Die Vielfalt musikalischer Bildung in Grundschulen ist dank der föderativen Struktur des deutschen Bildungswesens ziemlich unübersichtlich. Zu den ambitioniertesten Projekten gehört dabei das Hamburger Programm „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi), das nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens zwar bereits seit 2009 existiert, aber im kommenden Jahr sein zehnjähriges Bestehen mit einem großen Festkonzert in der Laeiszhalle nachfeiert. Im Interview berichtet die Programmleiterin Gabriela Huslage von der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung aus einem Grundschulalltag voller Musik, der vor allem die Chancengerechtigkeit für kulturelle Teilhabe ermöglichen und an den kulturellen Reichtum der Hansestadt heranführen soll.
„JeKi“ gibt es nun schon seit 13 Jahren – ziemlich lange für ein „Projekt“.
Gabriela Huslage: Deswegen sagen wir längst „Programm“, weil es etabliert ist und dauerhaft finanziert werden soll.
Was genau bieten Sie an?
Huslage: Mit „JeKi“ erhalten die 62 teilnehmenden Schulen, davon zehn Sonderschulen, ein Musikprofil. Weitere acht arbeiten im „JeKi“-Projekt der Musikhochschule mit. Das bedeutet, dass in den Klassen 1 bis 4 insgesamt acht statt regulär sechs Musikstunden erteilt werden, also durchgängig zwei Stunden pro Woche. In der ersten Klasse erhalten die Kinder eine sogenannte Grundmusikalisierung im Klassenverband, ab Klasse 2 ist eine der beiden Musikstunden dem „JeKi“-Programm gewidmet: zunächst dem Kennenlernen der Instrumente, ab Klasse 3 im Gruppenunterricht zu siebt.
Das heißt, alle lernen im normalen Curriculum ein Instrument zu spielen?
Huslage: Richtig. Wir bieten je nach Schulgröße vier bis zwölf Instrumente zur Auswahl an, hauptsächlich Orchesterinstrumente.
Welche Vorbilder hatten Sie damals?
Huslage: Auslöser waren das vielgerühmte Sistema aus Venezuela, die Vorbereitungen für die Kulturhauptstadt Europas 2010 in Essen und das JeKi-Projekt im Flächenland Nordrhein-Westfalen. Die Hochschule für Musik und Theater hat im Jahr 2007 das Pilotprojekt „Dem Klang auf der Spur“ aufgelegt, und die Schulbehörde hat sich die guten Ideen schließlich zu eigen gemacht und ein Bewerbungsverfahren für 62 von 200 Schulen gestartet, also rund ein Drittel aller Hamburger Grundschulen.
Warum kommen nicht alle in den Genuss der musikalischen Bildung?
Huslage: Andere Schulen wollen natürlich auch andere Wege gehen und sind daher anders profiliert. Zudem ist die Haushaltslage so eng, dass wir das Programm zurzeit nicht auf andere Standorte erweitern können. Weil die Schulen gewachsen sind, brauchen wir schon jetzt mehr als die 1,7 Millionen Euro, die durch die Freie und Hansestadt Hamburg jährlich bereitgestellt werden.
Wofür wird das Geld genau verwendet?
Huslage: Das deckt vor allem die Kosten für die 220 externen Lehrkräfte aus Hamburger Musikschulen, die mit rund 27 vollen Stellen zusätzlich in den Grundschulen zu Buche schlagen, darüber hinaus natürlich für die Instrumente. Da bieten wir ein Rundum-sorglos-Paket an: Nicht nur die benötigten Instrumente in den Schulen und alle Leihinstrumente in den Klassen 3 und 4 sind kostenlos, sondern auch sämtliches Zubehör, Fortbildungen und das Notensharing. Dafür gibt es einen Fundus, der speziell für „JeKi“ arrangiert wurde.
Graben Sie damit nicht den Musikschulen das Wasser ab?
Huslage: Nein, denn deren Lehrkräfte sind ja auch bei uns aktiv und nehmen die Kinder bei Interesse gleich mit, das ist eine sehr gute Kooperation. Manchmal ist die Kritik eher, dass man in der Gruppe kein Instrument lernen könne.
Zu siebt lernt man Geige fraglos anders als alleine.
Huslage: Aber wir wollen ja gerade eine Breitenförderung und bilden nicht für „Jugend musiziert“ aus, das muss danach kommen. Manche lernen auch schon in der Musikschule ein Instrument und nehmen bei „JeKi“ dann das Zweitinstrument mit.
Was passiert nach der Grundschule?
Huslage: Die Instrumente werden zwar am Ende der 4. Klasse abgegeben, aber die weiterführenden Schulen, The Young ClassX und alle Musikschulen halten attraktive Angebote für den Anschluss bereit, was von vielen angenommen wird.
Wie viele bleiben denn dabei?
Huslage: Die Behörde erhebt diese Zahlen nicht. Eine Schätzung ist schwer möglich, denn auch außerhalb der Schulen und Musikschulen wird weitermusiziert. Der Erfolg im Übergang nach „JeKi“ ist sehr abhängig vom Elternhaus. Natürlich gibt es auch Kinder, die Musik nicht zu ihrem Hobby machen. Es wäre auch der falsche Ansatz, den Erfolg nur an der Anschlusszahl messen zu wollen, denn uns geht es ja vor allem darum, allen Kindern die gleiche Grundausbildung zu ermöglichen. Sie bekommen quasi eine Eintrittskarte in die Welt der Musik geschenkt.
Können Sie trotzdem beurteilen, wie nachhaltig die ganze Sache ist?
Huslage: Die Bildungsforschung konnte ja allgemein schon viele positive Effekte des Instrumentalspiels nachweisen. Die Berichte der Lehrkräfte sind ermutigend: Kinder, die mit Schreiben und Rechnen weniger klarkommen, erblühen in der Musik, andere starten motiviert und bringen es später zum Jazzpreisträger oder studieren gar Musik. Nah gegangen ist mit der Bericht über Kinder einer Roma-Familie aus einer strukturschwachen Region Hamburgs. Sie leben eher am Rande der Gesellschaft, sind aber so in der Musik aufgegangen, dass sie sensationelle Erfolge feierten und in diesem Fall sogar ohne Noten zu lesen das Geigenspiel erlernten.
Die Musik dient als Medium.
Huslage: Ja, denn wir erreichen damit auch Kinder, die auf anderen Ebenen gar nicht abzuholen sind. Sie finden einen Anker im Leben und können etwas, was in ihrer Umgebung niemand kann. Ab und an bekommen wir Dank für das, was wir machen, aber die Freude und die Begeisterung der Kinder sind ohnehin das größte Lob.
concerti-Tipp:
Jubiläumskonzert
9. Mai 2023, 18:00 Uhr
Laeiszhalle