Herr Kaiser, Sie sind seit 1989 für das Freiburger Barockorchester tätig – heute als Intendant und Geschäftsführer. Wie hat sich ihr Arbeitsalltag während der Corona-Pandemie verändert?
Hans-Georg Kaiser: So eine Situation hat von uns natürlich bisher niemand erlebt. Das geht nicht nur mir so, sondern allen Kollegen weltweit. Der Arbeitsalltag hat sich dahingehend verändert, dass einfach plötzlich nichts mehr so war wie vorher. Zunächst sind ja ganz viele Konzerte abgesagt worden, bei uns über den ganzen Sommer vierzig an der Zahl. Seit dem Herbst ist die Situation aber noch komplizierter, weil einerseits Konzerte stattfinden konnten, jedoch mit weniger Publikum, was bei vielen Veranstaltern mit einem geringeren Honorar für die Künstler verbunden war. Andererseits fallen nun einige Konzerte komplett aus.
Seit Anfang des Monats befinden wir uns erneut in einer Phase, in der Konzerte vor Publikum untersagt sind. Kann das Orchester die neuen Ausfälle überhaupt noch schultern?
Kaiser: Nein, kompensieren können wir die Ausfälle – bei uns sind im November drei Projekte betroffen – nicht. Ein Konzert im Concertgebouw Amsterdam war bereits abgesagt, weil dort nur noch 30 Personen ein Konzert besuchen dürfen. Die Produktion von Monteverdis „Orfeo“ durch Sasha Waltz will die Berliner Staatsoper möglichst bald nachholen. Aber unsere Abokonzerte in Freiburg, Stuttgart und Berlin Ende des Monats werden ersatzlos ausfallen. Das bedeutet für unser Team einen enormen Aufwand mit Rückabwicklungen und verlangt unserem Publikum erneut viel Verständnis und Flexibilität ab.
Das Freiburger Barockorchester ist als Gesellschaft bürgerlichen Rechts organisiert. Die Musiker entscheiden als Unternehmer der GbR über die Entwicklungen des Klangkörpers. Wie gelingt das in Zeiten von Corona?
Kaiser: Corona bedeutet überhaupt für alle Ensembles einen erhöhten Kommunikationsaufwand. Wir müssen viel häufiger darüber sprechen, was wir tun – und vor allem: wie wir es tun. Da die Musiker persönlich haftend sind, müssen sie über unsere Schritte ganz genau informiert werden. Da haben wir aber schon gleich am Anfang des ersten Lockdowns Wege gefunden, wie wir das in ruhigere Bahnen führen können. Und ich glaube, dass uns das ganz gut gelungen ist.
Es bestehen also keine Uneinigkeiten unter den Musikern?
Kaiser: Es gibt natürlich immer wieder Fragen, wie man sich verhalten soll, gerade im Hinblick auf die steigenden Infektionszahlen. Da steht immer die Frage im Raum, ob wir uns hier einem Risiko aussetzen. Sie müssen wissen, dass rund die Hälfte der Musiker des Freiburger Barockorchesters aus dem Ausland kommt. Da sind also immer welche dabei, die nur dann zu den Proben nach Freiburg kommen können, wenn sie getestet wurden. Da sitzen die Musiker dann aber natürlich drei Tage ganz eng zusammen – auch wenn sich alle bei den Proben und auf der Bühne ganz weit auseinandersetzen. Wir als Verantwortliche müssen da schauen, dass wir die Musiker nicht irgendwelchen Risiken aussetzen.
Wie kann ein Orchester, das sich finanziell selbst tragen muss, eine Zeit ohne oder mit nur wenigen Konzertveranstaltungen überstehen?
Kaiser: Das Wichtigste für das Freiburger Barockorchester war zunächst, dass die Stadt Freiburg im Jahr 2019 den institutionellen Zuschuss für das FBO signifikant erhöht hat. Dasselbe hat 2020 auch das Land Baden-Württemberg getan. Das kann man als Glücksfall bezeichnen, weil es noch unabhängig von Corona entschieden worden ist und für uns jetzt die Grundlage für eine Grundfinanzierung war. Ich glaube, ohne diese Subventionserhöhungen oder die Subventionen insgesamt wäre das für uns nur schwer durchzustehen gewesen. Der zweite sehr wichtige Punkt ist, dass wir in Deutschland mit öffentlichen Strukturen gesegnet sind, die verschiedene Hilfsangebote formulieren, sei es auf Bundes- oder auf Länderebene. Davon haben wir natürlich profitiert.
