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Blickwinkel: Lang Lang

„Musik macht uns kreativer und sensibler“

Am 12. Dezember veranstaltet die „Lang Lang International Music Foundation“ ihr erstes virtuelles Konzert, das auf Lang Langs offiziellem YouTube-Kanal gestreamt wird. Im Interview erzählt der Pianist, welche Ziele er mit Projekten wie diesen verfolgt.

vonSören Ingwersen,

Herr Lang, wie ist die Corona-Situation derzeit bei Ihnen in Shanghai?

Lang Lang: Die Lage hat sich verbessert, man hat alles ganz gut unter Kontrolle. In fünf Tagen spiele ich hier ein Recital. Ich kann frei reisen und gehe auch auf Tour.

Im Dezember veranstaltet Ihre Foundation ihr erstes virtuelles Konzert unter dem Motto „Reaching Dreams Through Music“. Welche Idee liegt dieser Veranstaltung zugrunde?

Lang: Die Idee ist sehr einfach: Wir möchten Geld für Schulen in Europa, in den USA, Südamerika und anderen Teilen der Welt sammeln. In Zusammenarbeit mit den öffentlichen Schulen haben wir inzwischen in Nordamerika fast hundert Klavierschulen eröffnet, in denen nach dem „Keys of Inspiration“-Programm unterrichtet wird. In einem Unterrichtsraum mit 30 Keyboards unterrichtet jeweils ein Lehrer nach einer neuen Methode mit Unterstützung einer Computer-Software. Jeder Schüler hat ein Pad an seinem Keyboard, mit dem er das Unterrichtsprogramm verfolgen kann. Die Kinder sollen lernen, ihren Ohren einzusetzen und mit anderen zusammen zu spielen. Durch das Musizieren in einer großen Gruppe sind sie nicht auf sich allein gestellt und haben das Gefühl, Teil eines Orchesters zu sein. Wir sponsern außerdem auch Musiklehrer für öffentliche Schulen. Denn vielerorts bieten die Schulen keinen Musikunterricht an.

Wird man diese jungen Pianisten auch im Konzert im Dezember erleben?

Lang: Ja, viele Schulen beteiligen sich an unserem Programm. Zum Schluss werden mehr als 30 Schülerinnen und Schüler und ein Chor virtuell auftreten.

Ist das Konzert eine Antwort auf die Corona-Zeit?

Lang: Ja, leider ist es im Moment nicht möglich, diese Veranstaltung auf einer Bühne stattfinden zu lassen. Da wir dieses Jahr schon viele virtuelle Konzerte gegeben haben. Konnten wir Erfahrungswerte sammeln und neue Präsentationsmöglichkeiten entwickeln. So ist es für die Kinder am sichersten.

Sie haben Künstler aus ganz unterschiedlichen Bereichen wie der Rap-Musik, dem klassischen Ballett oder der Welt des Films eingeladen …

Lang: Wir haben großartige Gäste: Renée Fleming, Misty Copeland, Popmusiker wie Sam Smith Jazzmusikerin Diana Krall und den wunderbaren Regisseur Ron Howard. Das Besondere daran ist, dass jeder von Ihnen seine ganz eigene Sichtweise präsentiert, weshalb es so wichtig ist, sich mit Musik zu beschäftigen und ein Instrument spielen zu können.

Warum haben Sie sich nicht auf Künstler der klassischen Musik beschränkt?

Lang: Das gehört zum Konzept unserer Foundation-Events. Wir haben immer schon Musiker unterschiedlicher Genres eingeladen. In der Vergangenheit waren Sänger wie John Legend oder Sting bei uns zu Gast. Musik ist nicht nur klassischen Musik oder Jazz. Dementsprechend sollte musikalische Bildung sich nicht auf ein bestimmtes Genre festlegen, sondern allumfassend sein.

Was hat es mit dem Konzertmotto „Reaching Dreams Through Music“ auf sich?

Lang: Jeder Gast erzählt, wie Musik sein Leben geprägt hat, während ich die Veranstaltung moderiere und auch darüber reden möchte, wie musikalische Bildung im 21. Jahrhundert aussehen könnte. Wir haben heutzutage eine Technologie, die uns miteinander verbindet und uns ganz neue Zugänge ermöglicht. Deshalb sollten wir diese Technologie auch für den Unterricht nutzen. Das erleichtert den Schülern das Verständnis.

