Nach dem Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes trat zum 1. August auch das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz in Kraft. Damit wurden die im Zuge der seinerzeit nicht unumstrittenen EU-Urheberrechtsreform von 2019 entstandenen Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt. Für den Komponisten und Urheberrechtsaktivisten Matthias Hornschuh war dies ein entscheidender Schritt hin zu einer gerechteren Vergütung von Urhebern und Künstlern.
Seit 1. August ist das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) in Kraft. Worum geht es dabei?
Matthias Hornschuh: Da geht es um die Wertschöpfungslücke, den sogenannten value gap, der sich daraus ergibt, dass auf den großen Plattformen Wertschöpfung in erheblichem Umfang stattfindet, von der aber nur sehr wenig an diejenigen zurückfließt, ohne die diese Wertschöpfung gar nicht möglich wäre. Dieser value gap wird jetzt dadurch aufgelöst, dass Plattformen wie Facebook, Youtube oder Tiktok zu Verwertern erklärt und definitorisch in eine Position gebracht werden, in der sie eine Lizenz- und damit auch eine Vergütungspflicht haben. Damit ist automatisch auch eine Verpflichtung zur Abgabe von Nutzungsmeldungen verbunden.
Und was ändert sich nun konkret für Sie als Urheber?
Hornschuh: Es geht da nicht um die Bereiche der Plattformen, die bislang schon durchlizenziert sind, etwa Youtube Music, sondern um den Upload von user generated content, also jenen Videos – ich bleibe beim Beispiel Youtube –, die von den Nutzern hochgeladen werden. Dort findet der Wildwuchs statt, dem man begegnen muss. Dafür haben Plattformen wie Youtube längst ihre eigenen technischen Mittel. Deswegen war es auch einfach unanständig zu behaupten, dieses Gesetz führe zur Einführung von Upload-Filtern, denn die gibt es natürlich längst. Das Entscheidende ist, dass nun die Plattformen selbst in der Haftung sind. Seit dem 1. August habe ich als Urheber also eine Verhandlungsbasis oder vielmehr einen Anspruch, den ich durchsetzen kann. So richtig „konkret“ wird es aber erst nach und nach werden: Die GEMA ist zwar sehr gut vorbereitet auf das, was jetzt ansteht, aber in anderen Bereichen, darunter Bild und Wort etwa, müssen teilweise erst die Rechte eingeholt und die Strukturen aufgebaut werden, die die Verwertungsgesellschaften in die Lage bringen, das jeweilige Weltrepertoire im deutschen Markt lizenzrechtlich auch für den Onlinebereich zu vertreten.
Die eigentliche Arbeit für die Verwertungsgesellschaften geht also jetzt erst richtig los?
Hornschuh: Das ist ganz sicher so. Um mal einen kleinen Einblick in den Maschinenraum zu gewähren: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben gemeinsam mit der GEMA ein System aufgesetzt, das mittels Audio Fingerprinting, also einer automatisierten Inhalteerkennung plus Signatur, die Automatisierung von Nutzungsmeldungen ermöglichen soll – ein hochkomplexes und aberwitzig großes Projekt, bedenkt man, dass die gigantischen Archive der Rundfunkanstalten in Teilen erst noch digitalisiert werden müssen. Wenn sie dann digitalisiert sind, sind sie aber nicht unbedingt anschlussfähig an andere Datenstandards und Datenstrukturen. Die Frage ist nämlich, wie wir das Werk, das die GEMA vertritt, mit der Aufnahme, mit der die GEMA nichts zu tun hat, überhaupt matchen, also zusammenführen. Genau das wird auch im Binnenverhältnis zu den Plattformen geleistet werden müssen. Da wird gerade wahnsinnig intensive Arbeit geleistet, nicht unanstrengend, aber auch mit erstaunlichen Erfolgen. Es ist ein Beleg dafür, dass wir das alles grundsätzlich leisten können, dass wir aber ganz bestimmt nicht erfolgreich sein werden, wenn wir versuchen, es über das Knie zu brechen. Man muss sich die Zeit nehmen, diese Systeme wachsen zu lassen und dann allmählich so weit zu perfektionieren, dass auch eine Rechtssicherheit daraus entstehen kann.
Und bis es soweit ist?
