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Blickwinkel: Tanja Tetzlaff – „Suiten für eine verwundete Welt“

„Der Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Kultur ist unheimlich wichtig“

Für ihr Klimaschutz-Filmprojekt „Suiten für eine verwundete Welt“ spielt Tanja Tetzlaff die Cello-Suiten von Bach an Orten, wo der Klimawandel bereits sichtbare Wunden geschlagen hat.

vonAndré Sperber,

Frau Tetzlaff, Sie sagten einmal: „Wenn ich Bach spiele, dann sehe ich Natur vor mir.“ – Warum ausgerechnet bei Bach, dessen Musik ja immer auch etwas Mathematisches, Perfektes an sich hat?

Tanja Tetzlaff: Es ist wohl genau diese ganz bestimmte Art von Perfektion, die ich persönlich allerdings überhaupt nicht als mathematisch oder konstruiert wahrnehme. Ich finde, diese Formen und Floskeln, die Bach in der Musik, vor allem in seinen Tanzsätzen verwendet, sind in Bewegung und Rhythmus unglaublich nahe an den Formen der Natur. Da fließt einfach alles und alles entwickelt sich so natürlich aus einer kleinen Idee. So, als würde man sich ein Blatt anschauen und beobachten, wie es sich in der großen Form des Baumes entspricht, und dann beginnt der Baum sich im Wind zu bewegen … Es braucht dabei überhaupt keine Geschichte und kein Drama, es sind einfach Momentaufnahmen. Und wenn man da sitzt zwischen hohen Berggipfeln oder am Gletscher und diese Stücke spielt, fühlt man sich im Angesicht der Natur plötzlich sehr klein und ehrfürchtig.

Was konnten Sie bei den Drehaufnahmen für die „Suiten für eine verwundete Welt“ vom Klimawandel sehen?

Tetzlaff: Man muss ja leider gar nicht mehr weit reisen, um die Auswirkungen zu bemerken. Im Harz zum Beispiel steht kaum noch ein gesunder Baum. Natürlich sind das aufgeforstete Monokulturen, aber ist ja trotzdem so: Die Winter werden immer wärmer, der Boden immer trockener und plötzlich kann eine ganze Baumart dort nicht mehr überleben. Jetzt sind es „nur“ diese Fichten, aber vielleicht ist es in dreißig Jahren unser Getreide. Wirklich intensiv war es auch, die Sarabande aus der c-Moll-Suite in einem gerade frisch abgebrannten Wald in Südfrankreich zu spielen. Solche verheerenden Brände werden zu einer immer größeren Bedrohung. Dort an diesem Hang zu sitzen, nur umgeben von Asche und schwarzen Baumstümpfen, und dabei dieses sehr traurige, karge Stück zu spielen, war unfassbar niederschmetternd. Und die Gletschergrotte in den Alpen war, nachdem wir sie im Vorfeld ausgekundschaftet hatten, bei Drehbeginn ein Jahr später nur noch halb so groß. Also, es ist der Wahnsinn, mit welchem Tempo sich alles verändert.

Inwiefern kann denn Musik im Kampf gegen den Klimawandel etwas bewirken?

Tetzlaff: Ich hatte kürzlich einige interessante Begegnungen mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die seit Jahrzehnten die Fakten sammeln, die Auswirkungen berechnen können und deshalb auch genau wissen, was man alles dagegen tun könnte. Die Mittel sind ja alle da. Und diese Leute haben mich wirklich zum Teil angefleht: Bitte, mach weiter damit, wir brauchen die Kunst, weil die Leute uns nicht zuhören! Dieser Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Kultur ist unheimlich wichtig, denn es braucht immer auch eine emotionale Ebene, damit man die Leute erreicht, damit sie zuhören, verstehen und handeln können. Wenn ich beispielsweise ein Klimakonzert veranstalte und da nur zwei Leute im Publikum sitzen, die dadurch zum Nachdenken angeregt werden oder die dadurch realisieren, dass noch nicht alles verloren ist und es sich lohnt, weiter zu kämpfen, dann war es das schon wert.

Sollte denn auch die Klassikszene selbst klimabewusster werden?

Tetzlaff: Ja, das gehört natürlich auch dazu und da passiert auch schon sehr viel in den Kulturinstitutionen. Ich denke aber auch, dass man trotzdem weiterhin nicht gänzlich auf Konzerttourneen und solche Dinge verzichten sollte, weil dieser Kulturaustausch, vor allem auch international, einfach sehr, sehr wichtig ist. Es geht um das Maß: Für ein einzelnes Konzert nach Seoul fliegen und zurück, das ist Quatsch. Aber wenn ich beispielsweise für eine Konzerttour in die USA fliege, versuche ich die Flüge so gut es geht durch die Unterstützung von Klimaschutzprojekten zu kompensieren und dann auch vor Ort mehr mit dem Zug zu fahren, Hotels gezielt auszuwählen, mich zu fragen, was esse ich, wie oft kaufe ich mir neue Konzertkleider? Da würde ich mir wünschen, dass alle Künstlerinnen und Künstler so denken würden. Natürlich soll man weiterhin das Leben genießen können und sich nicht von morgens bis abends ein schlechtes Gewissen machen. Aber ein Bewusstsein zu entwickeln für das, was man tut, das ist der erste wichtige Schritt.

Vor Kurzem haben sich Klimaaktivisten in der Elbphilharmonie aus Protest ans Dirigentenpult geklebt. Wie bewerten Sie solche Aktionen?

Tetzlaff: Also, wenn ich da gespielt hätte, hätte ich es wahrscheinlich mit Humor genommen und das Engagement gewürdigt. Es war ja harmlos und hat niemandem wirklich geschadet. Grundsätzlich bin ich aber mit vielen Aktionen natürlich überhaupt nicht einverstanden, weil ich denke, dass dadurch häufig nur die Wut der Menschen geschürt wird, und das ist dann wiederum schlecht für die Klimaschutzbewegung. Viele Leute haben es im Alltag oder bei der Arbeit sowieso schon sehr schwer und wenn man dann auch noch durch solche Aktionen beeinträchtigt wird, hat man meist wenig Verständnis. Andererseits verstehe ich aber auch die Hilflosigkeit, die die Aktivisten zu solchen Aktionen treibt, und die wir ja alle fühlen angesichts der Katastrophen, und auch angesichts der schleppenden Entwicklungen in der Politik. Aber ich würde immer versuchen, solche Dinge nicht destruktiv, sondern auf eine positive Art zu vermitteln.

Trailer „Suiten für eine verwundete Welt“:

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concerti-Tipp:

Suiten für eine verwundete Welt
Filmprojekt zum Klimaschutz mit Tanja Tetzlaff
Premiere am 14.4. im Lichthaus Kino Weimar
Hier gibt es weitere Infos.

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