Aber Ihre Gäste werden nicht nur reden …

Lang: Natürlich nicht. Fast alle werden singen… Es ist ja eine Musikveranstaltung.

An welchen Orten befinden sich die Künstler während des Konzerts?

Lang: In der Regel werden sie von zu Hause aus oder von einem anderen sicheren Ort aus teilnehmen.

Noch einmal zurück zum großen Finale: Auf welche Weise werden die 30 Schüler miteinander musizieren?

Lang: Jedes Kind erhält seine Stimme von uns zugeschickt, übt es selbständig ein, nimmt es auf und schickt es uns zurück. Wir montieren dann alles zusammen. Ich habe das selbst auch getan und bin schon sehr gespannt, wie es klingen wird. Viele Kinder und junge Pianisten aus der ganzen Welt haben sich uns angeschlossen. Wir arbeiten ja nicht nur mit den öffentlichen Schulen zusammen, sondern bereiten mit unserem „Young Scholars Program“ auch rund zehn junge Pianisten weltweit auf die professionelle Laufbahn vor. Wir vermitteln ihnen bessere Lehrer, ermöglichen ihnen die Teilnahme an Sommercamps. Jeder von ihnen wird von uns zwei Jahre lang betreut. Auch diese Musiker werden sich an unserem Konzert beteiligen.

Sowie der Young People’s Chorus of NYC …

Lang: Ja, der Young People’s Chorus ist eine wunderbare Organisation, mit der wir seit vielen Jahren zusammen arbeiten.

Ist es technisch nicht sehr schwierig, so viele Menschen in einem virtuellen Konzert zusammenzubringen?

Lang: Das ist es. Aber wir haben eine gutes Produktionsteam und einen sehr guten Stage Director, der die Veranstaltung vom Computer aus koordiniert.

Ihre Ehefrau, die Pianistin Gina Alice, mit der sie seit einem Jahr verheiratet sind, ist ebenfalls mit von der Partie. Haben Sie das Konzept für „Reaching Dreams Through Music“ gemeinsam entwickelt?

Lang: Wir spielen ein Chopin-Nocturne vierhändig zusammen, und sie hat auch sehr viel zur Planung des Konzerts beigetragen. Sie liebt es, mit Kindern zusammenzuarbeiten. Das passt in diesem Jahr sehr gut, denn wir erwarten in zwei Monaten unser erstes eigenes Kind. Es ist also eine ganz besondere Zeit für uns, und wir haben das Programm mit sehr viel Liebe entwickelt, um die Kinder zu unterstützen.

Werden auch Sie den Zuschauern erzählen, warum Ihnen die Musik so wichtig ist?

Lang: Ich kann mir nicht vorstellen, wo ich mich heute ohne mein Klavier befinden würde. Musik hat mein Leben komplett verändert. Und das geht vielen Menschen so, ob sie nun professionelle Musiker sind oder es einfach nur lieben, Musik zu hören. Ich glaube, dass Veranstaltungen dieser Art mehr Einigkeit in der Welt stiften, dass sie positiv auf unsere Gefühle einwirken – besonders in Zeiten wie diesen.

Ein musikalisches Corona-Hilfsprogramm?

Lang: Wir haben im November 700 Keyboards an private Haushalte gespendet, deren Kinder jetzt nicht zur Schule gehen können. Ich habe viele Kinder gesehen, die sehr bewegt waren, als sie dieses Instrument erhalten haben. Viele fühlen sich derzeit sehr allein, haben Depressionen und spüren eine Leere im Herzen.

Kann Musik uns mehr Verantwortung und Empathie lehren?

Lang: Ich denke, Musik macht uns kreativer, einfallsreicher und sensibler. Ich habe durch die Musik leben gelernt. Und ich habe gelernt, ein Instrument zu spielen, um ein besseres, bewussteres Leben zu führen in dem Sinne, dass alle Stücke, die ich spiele, auf ihre Weise mit einer bestimmten Lebenserfahrung verknüpft sind. Man befindet sich also als Musiker in einem ständigen Austauschprozess.

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