Hornschuh: Solange müssen wir eben parallele Strukturen vorhalten, also die technische Inhalteerkennung perfektionieren und gleichzeitig händisch nacharbeiten, was zu einem erheblichen Personeneinsatz führt und somit auch Geld kostet. Und damit sind wir mitten in der Debatte um die Umsetzung der Richtlinie, weil genau das eines der wesentlichen Schlachtfelder zwischen den Rundfunkanstalten, den Verwertungsgesellschaften und den Urheberverbänden gewesen ist – Stichwort: „Auskunftspflichten“. Sollte diesen anlasslos nachgekommen werden? Sollten die proaktiv den Rundfunkanstalten abverlangt werden? Wie regelmäßig müssen die erfolgen? Aus Urheberperspektive kann man da sehr einfache Antworten geben: So oft wie möglich und so viel wie möglich, und es ist uns egal, ob das euch was kostet. Uns kostet es auf jeden Fall etwas, wenn ihr nicht vernünftig meldet. Aber natürlich ist die Perspektive der Rundfunkanstalten eine andere. Das hat zu einem ziemlichen Hauen und Stechen geführt, aber jetzt muss man halt gucken, dass man damit umgeht mit der neuen Situation.
Zieht das neue Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz beziehungsweise die gesamte Urheberrechtsreform an sich auch eine gerechtere Verteilung der Gelder unter den Künstlern mit sich?
Hornschuh: Da ändert sich tatsächlich was, wobei es in der Verteilung ja zwei Größen gibt: die des Kuchens selbst und dann die der Kuchenteile. Wie sich der Kuchen der Größe nach entwickeln wird, wissen wir nicht. Wir können aber sagen, dass mit einem Instrument wie den Direktvergütungsansprüchen bislang stets auch ein kleiner Zugewinn der Kuchengröße verbunden war. Aber allein dadurch würde das Gerechtigkeitsproblem noch nicht gelöst werden. Wenn wir über Verteilungsgerechtigkeit sprechen, müssen wir über das konkrete Binnenverhältnis zwischen Künstler und Verwerter, aber auch zwischen Künstler und Auftraggeber sprechen. Die Musiker der Band von Helene Fischer etwa bekamen für eine Session im Studio oder für einen Auftritt auf der Bühne eine Einmalvergütung. Wenn dann ein Fan ein Handymitschnitt eines Konzerts auf Youtube hochgeladen hat, dann konnte Helene Fischer über ihr Label eine Monetarisierung anstoßen, der Gitarrist oder der Trompeter waren aber nicht beteiligt, weil nämlich ihre Rechte für den Onlinebereich gar nicht geclaimt waren; die haben also eine Einmalvergütung bekommen. Jetzt aber muss jeder Beteiligte am Inhalt, der auf die Plattform kommt, auch an der Vergütung beteiligt werden. Das wird also mehr Geld für Teile der Branche bedeuten, und zwar insbesondere an der Basis.
Ich nehme mal an, dass die Schließung des von Ihnen erwähnten value gap trotzdem noch nicht vollendet ist. Wo ist denn Urheberrechtsreform zwischen „erster Schritt in die richtige Richtung“ und „Happy-End“ anzusiedeln?
Hornschuh: Bildlich gesprochen befinden wir uns gerade im digitalen Stellwerk, und die Weichen sind so gestellt worden, dass sie zumindest in Richtung Zukunft führen, in eine digitalisierte Zukunft. Und man darf dabei nicht aus dem Blick verlieren, dass die Weichen europaweit gestellt wurden. In den meisten europäischen Mitgliedsstaaten haben die Künstlerinnen und Künstler jetzt erstmals einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung für die Verwertung kultureller Leistungen. Das kannten die bislang gar nicht. Insofern mögen wir in Deutschland keinen irrwitzig großen Fortschritt gemacht haben zu dem, was wir vorher hatten, gleichwohl es immer noch ein bedeutender Fortschritt ist. Aber europaweit ist das Ganze eine Zeitenwende. In vielen Ländern haben Kolleginnen und Kollegen nun zum ersten Mal einen Klagegrund, wenn sie abgezockt wurden. Doch Zeitenwende hin oder her – am Ende mussten wir um etwas kämpfen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit hätte sein sollen: Wer Kultur macht auf Erwerbsbasis, der leistet Arbeit, und diese Arbeit ist zu vergüten. Punkt.