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Blickwinkel: Lisanne Wiegand – Internationaler Weltfrauentag

„Fünf Jahre reichen da nicht aus”

Lisanne Wiegand ist Projektleiterin des Forum Dirigieren. Seit 1991 werden im Rahmen des Förderprogramms junge Dirigierende auf ihrem Weg ins Berufsleben unterstützt. Alle zwei Jahre vergibt das Forum Dirigieren auch den Deutschen Dirigentenpreis im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs, der im letzten Jahr unter Coronabedingungen stattfinden konnte. Neben einem vielversprechenden Preisträger aus Belgien offenbarte der Wettbewerb…

vonSusanne Bánhidai,

Der Deutsche Dirigentenpreis hat 2021 unter Pandemiebedingungen stattgefunden. Was mussten Sie dabei berücksichtigen?

Lisanne Wiegand: Um den Wettbewerb möglichst unbeschadet stattfinden lassen zu können, haben wir uns schon im Frühjahr parallel zur Ausschreibung auf ein Repertoire geeinigt, das den Bedingungen unter Corona standhalten würde, also auf Werke, die auch mit Abstandsregeln realisierbar sind. Alles fand in Absprache mit unseren Kooperationspartnern statt: dem Gürzenich-Orchester, dem WDR Sinfonieorchester, der Oper Köln und der Kölner Philharmonie. Die Jury konnte sich die Bewerbungs-Videos der jeweiligen Auswahlrunden im Homeoffice anschauen. Insgesamt hatten wir dieses Jahr dreimal soviele Bewerbungen wie vor zwei Jahren. 2019 waren es 91 Bewerbungen, letztes Jahr 274!  

Und in Anbetracht des Internationalen Frauentages: Gibt es immer noch deutlich weniger Frauen, die sich für das Pult begeistern?

Wiegand: Es gibt auf jeden Fall weniger Frauen, die ihrer Begeisterung für das Pult wirklich folgen. Unsere Frauenquote beim Wettbewerb betrug etwa dreizehn Prozent. Diese Quote zog sich rechnerisch bis in die Finalrunde, unter den letzten zwölf Bewerbern blieb eine Frau übrig: Barbara Dragan. Im Gespräch mit ihr berichtete sie, wie ihr immer noch die Frage gestellt wird: Wie fühlt man sich als Frau vor dem Orchester? Diese Frage wird Männern nie gestellt. Da muss noch viel Wasser einen beliebigen Fluss herunterfließen, bis sich in unserer Wahrnehmung etwas Entscheidendes ändert. Von einer geschlechtsspezifischen Parität unter Dirigierenden sind wir noch weit entfernt. 

Gewonnen hat den Wettbewerb der 26-jährige Belgier Dendievel, 26 Jahre alt, den das Forum Dirigieren seit 2018 fördert. Was hat ihn für diesen Preis ausgezeichnet?“

Wiegand: Er hat den Preis gewonnen, weil er, um den Jury-Vorsitzenden Markus Stenz zu zitieren, „die richtige Balance zwischen Alter und Fertigkeit“ mitbrachte. Er war der jüngste unter den Finalteilnehmern und überzeugte durch einen ausgereiften Dirigierstil.  

Gibt es denn einen Paradigmenwechsel im Führungsstil zu beobachten?

Wiegand: Als ausgebildete Dramaturgin kann ich sagen, dass ein solcher Paradigmenwechsel vor allem im Kontext von Theatern dringend notwendig ist. Hier halten sich seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, extrem problematische Machtgefälle in den Strukturen. Bei unseren Stipendiaten beobachte ich dagegen eine Veränderung hin zum Teamgeist. Zum Beispiel hörte ich neulich ein Statement, das ich symptomatisch für diesen Wandel fand: „Ich ziehe mich beim Dirigieren nie auffällig an, weil ich nicht möchte, dass es um mich geht, sondern um die Musik.“ Nicht mehr das Genie eines Dirigierenden steht im Mittelpunkt, sondern das gemeinsame künstlerische Schaffen, an dem jeder und jede – im Orchester oder am Pult – gleichermaßen beteiligt ist. 

Welche Impulse gehen in Bezug auf mehr weibliche Führungskräfte vom Forum Dirigieren aus?

Wiegand: Es fängt damit an, dass wir uns bemühen, dass in den Jurys Frauen annähernd paritätisch vertreten sind. Jedoch arbeiten wir über Generationen hinweg. Diejenigen, die heute unsere Mentoren und Mentorinnen sind, kommen aus anderen Zeiten. Deshalb dauert es sicher noch länger, bis sich hier etwas ändert. Da werden fünf Jahre nicht reichen. Für die Zukunft müssen wir auch abklopfen, welches Repertoire gespielt wird und wer unsere Kurse leitet. Im November hatten wir beispielsweise Kompositionen von Sarah Nemtsov und Hanns Eisler auf dem „Lehrplan“, denn die Dirigierenden von morgen können auch nur programmieren, was sie kennen. Das bedeutet, dass wir dafür sorgen müssen, dass das Schaffen von verschiedensten marginalisierten Gruppen – nicht nur Frauen – stärker in den Fokus aller Musikerinnen und Musiker rückt. 

Welche Resonanz erfahren Ihre Bemühungen?

Wiegand: Wir fangen gerade erst an, über so etwas zu sprechen, und befinden uns oft im Spannungsfeld von neuen Impulsen und dem, was unsere Kooperationspartner ermöglichen. Wir müssen Geduld haben. In dem Moment, in dem Dirigierende mit dem Forum Dirigieren in Kontakt kommen, sind schon sehr viele Entscheidungen getroffen. Daher müssen Maßnahmen zu einer geschlechtsneutralen Vermittlung des Dirigierberufes möglichst früh ansetzen! In unserer Gesellschaft spielen Geschlechterstereotype bei der Berufswahl eine große Rolle. Das spiegelt der Musikbereich wider, andererseits können wir Akzente setzen und Weichen stellen. Der Bereich des Chordirigierens ist da schon um einiges weiter. So erhielt Franziska Kuba letztes Jahr den Publikums-Preis des Deutschen Chordirigentenpreises, den das Forum Dirigieren seit 2016 regelmäßig in Kooperation mit dem RIAS Kammerchor ausrichtet.

Sind andere Länder bei der Förderung und Besetzung von weiblichen Führungskräften im Musikbusiness schon weiter?

Wiegand: Karina Canellakis ist seit 2019 Chefdirigentin des Radio Filharmonisch Orkest in den Niederlanden, Marie Jacquot, die auch Stipendiatin des Forums Dirigieren war, wird nun Chefdirigentin des Royal Danish Theater in Kopenhagen. Sie kam zum Dirigieren, weil sie als Jugendliche in ihrem französischen Dorf ein Laienorchester leiten durfte. Das war also ein glücklicher Zufall, der zu einer bemerkenswerten Karriere geführt hat. In Deutschland sind wir da etwas hinterher, hier hat sich die reine Anzahl von Frauen in GMD-Positionen in den letzten fünfzehn Jahren quasi nicht verändert, die Zahl der Chefdirigentinnen im Amt hat sich zwischen drei und vier eingependelt. Dennoch: Dass 2023 Joana Mallwitz, die auch Mitglied in unserem Beirat ist, Chefdirigentin eines Traditionsorchesters wie des Konzerthausorchesters Berlin wird, ist ein gutes Zeichen. Es wird sich etwas ändern. Wer weiß, wer in den nächsten zehn Jahren auf die frei werdenden Chefpositionen nachrückt?

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