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Blickwinkel: Jörg Plagmann

„Der Mensch folgt nun mal seinem Bedürfnis nach Nähe“

Seit seiner Gründung 1986 ist Jörg Plagmann mit dem SHMF verbunden. Er leitet die Konzertorganisation der Stiftung Schleswig-Holstein Musik Festival und ist Geschäftsführer der SHMF Service GmbH.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Wie wird man ein Konzertorganisator?

Jörg Plagmann: Da gibt es keinen Königsweg. Man wächst mit seinen Aufgaben und den damit verbundenen Risiken. Nach dem Studium wurde ich Miteigentümer einer Konzertagentur und habe viele Veranstaltungen organisiert, bald auch extern für das Schleswig-Holstein Musik Festival. Mittlerweile veranstalten wir rund 200 Konzerte pro Jahr, die meist über den Sommer verteilt sind.

Wie läuft die Organisation eines Konzertes ab?

Plagmann: Voraussetzung ist die künstlerische Planung. Künstler, Repertoire und der Ort werden bestimmt und ob Rundfunk und Fernsehen mitbeteiligt sind. Wir fangen allerdings nicht erst drei Monate vor dem Konzerttermin an, sondern planen das ganze Jahr über. Ständig sind wir dabei, neue Spielstätten zu bewerten, mit Menschen zu sprechen. Das gefällt mir an meinem Job so gut. 79 Spielstätten an 51 Orten haben wir diesmal! Es ist wunderbar zu sehen, wenn Konzerte gelingen.

Wie unterscheiden sich die Abläufe in einem Konzerthaus und auf der Wiese?

Plagmann: In einem Konzerthaus liegen meist alle Genehmigungen vor. In der Regel gibt es eine feste Bestuhlung, Besucher-Toiletten, Verkehrswegweisungen und alle technischen Bedingungen, etwa Stromanschlüsse, die ein Konzert erst möglich machen. Für alles ist gesorgt bis hin zum Parkplatz. Es geht dann nur um die Musik. Auf der grünen Wiese …

… wie etwa im Park von Schloss Ahrensburg oder auf dem Gelände von Gut Altfresenburg bei Bad Oldesloe …

Plagmann: ist zunächst einmal nichts da. Ein Genehmigungsantrag mit Bestuhlungs- und Veranstaltungsplan muss formuliert werden. Dann kommen die zuständigen Behörden. Wenn der Antrag Aussicht auf Erfolg hat…

… Sie seufzen …

Plagmann: Ja, aber nicht wirklich. Die Bürokratie gibt es, aber sie ist kein Hemmnis und auch keine große Hürde. Sie ist ein Partner. Wir kennen uns alle, arbeiten alle freundschaftlich und zielorientiert. Alles wird geprüft, manchmal auch der Aufbau einer Bühne. Und das ist richtig so. Wir tragen große Verantwortung. Für Orte dicht am Naturschutzgebiet allerdings ist es sehr schwer, eine Genehmigung zu bekommen.

Wie geht es dann weiter?

Plagmann: Wenn die Genehmigung erteilt ist, beginnt eine sehr kleinteilige Arbeit. Wo kommen die Stühle her, wo die Toilettenwagen? Die Feuerwehr muss involviert werden. Sanitäter müssen engagiert werden. Das gilt für jeden Ort, der normalerweise kein Spielort ist, sei es eine Werft, die Elmshorner Trabrennbahn oder der Yachthafen in Strande. Das gilt selbst für das Feuerwehrmuseum in Norderstedt, das wir jetzt auch als Spielfläche entdecken werden.

Und dann gibt es ja noch den Faktor „Corona“

Plagmann: Die Pandemie beschert uns mehr Arbeit. Wir haben Hygienekonzepte auf der Grundlage dessen entwickelt, was im letzten Sommer möglich war. Dazu gehören die AHA-Regeln und alles, was unter den Oberbegriff „Corona Bestuhlung“ fällt: Schachbrettmuster, Duoplätze mit Abstand, ein spezifisches Wegeleitsystem. Jede Spielstätte stellt andere Bedingungen und braucht andere Lösungen. Ein Schloss ist anders strukturiert als eine Halle. Zudem sind wir angewiesen auf die örtlichen Gesundheitsämter. Oft geht es um die gleiche Sache, die aber anders interpretiert wird.

Der neue Job heißt „Hygienesteward“.

Plagmann: Unsere Hygienebeauftragten verfügen über eine Zusatzausbildung und weisen die Menschen freundlich auf Maske und Abstand hin. Der Mensch folgt nun mal seinen Gewohnheiten und seinem Bedürfnis nach Nähe.

Rund zwei Drittel aller Konzerte finden unter freiem Himmel statt. Das bestimmt auch das Repertoire.

Plagmann: In der Tat! Kammermusik beispielsweise lässt sich eigentlich nur schwer unter freiem Himmel aufführen. Durch die kleine Besetzung sind die Klänge zu zart und werden schnell vom Wind davongetragen oder von anderen Geräuschen überlagert. Da wir aber, bedingt durch unseren Schwerpunkt-Komponisten Franz Schubert, viel Kammermusik im Programm haben, wollten wir unbedingt trotzdem eine Lösung finden, solch ein Repertoire draußen aufzuführen. Und das ist uns auch gelungen: In Schleswig wird eine überdachte, raupenartige Open-Air-Bühne stehen, die eine fantastische Akustik – auch für zarte Klänge – bietet. Und auch für große Orchester bauen wir eine großzügige Bühne unter freiem Himmel auf: Sie steht auf dem malerischen Gelände von Gut Emkendorf und bietet unserem Publikum sicherlich ein ganz besonderes Konzerterlebnis.

Wie groß ist der Bedarf an zusätzlicher Technik?

Plagmann: Groß. An festen Orten braucht man keine akustische Verstärkung, weil die Akustik des Raumes die Musik zu jedem einzelnen trägt. Bei einer Open Air Veranstaltung zu Corona-Bedingungen hat man einen Ort voller Lücken, da weniger Menschen als sonst zugelassen werden. Die Distanzen kann man nur mit akustischer Verstärkung ausgleichen. Dazu braucht es sehr sensibles, versiertes Personal und eine sehr ausgefeilte Technik. Denn es geht ja nicht um basslastigen Schalldruck wie auf Rockkonzerten, sondern darum, dass die Menschen die Musik unmittelbar und unverfälscht erleben können.

Die Pandemie greift nicht nur in das Repertoire ein, sondern auch in die Arbeitsweise der Musiker.

Plagmann: Im letzten Jahr hatten wir mit dem Balthasar-Neumann-Ensemble ein PCR-Testkonzept entwickelt. Die Musiker ließen sich in einer bestimmten Reihenfolge testen, sie waren so für einen Zeitraum in einer Blase und konnten nebeneinander auftreten. Wir sind bereit, alles auf uns zu nehmen. Hauptsache wir spielen!

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