Herr Gögl, Sie sind Künstlerischer Leiter des Festivals Montforter Zwischentöne, das seit sechs Jahren den Konzertwettbewerb „Hugo“ veranstaltet. Was genau steckt dahinter?
Hans-Joachim Gögl: Benannt ist er nach dem Minnesänger Hugo von Montfort, der aus unserer Region Vorarlberg stammt. Als wir vor sechs Jahren die Möglichkeit hatten, ein neues Musikfestival zu gründen, war es uns wichtig, der Region etwas von dem Know-how zurückzugeben, das wir uns im Bereich der neuen Konzertformate aufgebaut haben, und das dann quasi in der Region zu verankern. Und da in Feldkirch, also der Stadt, in der die Montforter Zwischentöne agieren, das Vorarlberger Landeskonservatorium beheimatet ist, ist ein Studierendenwettbewerb eine spannende Plattform, auf die wir dann immer jeweils auch ein Team aus Feldkirch einladen können. Unser Ziel war es also, ein Musikfestival zu machen, dass sich maximal mit der Region verbindet und gleichzeitig internationale Relevanz hat. Die Kernidee des Hugos war zudem, eine Diskursebene zu schaffen, in der eine Live-Jury direkt auf die Vorträge der Studierenden antwortet. Wir wollen Debatten ermöglichen, wie zeitgenössische Konzertformen ausschauen sollen, wie mit Räumen umgegangen wird und wie andere Kunstdisziplinen einbezogen werden können. Zudem ist es für uns eine fantastische Netzwerkarbeit, um mit den kreativsten Studierenden in Kontakt zu kommen. Der Gewinner des Hugos darf dann seine Idee auf dem Festival präsentieren.
Welche Veranlassung hatten Sie vor der Corona-Pandemie, an alternative Konzertformate zu denken? Wo lag der Sinn, als der Motor des Konzertbetriebs noch rundlief?
Gögl: Uns hat die Erfahrung irritiert, dass ein Ensemble oder ein Orchester von außen kommt, in großer Meisterschaft ein Programm aufführt, das es tausendmal geprobt hat und dieses quasi wie aus einem Helikopter heraus abwirft. Es kommt im Prinzip etwas von hinten auf die Bühne und verschwindet dann wieder durch den Hintereingang auf die Straße hinaus. Was meinen Kollegen Folkert Uhde und mich interessiert, ist, ein möglichst intensives Musikerlebnis herzustellen. Wir haben uns gefragt, was es für Strategien einer Dramaturgie der Nähe gibt, um Barrieren gar nicht erst entstehen zu lassen und maximale Nähe herzustellen. Und dabei arbeiten wir mit ganz unterschiedlichen Methoden. Eine davon ist, dass wir die Musik mit Räumen in der Region kontextualisieren. Wir organisieren zum Beispiel Konzerte im Schwurgerichtssaal, im Standesamt oder auf der Straße, bei denen es nicht bloß darum geht, zu den Leuten zu kommen, sondern auch, einen Raum zu finden, der in Verbindung steht mit dem, um was es dann wirklich im Konzert geht. Zudem interessieren wir uns sehr für Communities in der Stadt und hinterfragen, was es dort für Kompetenzen oder Gemeinschaften gibt, die wir adressieren können. Ein Beispiel: Im Rahmen unseres Schwerpunkts „sterben – Über das Loslassen“ haben wir ein Konzert veranstaltet, für das wir vier Alltagsexperten des Sterbens eingeladen haben, damit sie von ihrer Arbeit erzählen: einen Palliativmediziner, einen Priester, den Leiter der Hospizgesellschaft und eine Praktikerin, die ihre Mutter begleitet hat. Die Dramaturgie sah vor, dass die vier Experten an den Bühnenrand treten und anhand von Fragen, die wir ihnen mitgegeben haben, frei von ihrer Arbeit berichten. Gleichzeitig saß im Publikum ein großartiger Cellist, der direkt auf das Erzählte aus seinem Repertoire „antwortet“. Abgesehen davon, dass es ein kraftvolles Konzert war, konnten wir damit eine ganz andere Hörerschaft ansprechen. Die wollen wir dann quasi herüberhieven in andere Formate, um so Beziehungen zu knüpfen. Das ist eine ganz bewusst von uns eingesetzte Strategie. Es geht also um Räume, bestehende Resonanzfelder und um gesellschaftspolitische Fragen in der Stadt.
Hat sich denn das Konzert im herkömmlichen Sinne überholt?
Gögl: Soweit würde ich nicht gehen. Ich finde, Frontalunterricht an Schulen kann auch immer wieder stimmig sein. Daher würde ich sagen, dass das herkömmliche Konzert ein mögliches Konzertformat ist. Aber meistens halten wir andere Formen für stärker.
