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Blickwinkel: Jens Illemann

„Besser geht es nicht: Idylle und Hightech“

Jens Illemann ist Musiker, Lehrer, Studiobesitzer und Initiator des Norddeutschen Film-Orchesters. Im Juni strebt er einen neuen Weltrekord an.

vonHelge Birkelbach,

Filmmusik und Heuschober: Wie geht das zusammen?

Jens Illemann: Als sich in meiner Familie Nachwuchs ankündigte, habe ich zusammen mit meiner Frau entschieden: Wir wollen aufs Land und außerhalb Hamburgs leben. In Wewelsfleth in Schleswig-Holstein wurden wir fündig. Nur 600 Meter von meinen Schwiegereltern entfernt liegt das Haus, das unter dem Dach einen riesigen Heuschober beherbergt. Wir leben mit der Familie im Erdgeschoss, nach der Kernsanierung konnte ich den Heuschober zum Probenraum ausbauen. Da es bis auf eine Ausnahme keine glatten Wände und viel Holz gibt, ist die Akustik vorzüglich. Und 250 Quadratmeter bieten massig Platz auch für große Orchester, was uns gerade in der beginnenden Coronazeit entgegenkam. Wir konnten Musikerinnen und Musikern aus der Gegend eine Gelegenheit bieten, mit gebotenem Abstand zu proben. Nebenbei habe ich den Kuhstall umgebaut und mir dort ein kleines Tonstudio eingerichtet, um Mitschnitte zu erstellen. Meine Leidenschaft für Filmmusik führte dazu, etwas größer zu denken und mit knapp 130 Interessierten dann das Norddeutsche Film-Orchester zu gründen. Für drei Konzerte, die im Sommer im theater itzehoe stattfinden sollen, stelle ich gerade das neue Orchester zusammen. Auf unserer Website kann man sich dafür bis Ende Februar bewerben.

Endlich wieder Konzerte! Während des ersten Lockdowns ging ja gar nichts mehr. Sozusagen ein Filmriss …

Illemann: Genau. Als gemeinsames Musizieren nicht mehr möglich war, kam ich auf die Idee, ein virtuelles Orchester zu gründen und Konzerte zu streamen. Das Studio hatte ich zwischenzeitlich immer weiter ausgebaut. Zum Glück ist die Internetanbindung seit vergangenem Jahr mit einem Glasfaseranschluss bei uns hervorragend. Besser geht es nicht: Idylle und Hightech. In der Ferne sehen wir die großen Schiffe auf der Elbe vorbeiziehen, während wir hier in aller Ruhe arbeiten können. In der herrlichen Natur stört uns keiner, und wir stören auch keinen.

Mit dem virtuellen Orchester haben Sie in der ersten Coronaphase einen Weltrekord aufgestellt. Erzählen Sie mal!

Illemann: Im März 2020 habe ich meinen Bekanntenkreis aktiviert und die Noten von „Eye of the Tiger“ aus dem Soundtrack von „Rocky II“ zum Download bereitgestellt, dazu ein Klangbeispiel. Jeder sollte mit seinem Handy oder Computer ein Video erstellen, wie er mit seinem Instrument das Stück spielt. Die Ergebnisse habe ich zusammengeschnitten. Innerhalb von sechs Wochen haben mir etwa 500 Menschen aus zwanzig Nationen ihre Files zugeschickt. Und dann dachte ich mir: Prima, stellen wir einfach mal einen Weltrekord auf! Exakt 1320 Musikerinnen und Musiker fühlten sich angesprochen und machten spontan mit. Mit „Rock You Like a Hurricane“ von den Scorpions haben wir dann den Weltrekord eingespielt. Im Mai 2021 durfte ich im Auftrag der EU-Kommission zum Europatag die Europahymne mit meinem Online-Orchester spielen; damit habe ich den eigenen Weltrekord auf 1360 Musiker erhöht.

Sie peilen in diesem Jahr einen neuen Weltrekord an.

Illemann: Ja, wir planen die längste musizierende Menschenkette der Welt.

Was ist das Thema: Weltfrieden, Europa, Klimakrise?

Illemann: (lacht) Ach, so politisch aufgeladen muss es gar nicht sein. Nein, ich mache einfach gerne Musik mit anderen Menschen zusammen. Darum geht es. Wenn wir nicht auf der Bühne zusammenspielen können, dann eben an der frischen Luft in einer Kette. Abstand und Distanz sind ja gerade für uns Musiker maßgebliche Themen. Anderthalb Meter Abstand soll man im sozialen Kontext einhalten. Wir stellen uns je nach Instrument bis zu zehn Meter weit auseinander auf und bilden eine Strecke von ungefähr zwei Kilometern. Wir wollen zeigen, dass Distanz nicht immer nur ein Problem ist, sondern überwunden werden kann, wenn man sich zusammentut. Man kann in diesen Zeiten etwas Gemeinsames schaffen, wenn man nur will. Das Ganze wird von einem Filmteam dokumentiert. Das Rekord-Institut für Deutschland ist auch dabei und misst offiziell die Strecke.

Warum nicht das Guinness-Buch der Rekorde?

Illemann: Ach, die lassen sich das teuer bezahlen, damit man da drinstehen darf. Das Geld sparen wir uns lieber. Die Beteiligten können sich beim Rekord-Institut eine Urkunde bestellen. Aber eigentlich geht es ja nicht um das Papier, sondern um das gemeinsame Erlebnis.

Wann ist es soweit?

Illemann: Am 4. Juni. Im Frühsommer bei hoffentlich bestem Wetter.

Wer am Weltrekordversuch der längsten musizierenden Menschenkette teilnehmen möchte, kann sich bis zum 31.3.2022 anmelden. Hier geht es zur Anmeldung und zu weiteren Infos.

Bewerbungen beim Norddeutschen Film-Orchester für die Konzerte in Itzehoe sind überdies noch bis zum 28.2.2022 möglich. Weitere Infos dazu gibt es hier.

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