Ursprünglich war die Uraufführung Ihrer Oper „Dogville“ für Mai 2021 angesetzt. Wie weit war Ihre Arbeit bereits gediehen, als klar wurde, dass das Projekt verschoben werden muss?
Gordon Kampe: Tatsächlich arbeitete ich gerade an der letzten Szene, als ich hörte, dass die Uraufführung wegen Corona nicht wie geplant stattfinden könne. Da habe ich sofort den Stift fallen lassen und erst ein Jahr später weitergemacht. Es tat natürlich weh, aber mittlerweile bin fast froh, dass das Projekt verschoben wurde, weil man es jetzt wieder unter normalen Publikumsbedingungen aufführen kann.
Haben Sie das Werk seitdem noch einmal überarbeitet?
Kampe: Das mache ich sowieso immer. Ich schreibe das Stück quasi von links nach rechts einmal komplett auf und wenn ich dann noch Zeit habe, gehe ich es gleich wieder von vorne durch. Und jedes Mal wird der Fokus dabei etwas näher angesetzt, gehe ich mehr ins Detail. Im Grunde ist es also nie wirklich fertig.
Woher kam die Idee, Lars von Triers Film zu einer Oper umzuarbeiten?
Kampe: Das war ganz konkret eine Idee von Hein Mulders, als er hier noch Intendant war. „Dogville“ wurde ja auch schon mal zu einem Schauspiel umgearbeitet, deshalb war es dann wohl eine einleuchtende Schlussfolgerung, auch eine Oper daraus zu machen. Hein Mulders kam dann eines Tages zu mir und sagte: „Du machst jetzt ‚Dogville‘!“ Das war’s. Es war wirklich so profan.
Es ist ja eine interessante Richtung, dass aus einem Film eine Oper gemacht wird und nicht umgekehrt.
Kampe: Ja, das stimmt. Der Film ist natürlich sehr bekannt, ein absolutes Meisterwerk. Deshalb versuchen wir auch gar nicht, „Dogville“ eins zu eins auf die Bühne zu bringen – das würde nicht funktionieren und ginge immer auf Kosten der Genialität des Films. Wir wollten ein eigenständiges Werk daraus machen und haben uns bewusst für eine andere Erzählweise, eine andere Atmosphäre entschieden. Der Plot bleibt derselbe, aber der Film ist ja sehr ruhig in seiner Dramaturgie, alles bleibt distanziert und die Handlung geht nur sehr langsam voran. Soviel Zeit habe ich aber nicht in der Oper, da herrscht ein anderes Tempo. Es geht eher hektisch zu und man ist schnell mittendrin im Geschehen.
Die Geschichte von „Dogville“ zeigt sehr viele menschliche und moralische Abgründe. Da gibt es Demütigungen und Vergewaltigungsszenen, dann das große Finale – wie bildet man solche Abgründe musikalisch ab?
Kampe: Ich versuche das mal dramaturgisch zu beantworten: Schon gleich zu Anfang des Projekts haben wir uns ausgedacht, dass wir die gesamte Geschichte gewissermaßen aus der Perspektive der Hauptfigur Grace heraus erzählen und betrachten. Das heißt, sie ist fast immer auf der Bühne und man sieht ihr die ganze Zeit zu. Während des Stücks ist sie in dem Dorf in unterschiedlichen Häusern oder Räumen unterwegs. Ich habe nun jedem dieser Räume einen eigenen musikalischen Charakter verliehen, ich fungiere gewissermaßen als musikalischer Raumausstatter. Und immer, wenn Grace etwas Böses zugefügt wird, dann wird diese „Raum-Musik“ auf bestimmte Weise mehr und mehr verstärkt und verzerrt.
Wie gehen Sie beim Komponieren vor?
Kampe: Bei Musiktheater-Projekten halte ich mich meist erst einmal zurück und höre mir an, wie die anderen Beteiligten das Stück sehen. Theater ist ja immer Teamarbeit, von daher bin ich da auch gar nicht beratungsresistent. Ich tausche mich viel aus und sobald allen die Richtung klar ist, in die das Ganze gehen soll, kann ich anfangen zu arbeiten, und dann muss ich auch alleine gelassen werden, denn dann wird es mein Stück. Ich kritzele dann erstmal hunderte Seiten mit Füller voll, versuche, die Texte zu rhythmisieren und irgendwie in Noten umzuwandeln. Es ist wirklich besser, wenn da keiner dabei ist, denn ich singe dann für mich alle Rollen durch und tanze und rufe da laut in meinem Haus herum – das ist alles erstmal sehr urtümlich-instinktiv. Hinterher bin ich dann auch immer völlig erschöpft. Wenn dann alles soweit fertig ist, kommt der unromantische Teil, in dem alles, jede einzelne Note in den Computer übertragen werden muss. Das ist dann nur noch ernüchternde Fleißarbeit.
Wie oft haben Sie sich den Film „Dogville“ mittlerweile angesehen?
Kampe: Als ich mit der Arbeit angefangen habe, habe ich mit mir ausgemacht, dass ich den Film noch genau einmal anschaue und das war’s. Daran habe ich mich auch gehalten. Ich wollte das, was ich tue, nicht die ganze Zeit mit dem Film vergleichen. Da hätte ich mich nur selber unter Druck gesetzt. Und zu sehr beim Film abgucken wollte ich natürlich auch nicht.
Der Film sticht auch durch minimalistische Kulissen und den Fokus auf die Personen hervor. Wird dieses Prinzip in der Oper übernommen?
Kampe: Über die Szenerie darf ich natürlich noch nichts verraten. Zu der Musik kann ich allerdings sagen, dass sie ganz und gar nicht minimalistisch ist. Da wird es eher saftig. Fast zu viel. Mit fett besetztem Orchester und sehr viel Schlagwerk. Ich wollte mich da einfach nicht zum Sklaven dieses fantastischen Films machen. Sonst wäre es ja so, als ob Lars von Trier die ganze Zeit mit am Schreibtisch säße und einem auf die Finger schaute.
Weiß Lars von Trier von diesem Projekt?
Kampe: Also, das Aalto Theater holte auf jeden Fall die Rechte ein. Wir verwenden ja zum Beispiel auch den Originaltext des Films als Libretto. Allerdings natürlich operntauglich eingekürzt – der Film dauert fast drei Stunden, die Oper etwa anderthalb. Aber ob Lars von Trier von dem Projekt etwas mitbekommen hat, weiß ich nicht – es würde meinen Adrenalinspiegel jedenfalls nicht wirklich senken (lacht).