Warum haben Sie Frau Grütters einen offenen Brief geschrieben?
Martin-Winrich Becker: Wegen der Initiative „Neustart Kultur“ und dem damit verbundenen Problem, dass kleine Veranstalter, und die gibt es in Deutschland zuhauf, gar keine Chance haben, einen Antrag hochzuladen. Hier werden wieder mal nur die Großen bedient.
Warum werden kleine Veranstalter ausgeschlossen?
Becker: Für einen Antrag müssen gewisse Auflagen erfüllt werden. Man muss zunächst entweder auf „Veranstalter“ oder „Festival“ klicken. Wählt man „Veranstalter“, kommt man an einen Punkt, an dem man als kleiner Veranstalter gar nicht weiterkommt, denn eine Bedingung ist, dass man mindestens 24 Konzerte im Jahr haben muss. Das ist eine Menge!
Haben Sie keine Hilfe beim Ausfüllen bekommen?
Becker: Das schon. Ich habe sofort zum Hörer gegriffen und in Berlin angerufen. Da habe ich den Tipp bekommen, über den Eingang „Festival“ zu gehen. Dann komme ich aber irgendwann an einen Punkt, an dem es heißt, dass man bei mindestens einem Konzert mindestens 900 Zuhörer haben muss. Also, wer sich das ausgedacht hat … Die Modalitäten, die bisher abgefragt wurden, können kleine Veranstalter niemals stemmen. Jetzt wurden diese Probleme zumindest wahrgenommen und es soll sich demnächst etwas ändern.
Klingt das nicht vielversprechend?
Becker: Es ist doch so, dass wir kleinen Veranstalter gar keine fünfstelligen Zuschüsse benötigen. In den Anträgen geht es los bei 75.000 Euro – dabei würde uns ein Zehntel davon schon helfen. Als ich deswegen eine sehr zornige E-Mail an „Neustart Kultur“ geschrieben habe, lautete die Antwort, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Geld zu verschenken hätte. Da ist mir der Atem gestockt.
Was hat die Politik Ihrer Meinung nach versäumt?
Becker: Die Politiker hatten ein Dreivierteljahr Zeit, um sich ein Konzept zu überlegen. Ein Konzept, wie man mit Corona ein einigermaßen normales Leben weiterführen kann. Aber unsere Bundesregierung hat nur mit Verboten gearbeitet, statt mit Geboten. Ich finde es besser, auf die Eigenverantwortung der Bürger zu setzen. Denn wir können doch nicht bis Mitte März schon wieder alles geschlossen halten. Ich möchte nicht wissen, was dann alles kaputt ist. Es fehlen mir wirklich Ideen und Konzepte, wie es weitergehen kann. Und ich finde, Klassikveranstalter in Deutschland, ob groß oder klein, haben bewiesen, dass in der Corona-Zeit auch Konzerte möglich sind.
Was ist Ihre Corona-Strategie?
Becker: Im Grunde bin ich ein resilienter Mensch. Aber irgendwann ist Schluss und man muss weiterdenken und man muss auch weitere Ideen haben. Und auch während der Corona-Krise habe ich neue Konzepte entwickelt für die Reihe im kommenden Jahr, zum Beispiel junge Musiker die erstmals aufeinandertreffen und zusammen musizieren.
Wie ist Ihr Blick in die Zukunft?
Becker: Viele der kleinen Veranstalter, mit denen ich telefoniert habe, haben mir gesagt, dass sie eigentlich keine Lust hätten, für das kommende Jahr zu planen. Ich befürchte, dass einige von ihnen 2022 gar nicht mehr existieren. Und das hieße dann, dass etliche Auftritte für Solo-Selbstständige wegbrechen würden. Das können die übriggebliebenen Veranstalter gar nicht alles auffangen. Das heißt, es wird weniger Konzerte geben. Darüber hat sich im Grunde genommen auch die Politik noch keine Gedanken gemacht.