Herr Dr. Brosda, ich nehme mal an, die letzten sechs Monate waren für Sie als Senator für Kultur und Medien durchaus arbeitsintensiv. Erzählen Sie doch mal, wie sich Ihr Arbeitsalltag während des Lockdowns verändert hat!
Dr. Carsten Brosda: Man geht weniger in Konzerte und hängt mehr in Telefonschalten und Zoom-Konferenzen, um es mal auf eine ganz kurze Formel zu bringen. Ab Mitte März ist das kulturelle Leben ja aus bekannten Gründen weitgehend zum Erliegen gekommen. Dadurch ist aber natürlich nicht die Arbeit weniger geworden. Es ging unmittelbar darum herauszufinden, welche Unterstützung diejenigen jetzt schnell brauchen, die in der Kultur- und Kreativwirtschaft unterwegs sind. Wir wollen und müssen ihnen eine Perspektive geben, wie sie durch diese schwierige Zeit kommen. Das war und ist ein intensiver Austausch mit den Vertretern der verschiedenen Sparten und auch innerhalb der Politik.
Lassen Sie uns über die Kulturförderung des Senats in Zeiten von Corona sprechen. Wie sind Sie bei den Planungen der Maßnahmen vorgegangen?
Brosda: In der Tat konnte niemand einfach mal in die Schublade greifen und eine Lösung hervorholen, da sich auf so einen Fall niemand vorbereiten kann. Unmittelbar nachdem klar war, dass Theater, Musikclubs, Konzerthäuser und andere kulturelle Institutionen schließen müssen, haben wir darüber beraten, wie wir helfen können und an welchen Stellen wir eine genuine Kulturförderperspektive bieten können – auch über die Frage der Soforthilfen hinaus, die dann ja über Bund und Land gemeinsam aufgesetzt wurden. Zudem mussten zum Teil erst einmal die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen werden. Wir haben uns dann entschieden, was vielleicht auch ein Unterschied zu manch anderer Förderung ist, einen Teil der Hilfen über eine recht allgemein gehaltene Förderrichtlinie zu organisieren. Diese können wir recht maßgeschneidert auf die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Bereiche hin präzisieren, die ja bei einem Musikclub andere sind als bei einem Stadtteilkulturzentrum oder bei einem klassischen Ensemble. In allen Bereichen, die ohnehin schon Förderungen erhalten, war eine Förderfähigkeit rechtlich sichergestellt. Für alles Weitere haben wir sehr früh gemeinsam mit der Finanz- und der Wirtschaftsbehörde zusammengearbeitet, weil natürlich die Grenzen zwischen einem Wirtschaftsunternehmen und einem Kulturbetrieb oftmals fließend sind. Daraus ist dann ein Strauß von Hilfen geworden, die bei pauschalen Unterstützungen für den Lebensunterhalt bei Soloselbstständigen anfangen und bis zum Ausgleich der Defizite der großen Staatstheater reichen.
Wie waren die Reaktionen auf die Hilfsmaßnahmen?
Brosda: Ich nehme ein hohes Maß an Solidarität und Verantwortungsbewusstsein unter allen Akteuren in Hamburg wahr. Es ist immer möglich, alles miteinander zu besprechen – und zwar in Form eines gemeinsamen Nachdenkens darüber, wie man durch diese Zeit kommt. Es ist eine durchaus beglückende Erfahrung, dass dies im Kulturbetrieb so konstruktiv möglich ist. Tatsächlich sind die ja ansonsten leicht vorstellbaren Neidreflexe fast komplett ausgeblieben.
Stehen Sie in persönlichem Kontakt zu Künstlern, Ensembles oder Orchestern?
Brosda: Quasi durchweg. Gerade in solchen Zeiten braucht es eine fortlaufende Kommunikation. Ich habe mir noch nie in meinem politischen Leben so viel Input in so kurzer Zeit organisiert, weil wir sicherstellen müssen, dass uns keiner durchs Rost fällt.
Was sagen Sie den vielen Künstlern, die mit Wut und Unverständnis in die so leeren Konzerthäuser blicken, auf ihren Reisen jedoch in vollbesetzten Bahnen und Flugzeugen sitzen?
Brosda: Da muss man differenzieren. Ich glaube, das Entscheidende ist, dass man jeden Bereich für sich selbst betrachten muss. In der Bahn müssen wir zum Beispiel eine Maske tragen, in den Konzertsälen nicht. Die Frage ist, wieviel Publikum kommen würde, wenn man eine Maske vorschreibt, was einige Länder ja gerade ausprobieren. Ich bin sehr dafür, dass wir dort mehr ermöglichen, wo wir zum Beispiel die technischen Voraussetzungen, sprich: entsprechende Lüftungssysteme, haben. Die sind ja nicht in jedem Kulturort gleichermaßen gegeben. Solche Schritte müssen aber natürlich zum allgemeinen Infektionsgeschehen passen – und das wird gerade wieder schwieriger. Und natürlich brauchen wir eine belastbare Rechtslage. Ich halte es für vernünftig, vorsichtig vorzugehen und nach jedem Schritt zu kontrollieren, ob es einen Einfluss auf das Infektionsgeschehen hat. Am schlimmsten wäre es, wenn wir zu schnell und zu beherzt vorangehen und dann zurückdrehen müssten. Das würde gerade der Kultur richtige Schmerzen bereiten. Insofern arbeiten wir derzeit auch an den Perspektiven einer engeren Saalbesetzung, natürlich im Austausch mit Ärzten und anderen Fachleuten. Aus guten Gründen dürfen nämlich Kulturpolitiker nicht darüber entscheiden, was medizinisch vertretbar ist und was nicht. Ich kann dafür sorgen, dass alle Aspekte in den notwendigen Abwägungsprozess einfließen.
