Veranstaltungen ansieht, glaubt man kaum, wie viel Arbeit in diesem veränderten Programm steckt.
Von ursprünglichen Festivalmotto „Widerstand, Wachsen, Weitergehen“ ist nur noch das „Weitergehen“ geblieben …
Meining: … in Anlehnung an Beethovens Ausspruch „Allein Freiheit, Weitergehen, ist in der Kunstwelt, wie in der ganzen großen Schöpfung Zweck“. Das war uns Ansporn und Verpflichtung. Wir sagen: Weitergehen ist jetzt die Aufgabe unserer Gesellschaft – und zwar mit Kultur. Wenn wir sehen, wie vielerorts Ratlosigkeit und Handlungsunfähigkeit andere Veranstalter in die Knie gezwungen hat, wollten wir in Würzburg ein Zeichen setzen: Kultur ist unverzichtbar! Das ist mehr als ein schönes Wort in einer Sonntagsrede. Insofern haben auch die ersten beiden Begriffe unseres Mottos Gültigkeit behalten: Corona hat uns mit Widerständen konfrontiert, an denen wir wachsen müssen, um aus der Krise hinauszukommen. Kunst kennt Krisen und verarbeitet sie kreativ. Eben zum Weitergehen…
Wie gehen Sie mit den Musikern des Festivals um, die nun nicht auftreten können?
Meining: Wir haben im Sinne einer solidarischen Gemeinschaft geschaut, wer von unseren Künstlern, die die Reisebeschränkungen nicht betreffen, jetzt auftreten kann. Dabei wollten wir möglichst vielen unserer Musiker auch in neuen Formaten Auftrittschancen geben. Alle anderen Musiker haben wir eingeladen, eine digitale Grußbotschaft für unsere Webseite zu produzieren. Das ist eine künstlerische Leistung, die wir dann auch honorieren dürfen, solange wir in Bayern noch wir keine Erlaubnis zur Zahlung von Ausfallhonoraren haben.
Wie wollen Sie die Nachfrage von Seiten des Publikums bewältigen, wenn die Konzerte jetzt in kleinerem Rahmen stattfinden?
Meining: Natürlich werden wir nur eine geringe Anzahl von Tickets für die Indoor-Konzerte anbieten können. Dazu kommen aber viele Angebote unter freiem Himmel, die gratis sind, wie die Konzerte mit dem Musik-LKW „Blauer Eumel“. Eine weitere Facette bietet das Hornquartett German Hornsound, das an fünf Orten Überraschungskonzerte geben wird, von Brücken und Balkonen. Wir geben den Tag bekannt, aber weder die Uhrzeit noch den genauen Ort. Menschen, die den Samstag für einen Marktbesuch oder Stadtbummel nutzen, werden also unerwartet mit einem Konzert überrascht.
Gab es trotz aller Widrigkeiten durch den Corona-Shutdown auch Dinge, die besser gelaufen sind, als sie erwartet haben?
Meining: Sehr positiv war die Reaktion der Stadt, die von Anfang an zu uns stand. Auch das Land hat uns grünes Licht gegeben und uns die Landesförderung zugesagt, auch wenn die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist. Bei all dem habe ich eine unglaubliche Kreativität der Künstler erlebt, vor allem der freien Künstler. Die sind so enthusiastisch dabei gewesen, ohne zu wissen, ob sich das für sie finanziell auszahlt. Gerade unser „Artiste étoile“ Reinhard Goebel hat sich immer wieder hat den veränderten Bedingungen angepasst, seine Klangkörper reduziert und neue Programme erarbeitet. Auch die Solidarität des Publikums, unserer Förderer und unseres Freundeskreises hat uns gefreut. Dafür waren die Hürden im Umsetzen der Regularien von Seiten der Behörden und Verwaltungsstrukturen sehr groß. Wir hätten uns gewünscht, dass die Kultur gleichbehandelt wird wie Sport, Handel und Religionsgemeinschaften. Das war nicht der Fall.
Wird Corona, soweit Sie heute absehen können, Auswirkungen auf das 100. Festivaljubiläum im nächsten Jahr haben?
Meining: Natürlich können und müssen wir davon ausgehen, dass das Ereignis der Corona-Pandemie sich auf das nächste Jahr auswirkt. Das diskutieren wir seit einigen Wochen intensiv in unserem Verbund „Forum Musik Festivals“. Dort haben sich inzwischen fast hundert Festivals zusammengetan und erheben die Stimme der Kulturschaffenden aus Festivalsicht gegenüber der Bundes- und Länderpolitik. Wir gehen fast alle mit den Festivals 2021 noch in diesem Jahr in den Kartenverkauf und müssen wissen, welche Auswirkungen Corona-bedingte Verordnungen für den Veranstalterbetrieb in Zukunft haben werden. Wie wird die Versammlungsstättenverordnung aussehen, und was haben wir von den schwer geschädigten öffentlichen Haushalten zu erwarten? Wenn ein Festival, das jetzt grade eben überleben kann, im nächsten Jahr noch Einbußen in der Finanzierungbasis hinnehmen muss, könnte das einen Flächenbrand auslösen und neben der gefürchteten zweiten Coronawelle noch eine Welle möglichen Festivalsterbens auf uns zurollen.