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Blickwinkel: Vera Hefele & Teresa Trunk

„Wir wollen keine Vorschriften machen“

Vera Hefele und Teresa Trunk arbeiten mit ihrem Projektbüro WHAT IF an betriebsökologischen Nachhaltigkeitskonzepten für Kulturinstitutionen.

vonJohann Buddecke,

Sie möchten mit Ihrem Projektbüro WHAT IF dazu beitragen, dass die Kulturbranche nachhaltiger wird. Ist die Kulturbranche denn wenig nachhaltig? Wie ist der Status Quo?

Teresa Trunk: Die Kulturbranche momentan als nachhaltig zu bezeichnen wäre verfrüht. Dennoch ist vor allem im letzten Jahr, auch während Corona, viel passiert. Es haben zum Beispiel verschiedene Konferenzen zu dem Thema stattgefunden. Außerdem wurde im letzten Herbst das Aktionsnetzwerk für Nachhaltigkeit in Kultur und Medien, was von der BKM gefördert wird, gegründet. Mittlerweile machen sich auch immer mehr Kulturinstitutionen auf den Weg, nachhaltiger zu werden. Es gab auch Anfang des Jahres ein Pilotprojekt von der Kulturstiftung des Bundes, bei dem neunzehn Kulturinstitutionen eine Klimabilanz erstellt haben. Die ersten Schritte werden sozusagen gemacht, dennoch bleibt viel zu tun.

Sie bieten dazu individuelle Konzepte für Kulturinstitutionen an, um diese dann in ihrer nachhaltigen Praxis zu unterstützen. Wie sehen diese Konzepte aus? Wie gehen Sie vor? Wo setzen Sie an?

Vera Hefele: Das Allerwichtigste ist zunächst, sich den Status Quo anzuschauen. Oftmals gibt es bereits nachhaltige Vorgänge. Da gilt es dann erstmal zu gucken, wo die Institutionen stehen. Wir schaffen also eine Datengrundlage, erstellen eine Klimabilanz, ähnlich wie es die Institutionen getan haben, die jüngst an dem Pilotprojekt der Kulturstiftung des Bundes teilgenommen haben, und schauen dann, wo überhaupt die Treiber sind. Natürlich ist es von Haus zu Haus unterschiedlich. Bei Festivals, zu denen das Publikum von weiter weg anreist, ist die Publikumsmobilität natürlich ein großer Treiber. An anderen Häusern ist es vielleicht eher der Energieverbrauch, bei dem man ansetzen muss. Aus dem Status Quo ergeben sich dann Handlungsfelder und Potenziale. Daraus wiederum gilt es Ziele abzuleiten, die man wiederum in kurzfristige und langfristige Ziele staffeln kann, da eventuell größere Investitionen nötig sind. Wir schauen immer darauf, was für das jeweilige Haus leistbar ist und wo Prozesse mit möglichst wenig Aufwand so verändert werden können, dass sie einen größtmöglichen Output haben. Deswegen ist es wichtig, individuell zu gucken und nicht einen pauschalen Weg auf alle möglichen Institutionen und Häuser anzuwenden.

Aus einer Studie von Ihnen aus dem letzten Jahr geht hervor, dass sich 84% der Kulturinstitutionen Unterstützung wünschen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Das Bewusstsein scheint also da zu sein, eigene Lösungen haben die Häuser nicht?

Vera Hefele: Ich glaube nicht, dass es der Kulturbranche an Ideen fehlt. Wir wissen ja alle, dass es gerade diese Branche ist, die für alle möglichen Probleme kreative Lösungen findet. Es scheitert da eher an anderen Dingen – dass beispielsweise im Tagesgeschäft oftmals die Kapazitäten fehlen, sich intensiv mit einem nachhaltigen Transformationsprozess zu beschäftigen. Eine externe Unterstützung kann da helfen, den nötigen Input zu liefern, den Fortschritt zu analysieren und eine Art Controlling durchzuführen. Natürlich ist das Know-how auch kein unwesentlicher Punkt. Man hat natürlich gewisse Vorstellungen und Ideen, wo man Prozesse verändern kann. Aber an der einen oder anderen Stelle ist dann das Fachwissen eben eine hilfreiche Ressource, die man sich von außen dazu holen sollte. Man muss dazu sagen, dass wir unsere Studie im Mai 2020 durchgeführt haben, was schon eine Weile her ist. In der Zeit hat sich einfach sehr viel getan. Der Wille, nachhaltiger zu werden, ist in unserer Wahrnehmung eher gestiegen.

Woraus entsteht denn der Wille der Kulturinstitutionen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen? Wächst da ein gesellschaftspolitischer Druck? Oder steht da mitunter der Wille dahinter, sich ein Gütesiegel für Verantwortungsbewusstsein und Klimaschutz zu verleihen.

Teresa Trunk: Da gibt es verschiedene Aspekte. Die Kulturinstitutionen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben meist konkrete Vorstellungen. Sie sehen sich als Teil einer Gesellschaft, die sich in ihrer Gesamtheit immer mehr in der Verantwortung sieht, das Klimaproblem in den Griff zu bekommen. Daraus ergibt sich in der logischen Folge eben auch die Verantwortung für eine Kulturinstitution, sich an der Lösung des Problems zu beteiligen und Strategien im eigenen Rahmen zu finden. Damit im Einklang steht auch die viel besprochene gesellschaftliche Relevanz. Denn wer sich bei einem für die Gesellschaft relevanten Thema rausnimmt und sagt, dass es ihn nicht betrifft, kann sich damit möglicherweise auch disqualifizieren. Ein anderer Punkt ist natürlich auch, dass in absehbarer Zeit immer mehr Regelungen und Gesetze in Kraft treten werden. Heute schon ist die Kulturstiftung des Bundes dabei, Nachhaltigkeitskriterien in ihre Förderkriterien zu integrieren. Da kommt es dann natürlich zu Wechselwirkungen.

Wie aufrichtig sind diese Entscheidungen? Gesetze werden seitens der Politik beschlossen und nicht von Kulturschaffenden. Es muss also nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Kulturinstitutionen alles gutheißen, was ihnen politisch vorgeschrieben wird, gerade wenn es mit erheblichen Investitionen einhergeht.

Vera Hefele: Uns zeigen die Bewegungen in der Kulturbranche, dass es größtenteils intrinsische Motivationen sind, Transformationsprozesse anzugehen. Noch gibt es ja keine nennenswerten Vorschriften, die das Thema Nachhaltigkeit betreffen. Im Gegenteil. Wir sind weit davon entfernt, dass irgendetwas verpflichtend ist. Und dass da jetzt schon eine so starke Bewegung entsteht, zeigt uns, dass das Interesse aus den Institutionen selbst kommt.

Woran lässt sich der Erfolg messen und ab wann ist eine Kulturinstitution nachhaltig?

Teresa Trunk: Um etwas im Sinne von Zahlen messbar zu machen, wird eine Klimabilanz erstellt. Wir ermitteln einen CO2-Fußabdruck, den wir dann mit entsprechenden Maßnahmen zu reduzieren versuchen. Uns ist es ganz wichtig, nicht gleich von einer vollständigen Klimaneutralität zu sprechen, da dies ein langfristiges Ziel ist. Der Weg dahin ist allerdings länger als man denkt, und deswegen muss man auch die kleinen Erfolge beachten, die man jährlich an der Reduktion des CO2-Fußabdrucks messen kann.

Vera Hefele: Ich glaube man kann den Erfolg aber auch daran messen, dass die Kulturinstitutionen insgesamt einen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben und Diskurse lostreten, so dass unser Anliegen auch auf diesem Weg zu den Menschen kommt. Da steckt viel Potential.

Wissen Sie, wie das Publikum auf Ihre Nachhaltigkeitskonzepte reagiert?

Teresa Trunk: Von dem, was wir beispielsweise über die sozialen Medien mitbekommen, ist die Resonanz durchaus positiv. Die Menschen finden es natürlich toll, wenn ihre Kulturinstitution sich im gleichen Maße engagiert, wie sie es möglicherweise im privaten Umfeld auch tun.

Vera Hefele: Es bestand lange der Eindruck, dass das Thema Nachhaltigkeit zwar im privaten Rahmen diskutiert und vielfach umgesetzt wird, aber das Engagement der großen Institutionen fehlt. Dass sich das ändert, wird sowohl von Besucher*innen als auch Mitarbeiter*innen positiv aufgenommen. Gleichzeitig muss man aber auch dazu sagen, dass vieles von dem, was wir im Rahmen unserer Arbeit machen, im Hintergrund passiert. Ein plakatives Beispiel: Wie der Strom erzeugt wird, der die Bühne beleuchtet, sieht das Publikum nicht, ist aber entscheidend für den CO2-Fußabdruck.

Wie weit reichen Ihre Konzepte? Würden Sie so weit gehen, den künstlerischen Betrieb mit Maßnahmen einzuschränken, um mehr Nachhaltigkeit durchzusetzen?

 Teresa Trunk: Es ist tatsächlich eine Gratwanderung, weil wir natürlich finden, dass die Freiheit der Kunst ein sehr hohes Gutes ist, das nicht angegriffen werden sollte. Man kann aber natürlich in der heutigen Zeit das Argument „Kunst ist Verschwendung“ des Öfteren auch mal infrage stellen. Vielleicht kann man auch hinterfragen, ob vieles noch zeitgemäß ist. Wir wollen dennoch keine Vorschriften machen. Wir entwickeln mit den Häusern gemeinsame Konzepte, und zwar erst einmal um das Bühnengeschehen herum, mit dem Ziel, die Betriebsökologie des Hauses zu verbessern. Was auf der Bühne passiert, bleibt unangetastet. Der betriebsökologische Habitus schlägt sich vielleicht irgendwann auch im künstlerischen Denken nieder. Wenn sich die Gesellschaft längerfristig wandelt, werden verschwenderische Inszenierungen auch beim Publikum möglicherweise nicht mehr auf große Akzeptanz stoßen.

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