Von der Baden-Württemberg Stiftung erhalten wir 400.000 Euro und realisieren eine ganze Reihe von Konzerten in Baden-Württemberg zum Dank an Corona-Helferinnen und -Helfer. Vom Bund haben wir ungefähr 200.000 Euro für unser Projekt „Sommerklang“ bekommen, bei dem wir eine Wiese vor dem Ensemblehaus genutzt und Konzerte veranstaltet haben. So konnten wir drei Wochen lang insgesamt vierzig Musiker in Arbeit bringen, was auch nicht ganz unwichtig war, da sie schließlich am meisten gelitten haben unter der Situation, insbesondere die Gastmusiker. Das FBO hätte in der Zeit des ersten Lockdowns ungefähr siebzig Musiker in verschiedenen Projekten beschäftigt, die nun kein Geld bekommen haben. Und da kommt dann die dritte Säule zu Tage: Wir haben sehr viele Spenden von Freunden und Förderern des FBO erhalten, auch natürlich über den Freundeskreis. Diese Spenden haben wir dazu verwendet, den Gastmusikern, die im Moment gar nichts bekommen und nicht so gut durch die Subventionen abgesichert sind, wenigsten bis zu fünfzig Prozent zu bezahlen. Das ist leider nicht immer gelungen, aber wir haben es so gut wie möglich versucht.
Wie sieht es nun mit dem zweiten Lockdown konkret aus? Sind die vom Bund angekündigten Hilfsmaßnahmen ausreichend?
Kaiser: Noch haben wir keine konkreten Informationen, wie die Hilfen aussehen werden. Ensembles geht es aber nicht anders als Soloselbständigen, die Umsätze der Monate schwanken erheblich. Deshalb wäre es gut, den Jahresmonatsdurchschnitt des Vorjahres und nicht nur eines bestimmten Monats für die Bemessung der staatlichen Hilfen anzusetzen. Wenn das so gelingt, kann die Hilfe uns und vielen anderen wirklich helfen.
Wie sind Sie bei der Planung der nun laufenden Konzertsaison vorgegangen? Ob Reisetätigkeiten möglich sind, war lange Zeit nicht sicher.
Kaiser: Zunächst einmal hat es eine abgeschlossene Planung für 2020/21 gegeben. Es war alles detailliert ausgearbeitet. Die Realität ist jetzt, dass diese Planungen nur noch Makulatur sind. Wir alle beschäftigen uns viel mehr mit dem Jetzt und dem Heute und nicht so sehr mit der Frage, was im nächsten Jahr oder im übernächsten Jahr kommt. Insofern wird die Kultur nicht nur durch den Lockdown beschädigt sein, sondern auch noch in den beiden nachfolgenden Jahren sehr leiden.
Wie wurden in den Wochen vor den neuen Einschränkungen, die seit November gelten, die wenigen Konzert-Tickets unter den Abonnenten verteilt?
Kaiser: Da war das Windhundprinzip notwendig. Wir haben allen gleichzeitig mitgeteilt, dass der Verkauf geöffnet ist. In Freiburg haben wir zudem eines unserer Abonnements in drei Gruppen aufgeteilt, was bedeutet, dass eine Gruppe mit 500 Personen mit sieben Konzerten bereits um 17 Uhr begann, eine zweite Gruppe mit ebenfalls fünfhundert Zuschauern um 20:15 Uhr. Das funktionierte nur, da sich unser Ensemble bereiterklärt hatte, jedes Konzert zweimal zu spielen. Und dann gab es noch eine genauso große, dritte Gruppe, die erst am Ende der Saison in drei Konzerte kommt, die wir noch zusätzlich anbieten, natürlich unter Vorbehalt. So konnten wir immerhin, ich spreche jetzt nur für Freiburg, die 1.400 Abonnenten irgendwie bedienen. Natürlich ist das nicht das Angebot, das wir normalerweise machen, worüber auch nicht alle glücklich sind, aber wir versuchen viel zu kommunizieren und die Leute auf diese Art zu erreichen.
Rechnen Sie damit, dass die Leute aus Angst vor Infektionen keine Konzerte mehr besuchen, sobald diese wieder stattfinden dürfen?
Kaiser: Ich denke, dass es regionale Unterschiede geben wird. In Freiburg habe ich den Eindruck, dass die Leute unbedingt wieder ins Konzert kommen wollen. Und so ist es eigentlich auch in Stuttgart. Allerdings hatten wir letztens auch in Berlin im Konzert immerhin fast 600 Menschen im großen Saal der Philharmonie. Viel mehr hätten wir auch gar nicht reinbringen dürfen. Das sind doch eigentlich ermutigende Zahlen! Ich hoffe sehr, dass die Menschen verstehen, dass ein echtes Konzert etwas Wichtiges ist für das Seelenheil.