„Klassik für alle“ definiert sich als ein Kammermusikfestival verbunden mit sozialem Engagement. Erläutern Sie doch bitte einmal die genaue Konzeption des Festivals.
Jean-Pierre Schneider: Kultur und Soziales haben wir als Caritas immer wieder wechselseitig als sehr bereichernd erlebt. In der Vergangenheit haben wir dazu bereits zahlreiche Einzelprojekte realisiert. So haben wir beispielsweise mit einer Popband in einer Schule gearbeitet, mit Jugendeinrichtungen Theater- und Tanzaufführungen durchgeführt oder Konzerte in Seniorenheimen organisiert. Das hatte aber bis dato immer den Charakter eines Einzelprojekts, immer toll in der Begegnung, aber leider nur punktuell wirksam. Dennoch haben wir daraus immer die Erfahrung ziehen können, dass etwas Neues und Gemeinsames entsteht, etwas, das Menschen verbindet. Und natürlich ist es das, was wir als Caritas erreichen wollen, nämlich dass Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ihren Mobilitätsanforderungen und ihrem Einkommen miteinander solche Verbindungen mittels Kultur erleben. Als dann die Chance kam, mit Nils Mönkemeyer an einem Festivalzusammenzuarbeiten, das zudem nicht nur aus Konzerten besteht, haben wir die Chance ergriffen. Das Besondere daran sind die verschiedenen Komponenten des Festivals. Zum einen sind es die Konzerte, bei denen sich für uns die Frage stellt, wie man den Zugang ermöglichen kann. Oftmals scheitert es an der Mobilität, so dass wir Begleitungsmöglichkeiten organisieren. Ein anderes Mal scheitert es am Einkommen, weshalb Herr Mönkemeyer mit uns ein Patenticketsystem entwickelt hat. Das Zweite sind die kleinen Settings, bei denen Herr Mönkemeyer in einer Einrichtung spielt, bei Obdachlosen Musik macht oder vor psychisch kranken Menschen auftritt. Dort sind die Menschen eben nicht auf ein Konzert eingestellt, sondern erleben Musik in ihrem Alltag, so dass ein Miteinander entsteht. Wir sehen unsere Aufgabe natürlich auch darin, eine Stadtgesellschaft zusammenzubringen. Es geht um Teilhabe im Sinne von Solidarität und Gemeinsamkeit. Die dritte Komponente sind die Begleitveranstaltungen, bei denen Herr Mönkemeyer mit den Menschen in unseren Einrichtungen in den direkten Kontakt geht und über Musik aber auch über Motivationen, Sorgen und Ängste spricht. Musik soll somit zum Gegenstand der Menschen werden.
Wie begeistert man Menschen für klassische Musik, die mit dem konventionellen Konzertbetrieb eigentlich keine Berührungspunkte haben?
Schneider: Der konventionelle Konzertbetrieb ist ja häufig so gestaltet, dass Menschen Zugangshemmnisse haben. Viele tun sich schwer mit der Frage, wie man sich kleidet, wie man an Tickets kommt oder wie man zu den Konzerten gelangt. Wir konnten bei „Klassik für alle“ erleben, welche tollen Erfahrungen diese Menschen gemacht haben, die zum ersten Mal in einem klassischen Konzert waren und tief von der Musik berührt waren. Einfach weil ihnen jemand geholfen hat, diese Zugangshemmnisse zu überwinden. Wir erleben es häufig, dass Menschen etwas erleben möchten, aber wir ihnen dabei Unterstützung geben müssen, diesen Schritt zu gehen. Die Offenheit für klassische Musik ist viel größer als wir sie oft in den realen Konzertsettings erleben.
Greten: Ich glaube, bei „Klassik für alle“ geht gar nichts ohne Nils Mönkemeyer. Er kam damals zu unserer Wohnungslosenhilfe und hat uns angeboten, etwas für uns und mit uns zu machen. Dann haben wir uns natürlich gefragt, was wir aus diesem Angebot machen können und haben schließlich in einem ganz kleinen Team mit Herrn Mönkemeyer zusammen die Festivalidee entwickelt. Die erste Idee war die Patenticketaktion, um die Teilhabe für viele zu erleichtern. Dann kamen die kleinen Hauskonzerte dazu, die beispielsweise in einem Treppenhaus in einer Sozialpsychiatrie stattfinden. Herr Mönkemeyer hat da eine ganz eigene und wertschätzende Art, die sehr nachhaltig ist. Es ist mittlerweile schon so, dass ihn die Menschen als Freund wahrnehmen. Hinzu kommt das Workshop-Angebot der sogenannten Festivalreporter. Herr Mönkemeyer hat dazu einen Journalisten vom Bayerischen Rundfunk engagiert, um mit Menschen aus verschiedenen Einrichtungen über das Festival sowohl in Print, in Videos oder Interviews zu berichten. Viele von ihnen haben dabei ihre Talente entdeckt, die sie mit Unterstützung unserer sozialpsychiatrischen Begleitung weiterentwickeln.
Wie erfolgt die Umsetzung des Festivals in diesem Jahr vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie?
Schneider: Wir haben entschieden, dass wir an der Planung festhalten möchten. Wichtig ist für uns dabei, den Faden nicht loszulassen. Das ist eine wechselseitige Verantwortung, die wir sowohl für unsere Klienten als auch für das Projekt und die Künstler haben. Eben eine Grundlage, auf der wir auch in diesem schwierigen Jahr versuchen werden, die Dinge so gut es geht zu gestalten. Im letzten Jahr gab es beispielsweise ein Konzert in einem Seniorenheim, bei dem Demenzkranke und alte Menschen an den Fenstern standen und die Musik auf dem Hof verfolgen konnten.