Dieses Jahr wurden alle zum Hugo gehörigen Veranstaltungen in den digitalen Raum verlegt. Welche Schwierigkeiten haben sich dadurch ergeben?
Gögl: Vor allem war es für uns eine Chance, viel zu lernen. Uns hat dabei nicht wirklich interessiert, ein Konzert einfach abzufilmen und zu streamen. Wir wollten herausfinden, was das Digitale gegenüber dem Physischen besser kann und wie das Digitale das Physische ergänzen kann. In unserem Fall ist der Hugo bestens geeignet, ins Digitale auszuweichen, obwohl wir natürlich auch von da aus wieder zurückkehren wollen, zumindest zu Hybridveranstaltungen. Insgesamt haben vierzig Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum teilgenommen. Zum Schluss entstand eine Shortlist mit zwei schweizer Teams, zwei österreichischen Teams und einem deutschen Team. Das Herz des Wettbewerbs ist eigentlich eine fünfzehnminütige Präsentation vor der Jury, auf die ein direktes Feedback folgt. Jetzt war es so, dass die Teams ein Video einreichen mussten, wobei sehr tolle filmische Beiträge entstanden sind. Eine tolle Chance, viral zu gehen, weil die Studierenden die Videos über diverse Social Media-Kanäle geteilt haben.
Welche Chancen birgt die Digitalisierung des Konzertbetriebs?
Gögl: Unsere Arbeit hat sich dahingehend verändert, dass wir online mühelos und schnell in Kontakt sind. Es ist eine Steigerung der Qualität in der Abstimmung zu bemerken. Allerdings würde ich sagen, dass diese Abstimmungsprozesse nur dann funktionieren, wenn man sich gut kennt. Bei bestimmten Prozessen ist ein physisches Treffen unverzichtbar, vor allem wenn es um Entwicklungsarbeit geht. Auch das Experimentieren wie beim Hugo in diesem Jahr partizipiert von der Digitalisierung. Wir bauen da quasi eine Liveshow, an der sich das Publikum international beteiligen kann, und das auf eine sehr günstige Art und Weise. Es geht ja nicht nur um Streaming, also sozusagen um eine One-Way-Communication, sondern wirklich auch um Zusammenarbeit und Beteiligung.
Wie reagieren die Künstler Ihrer Erfahrung nach auf digitale Konzertformate?
Gögl: Wir haben da wirklich eine starke Zustimmung erfahren. Viele waren froh, dass wir weitermachen und in Kontakt bleiben und uns gegen die Lähmungserscheinung des Konzertbetriebs wehren. Aber ich gebe Ihnen auch ein anderes Beispiel: Als sich im letzten Sommer nur noch zehn Personen im Privaten treffen konnten und wir ein großes Festival geplant hatten, sind wir auf einen landesweiten „Salon-Teppich“ ausgewichen, als wir nämlich den gesamten Vorarlberger Landtag verliehen haben. Man konnte sich bei uns damals um Musiker und Parlamentarier bewerben, die dann zu den Menschen nach Hause gekommen sind, um über den Themenkomplex Politik, Corona und Musik im ganz kleinen Kreis zu sprechen und zu musizieren. Wir haben also statt eines großen Konzerts dreißig kleine Ereignisse ermöglicht. Und auch das hat funktioniert. Macht viel mehr Arbeit, aber große Freude über die vielen begeisterten Rückmeldungen.
Können Sie etwas zu den Konzepten der diesjährigen Finalisten sagen?
Gögl: Im Rahmen des Wettbewerbs geben wir jeweils einen Raum, in diesem Fall war das ein kleines Schloss, eine Konzertdauer von 60 Minuten, sowie ein Thema vor. Es ist beeindruckend, wie die jungen Musikerinnen und Musiker wie selbstverständlich in Kontakt mit Vertretern anderer Disziplinen treten. Im Rahmen der vorgestellten Konzepte gibt es eine Reihe von Kontextualisierungen der Musik mit wissenschaftlichen, technischen oder anderen künstlerischen Disziplinen wie Literatur, Fotografie oder Tanz. Dazu kommt ein reflektierter Umgang mit den unterschiedlichen Räumen im Schloss, vom Keller, über Salons über das Stiegenhaus und eine souveräne Publikumsführung. Im Zentrum eigentlich aller Formate steht immer eine intensive, lebendige Erfahrung von Musik, die den spezifischen Raum und die Zeit, in der sie stattfindet als Gestaltungselement begreift.
Sehen Sie hier die Präsentationen der Kandidaten-Teams beim diesjährigen Hugo-Wettbewerbs: