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Blickwinkel: Veronika Petzold

„Die Freude am Singen ist ungebrochen“

In Berlin hat der Deutsche Chorverband nun ein neues Zuhause gefunden – und will von hier aus verstärkt Lobbyarbeit für Amateurensembles betreiben.

vonChristian Schmidt,

Große Namen fanden sich dieser Tage zusammen, um in Berlin-Neukölln mit dem Deutschen Chorzentrum die neue eigene Heimstatt des Deutschen Chorverbandes mit seiner 160-jährigen Tradition zu eröffnen. Dessen Präsident Christian Wulff, einst Oberhaupt der Bundesrepublik, freute sich über die Aufbruchstimmung, die gerade nach der Pandemie extrem wichtig sei, verbinde das gemeinsame Singen doch „Menschen unterschiedlicher Herkunft und Weltanschauung“ und schaffe Gemeinschaft. „Chöre sind das wirksamste Mittel gegen Einsamkeit in unserer Gesellschaft.“ Im Interview erläutert Verbandsgeschäftsführerin Veronika Petzold die Vorzüge des neuen Zentrums.

Wofür braucht die Welt das Deutsche Chorzentrum?

Veronika Petzold: Die deutsche Chortradition mit ihrer langen Geschichte ist ein wichtiger Teil unserer Kulturlandschaft. Schon im 19. Jahrhundert entstand die bürgerliche Chorbewegung, danach folgten die Arbeiterchöre. Wir haben also einen tief wurzelnden demokratischen Ursprung. Nach so vielen Jahrzehnten bekennt jetzt auch der Staat, der enorme Fördermittel aus Bundes- und Landesebene beisteuert, dass er die Rolle der Amateurchöre in Deutschland für wichtig hält.

Wie heterogen ist denn die Chorlandschaft in Deutschland?

Petzold: In Großstädten wie Berlin ist die Dichte sehr hoch. Wegen der anhaltenden Landflucht sammelt sich natürlich in Ballungsräumen auch das kulturelle Leben. Auf dem platten Land erleben wir durchaus einen Schwund. Darüber hinaus gibt es ein eindeutiges Nord-Süd-Gefälle: Je weiter man nach Süden kommt, wo ohnehin die Vereinsdichte historisch gewachsen höher ist, desto vielfältiger die Chorszene und desto besser sind auch die Rahmenbedingungen, was Förderung, Probenräume oder den Konzertbetrieb betrifft.

Wie stark bremst Corona?

Petzold: Ich bin da nicht fatalistisch. Die Pandemie hat viel Kreativität freigesetzt, etwa für neue Formen der digitalen Proben- und Konzertarbeit. Weil alle in derselben Weise eingeschränkt wurden, gab es auch eine große Solidarisierungswelle untereinander. Das hat gezeigt: Die Gesellschaft braucht Kultur in der Breite. Vielleicht müssen wir noch ein Jahr warten, um einschätzen zu können, wie viele Chöre den Wiedereintritt in ihren Alltag nachhaltig schaffen. Aber die Ensembles, die Kontakt gehalten haben, sind zugleich näher zusammengewachsen. Chorarbeit besteht ja nicht nur aus Proben, sondern hat auch einen ganz erheblichen sozialen Aspekt. Die Freude am Singen ist ungebrochen und wird jetzt vielleicht sogar größer sein als vorher.

Ihnen ist um die Zukunft gar nicht bange?

Petzold: Bezüglich der Kinder- und Jugendchöre mache ich mir Sorgen, weil sie unter großem Schwund leiden – ähnlich den Sportvereinen. Hier sind schlimmstenfalls zwei ganze Jahrgänge ausgefallen, was solch einen Chor, der sich ja ständig erneuern muss, schon mal zum Kollaps bringen kann. Die Musikpädagogik ist in Deutschland leider sehr überschaubar ausgestattet. In den letzten vier Jahren haben wir 200 Grundschullehrer fortgebildet, die Musik unterrichten müssen, obwohl sie völlig fachfremd sind. Parallel gehen wir mit unserem Carusos-Programm direkt in die Schulen, um das Singen dort zu fördern – eine Aufforstungsbewegung, mit der wir eigentlich Feuerwehrdienst leisten.

Das Singen, bisher als gesundheitsförderlich für Psyche und Physis gepriesen, gilt plötzlich als großer Pandemietreiber. Hat das Einfluss aufs Image?

Petzold: Diese Behauptung war hochgradig ungerecht. Denn Singen ist ja nachweislich gesund. Inzwischen werden sogar Covid-Patienten zur Stärkung der Atmung ganz gezielt mit Singen therapiert. Wir müssen den feinen Unterschied verständlich machen, dass nicht das Singen gesundheitsschädlich ist, sondern das Virus.

Welche Möglichkeiten haben Sie in Ihrem neuen Haus?

Petzold: Nach dem Beschluss zum Umzug nach Berlin haben wir 2007 unser eigenes Haus in Köln verkauft, um eine eigene Geschäftsstelle in Berlin zu errichten. Während wir mehrere Jahre nach einem geeigneten Grundstück gesucht haben, schärfte sich auch das Anforderungsprofil. Dabei wurde uns klar: Wir brauchen keinen Konzertsaal, davon gibt es genug in unmittelbarer Nähe. Vielmehr betreiben wir hier eine intensive Projektarbeit, bringen die Redaktion der monatlich erscheinenden „Chorzeit“ unter, können den Innenhof gemeinsam mit dem „Heimathafen“ und dem berühmten „Café Rix“ nutzen und haben nun außerdem einen großen und zwei kleine Seminarräume. Hier werden Fortbildungen und Seminare ebenso wie Beratungen, Diskussionsforen und Lesungen stattfinden. Aber wir sind kein Veranstaltungshaus mit 365 Tagen Spielbetrieb, sondern verstehen uns als Zentrum für Austausch, Begegnung und Vernetzung von Chören in ganz Deutschland.

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