Greten: Letztes Jahr war die Situation ja bereits ähnlich. Da haben wir das Festival zunächst verschoben. Nils Mönkemeyer ist aber dennoch gekommen und hat zwei Open-Air-Konzerte gegeben. Die waren dann nicht so lang, aber immerhin konnten viele Menschen trotz Pandemie ein Konzert genießen. Bei den Indoor-Konzerten stellte das Ernst-Moritz-Arndt-Haus mit einem ausgefeilten Hygienekonzept sicher, das Konzerte möglich waren. Für dieses Jahr haben wir nun den August im Blick. Für die Künstler ist es im Moment natürlich sehr schwierig, da sich all ihre Termine verschieben. Jetzt hoffen wir, dass wir dann zumindest in einer abgespeckten Form öffentliche Konzerte anbieten und drum herum auch wieder ein Workshop-Programm stricken können. Zudem werden auch wieder kleine Hauskonzerte stattfinden. Wahrscheinlich jedoch wird es ganz schwer werden, überhaupt Veranstaltungsorte zu finden, was uns veranlasst, den Schwerpunkt in diesem Jahr vor allem auf den integrativen Aspekt zu setzen. Wenn ich von „uns“ spreche, meine ich immer Nils Mönkemeyer mit seinem Kreativteam und einzelne Mitarbeitende der Bonner Caritas. Unser gemeinsames Team besteht im Prinzip aus fünf Leuten, die sehr eng zusammenarbeiten und das Konzept weiterentwickeln.
Wie funktioniert das von Ihnen angesprochene Konzept der Patentickets?
Greten: Menschen, die reguläre Tickets kaufen, können auch Tickets spenden. Diese Patentickets kosten zehn Euro weniger als die normalen Tickets. Das Konzept dabei ist, dass bedürftige Menschen nicht an die Kasse kommen und dann sagen müssen, dass sie arm sind und ein Patenticket benötigen. In dem Fall drucken wir die Karten selber bei uns und vergeben diese dann über unsere Einrichtungen.
Gehen Sie denn gezielt auf diese Menschen zu und erfragen ein mögliches Interesse?
Schneider: Wir sind da auf vielen Schienen parallel unterwegs: Zum einen in den Einrichtungen, zum anderen aber spielt sich ein ganz großer Teil unserer Arbeit ambulant ab. Das bedeutet, dass wir in den Stadtteilen präsent sind und natürlich auch in den sozialen Netzwerken. Aber ein großer Teil funktioniert tatsächlich über konkrete Ansprache. Natürlich spielt die klassische Öffentlichkeitsarbeit für die großen Konzerte auch eine Rolle. Dazu haben wir in Bonn auch eine vor zwei Jahren gegründete Kulturtafel, wo wir die Möglichkeit haben, die Menschen zu erreichen.
Gibt es abseits der aktuellen Corona-Auflagen auch andere behördliche Hürden, Konzerte in Treppenhäusern, Fluren und Gängen zu veranstalten?
Schneider: Die internen Konzerte finden ja wegen Corona draußen im Garten oder vor den Einrichtungen statt. Da gibt es überhaupt keine Schwierigkeiten. Wenn es hygienetechnisch machbar ist, nutzen wir die Aufenthaltsräume unserer zahlreichen Einrichtungen, die sich auch gut für Konzerte eignen. Dann mit erheblich kleinerer Zuschauerzahl. Mit einem einzelnen Musiker und einer Handvoll Zuschauern ist das überhaupt kein Problem. Akustisch ist das übrigens gar nicht so uninteressant.
Wie finanziert sich das Festival? Arbeiteten die Musiker alle ehrenamtlich?
Greten: Das Festival finanziert sich aus Eintrittsgeldern und Spenden. In diesem Jahr unterstützen wir das Festival über die Caritas Stiftung Bonn mit einem eigenen Budget. Herr Mönkemeyer macht es natürlich ehrenamtlich. Die Künstler, die er für das Festival engagiert, bekommen in den meisten Fällen nur eine Aufwandsentschädigung. Denn viele wollen das Festival unterstützen, weil sie von der Idee begeistert sind. Ein großer Teil generiert sich aus den Konzert-Tickets. Zudem gibt es mittlerweile Stiftungen, die den einen oder anderen Betrag spenden. Auch bei einem Medienworkshop können nicht alle ehrenamtlich arbeiten. Natürlich hat man auch die üblichen Kosten für die Säle, Übernachtungen oder auch den benötigten Klavierstimmer.
Schneider: Man muss die Sache ganz klar auf den Punkt bringen: Ohne ein großes ehrenamtliches Engagement und ohne finanzielle Förderung wäre auch für uns so ein Projekt undenkbar.
Mit wie vielen Konzerten rechnen Sie in diesem Jahr?
Greten: Man muss hier noch klarstellen, dass die Konzerte in den Gängen und Treppenhäusern der Einrichtungen nicht für jedermann zugänglich sind. Das findet mehr oder weniger in einem erweiterten Klienten-Kreis statt. Wenn wir über die offiziellen Konzerte in Festsälen und Kirchen sprechen, sind es eigentlich vier Konzerte inklusive einer Matinee. Mit ganz viel Glück werden es in diesem Jahr drei. Bei den internen Konzerten sprechen wir auch von drei Veranstaltungen.
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