Wie schätzen Sie die Lage in den Konzerthäusern, der Oper oder in den zahlreichen Theatern ein? Sind die politischen Entscheidungen bezüglich der Schutzmaßnahmen in Einklang zu bringen mit dem Spielbetrieb?
Brosda: Das ist nun die große Herausforderung. Allerdings nehme ich wahr, dass sich dem alle mit Verve stellen. Gleichzeitig kann ich auch nur dafür werben, mit den Bedingungen, die uns Corona auferlegt, zu arbeiten und nicht gegen sie. Natürlich ist dann manchmal schnell der Impuls da zu sagen, dieses oder jenes behindert mich in meinem künstlerischen Ausdruck. Das führt aber am Ende nur dazu, dass man viel Kraft und Energie darauf verwendet, etwas ändern zu wollen, was man an dieser Stelle aber nicht ändern kann. Insofern glaube ich, dass es die klügere Strategie ist zu akzeptieren, dass Kultur unter begründeten Restriktionen stattfindet. In irgendeiner Art und Weise gibt es die ja immer. Und ich finde, dass auch jetzt durchaus interessante Projekte entstehen können. Ich denke da an den Saisonauftakt an der Hamburgischen Staatsoper mit „Molto agitato“. Geplant war ursprünglich „Boris Godunow“, der ja nun wirklich die Antithese zu den Corona-Bedingungen gewesen wäre, wenn man die Oper ohne Abstriche auf die Bühne gebracht hätte. Da war es ein guter Versuch, mit den jetzigen Gegebenheiten umzugehen und trotzdem eine künstlerische Form zu finden und einen Reflexionsraum zu öffnen. Auch denke ich an das, was Georges Delnon gesagt hat: dass es vielleicht auch eine Chance sein kann, das Opernrepertoire wieder zu erweitern und auch mal die Stücke auf den Spielplan zu setzen, welche nicht so häufig auf den Bühnen zu sehen sind, die aber eben nicht das große Orchester brauchen.
Denken Sie, dass es bundesweite Regelungen geben müsste, um den Künstlern mehr Planungssicherheit zu verschaffen?
Brosda: Ja und nein! Ich würde mir schon wünschen, dass wir zu etwas mehr Abstimmung kommen. Das ist aber etwas, worin wir in der Kultur noch nicht ausreichend eingeübt sind. Da ist dann doch jeder manchmal ein bisschen zu sehr auf eigene Faust unterwegs. Trotzdem: Die Regelungen sind meistens doch enger beieinander als man denkt. Derzeit klaffen sie jedoch vor allem bei der Frage auseinander, was in einem Saal überhaupt möglich ist. Es hat allerdings auch viel mit dem regionalen Ausbruchgeschehen zu tun. Wenn wir beispielweise in Mecklenburg-Vorpommern so gut wie keine Infektionen haben, in Bayern aber eine schwierige Lage in der Großstadt vorfinden, dann halte ich es für durchaus verständlich, unterschiedlich zu reagieren. Wir müssen dann auch in der Lage sein, die Regionalisierung hinzubekommen. Ich finde zudem, dass die letzten Wochen und Monate auch gezeigt haben, dass diese dezentrale Verantwortlichkeit für die Kultur stärker sein kann, wenn die Kommunikationskultur vor Ort ausgeprägter ist und man miteinander im Gespräch ist. Ich bin sehr froh, dass wir das in Hamburg machen konnten und dass nicht jemand dreihundert Kilometer entfernt Entscheidungen trifft, die hier dann gelten, ohne dass man in der Art und Weise mit der Szene hätte sprechen können, wie wir das konnten.
Wo muss die staatliche Hilfe für den Kulturbetrieb in Krisenzeiten enden?
Brosda: Ich glaube, wir sind momentan in der Situation, in der es vor allem darum geht, die Infrastrukturen zu sichern. Und da würde ich jetzt nicht sagen, dass es irgendwo eine Deadline gibt, bei der wir entscheiden müssen, ob eine Förderung noch einen Sinn hat oder nicht. Zusammengerechnet haben wir in Hamburg zum jetzigen Zeitpunkt bereits rund 80 Millionen Euro an zusätzlicher Corona-bedingter Kulturförderung ausgegeben. Der Deal dabei ist natürlich, dass wir im Hinblick auf die Belastung der öffentlichen Haushalte auch wissen, dass wir ans rettende Ufer kommen. Davon gehen wir aber natürlich alle aus, und das finanzielle Floß muss uns bis dahin tragen. Offen ist jedoch die Frage, wann wieder genauso viele Leute in die Konzerthäuser kommen. Wir merken gerade, dass es einige Zeit braucht, bis der Besuch eines Konzertes oder eines Theaterstückes wieder etwas ist, was selbstverständlich zum Alltag dazugehört. Meine Vorgängerin hat mal so schön gesagt, dass wir die Probleme in der Reihenfolge ihres Auftretens lösen müssen. Da wir so viele Probleme haben, die gerade so unmittelbar sind, haben wir gesagt, das klären wir dann, wenn es an der Zeit ist. Unser Ziel ist es natürlich, es mit möglichst allen zu klären, mit denen wir auch jetzt über entsprechende Lösungen sprechen.