Heute tendiert alles dazu, immer größer, immer lauter zu werden. Welche Rolle kommt in diesen Zeiten der Kammermusik zu?
Niklas Schmidt: Es gibt viele Menschen, die sich gerne große Orchester anhören, und natürlich gibt es auch immer Leute, die lieber Kammermusik hören wollen. Mein Empfinden als Musiker ist allerdings, dass die Ernsthaftigkeit, Kammermusik zu machen, bei vielen nicht mehr so da ist. Als ich jung war, dachte ich: Ich mache jetzt Kammermusik und das ist mein ganzes Leben. Heute gibt es das so nicht mehr. Kammermusik hat so eine reichhaltige, feine Literatur. Das ist schon eine Lebensaufgabe und auch eine große Freude, aber man muss sich dafür auch ein bisschen hinter die Musik stellen. Die Disziplin, die Eigenverantwortung für das, was man tut, die sehe ich nicht mehr. Man kann das natürlich nicht verallgemeinern, aber ich empfinde es so.
Woran könnte das liegen?
Schmidt: Am Zahn der Zeit, würde ich sagen. Es finden sich auch immer weniger Musiker zu festen Trios oder Streichquartetten zusammen, das sehe ich auch an meinen Studierenden. Viele kennen kaum noch namhafte Trios oder Quartette. Vielleicht liegt das auch ein bisschen daran, dass man heute immer und überall alles hören kann, was man will. Viele haben ja heute gar keinen CD-Player mehr, es geht oft nur noch um iClouds und YouTube. Man guckt sich eine Minute lang dieses an, dann jenes… Ich glaube, die Menschen haben die Zeit nicht mehr, sich hinzusetzen und mal länger als drei Minuten zuzuhören.
Und das war früher anders?
Schmidt: Ich habe ja mit dem Trio Fontenay eine goldene Zeit erlebt. Die Leute saßen bei Konzerten um einen herum auf der Bühne, der Saal war rappelvoll. Es war eine unglaubliche Stimmung! Das hat natürlich nachgelassen, ebenso die festen Beziehungen zwischen Künstlern und Veranstaltern. Jetzt gibt es ganz viele Konzertreihen oder Festivals, die an einem seidenen Faden hängen. Ich will da nicht schwarzmalen, aber es hat sich schon verändert, und Corona hat dem natürlich nochmal den Dolchstoß gegeben.
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Bedeutung von Kammermusik ausgewirkt?
Schmidt: Das ist schwer zu beantworten, denn es gibt auf der einen Seite das Allgemeine, das Weltweite, dann es gibt das Regionale, die persönliche Ebene. Als Corona angefangen hat, wusste man nicht, was man tun sollte. Viele haben dann ja angefangen, Konzerte via YouTube, Facebook, Instagram und so weiter zu geben. Zwar nicht immer vom Feinsten, aber immer umsonst. Meiner Meinung nach war das ein Fehler. Ich fand es toll, wenn die Leute sich mit ihren Instrumenten vor die Altersheime gestellt haben, weil die Leute dort wirklich nicht rauskonnten. Aber vielen ging es um eine Art der Selbstdarstellung, die ich zwar verstehen kann, weil man zeitweise wirklich verzweifelt war. Aber ich denke, es war insgesamt nicht sehr förderlich für die Branche.
In Zeiten von Mindestabständen und begrenzten Personenzahlen war für eine ganze Weile – wenn überhaupt – nur die Aufführung von Kammermusik möglich.
Schmidt: Aber auch das war nicht immer einfach. Ich unterrichte ja Cello und Kammermusik an der Musikhochschule in Hamburg. Cello konnte ich natürlich online unterrichten, was auch gar nicht so schlimm war. Aber Kammermusik war nicht möglich, denn man durfte sich ja nicht treffen. Und dann ist Kammermusik trotzdem in den Konzertsälen das erste, was man wieder machen kann. Voraussetzung ist natürlich, dass die Gruppe an einem Ort ist, was jedoch nicht immer der Fall war. Manche hingen im Ausland fest, teilweise über ein Jahr. Das war schon ganz schön schwer, gerade für junge Musiker.
Wird sich die Rezeption von Kammermusik in Zukunft verändern?
Schmidt: Das ist ein ganz schmerzhafter Punkt. Es gibt ja immer neue Modelle. Heute muss man häufig erklären, was man tut. Man muss die Musik vermitteln können. Ich respektiere das, halte es aber eigentlich nicht für notwendig. Ich möchte ins Konzert gehen, es spielt jemand, ich höre zu, ich habe Respekt davor, aber da bleibt eine Barriere zwischen Künstler und Publikum. Manchmal braucht es gar nicht mehr. Die Studenten müssen dieses Vermitteln heute lernen, auch an der Hochschule. Ich finde es toll, wenn man so sprechen kann. Aber diese Relation zwischen Vermittlung und purem Musikgenuss stimmt für mich nicht mehr. Man muss das Stück doch so spielen können, dass die Information auch ohne Erklärung rüberkommt.
Das International Mendelssohn Festival geht jetzt schon ins siebte Jahr. Was ist die Philosophie des Festivals?
Schmidt: Die ganze Philosophie von Mendelssohn spielt da natürlich mit rein: Mein Urururgroßvater war Moses Mendelssohn, der Großvater von Felix. Viele angeheiratete Mitglieder der Familie Mendelssohn sind also quasi meine Urgroßtanten und all sowas. Daher hatte ich auch schon immer den Wunsch, so ein Festival zu machen. Felix ist in Hamburg geboren, was viele gerne vergessen. Meistens denkt man bei Mendelssohn zuerst an Berlin oder Leipzig. Das Festival ist für mich eine sehr persönliche Sache, die ständig gewachsen ist. Dieses Persönliche fällt bei größeren Festivals, wie ich sie ja auch schon mitorganisiert habe, oft weg.
Nach welchen Kriterien haben Sie das Programm zusammengestellt?
Schmidt: Ich sammle immer Ideen im Laufe des Jahres und schaue, was ich unbedingt mal machen möchte, was ich kombinieren will, was meine Freunde, die beim Festival auftreten, auch gerne spielen würden. Und dann entsteht einfach aus sich heraus etwas, mit einem großen inneren Zusammenhang. Aber eigentlich gibt es keine Kriterien. Es ist einfach schön, so zusammenzukommen und Musik zu machen. Die Stimmung ist immer toll und es sind phänomenale Leute dabei wie Michele Campanella, das Auryn Quartett, das Fine Arts Quartet, in dem ich selber spiele, der Oboist Jean-Louis Capezzali und viele andere großartige Musiker.
Wie sieht es mit Neuer Musik aus?
Schmidt: Ich habe schon sehr viele Festivals und Konzertreihen organisiert und habe immer viel Neue Musik mitintegriert. Aber dieses Mendelssohn Festival eignet sich nicht unbedingt dazu. Laut Robert Schumann hat Mendelssohn mal gesagt, er möge keine moderne Musik – nur das zweite Klavierkonzert von Chopin, das würde er gern mal spielen. Ich möchte mehr Unbekanntes statt Neues Aufführen. Jetzt kommen zum Beispiel ein Briccialdi-Quintett und andere Werke wie die Bagatellen mit Harmonium und Streichtrio von Dvořák oder auch Franz Liszts Klaviertrio „Tristia“– alles unglaublich tolle Musik, die kaum jemand kennt! Aber gerade deshalb ist es ja doch irgendwie auch modern.