Carl Nielsen zählt zu den wichtigsten dänischen Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts, geboren 1865 auf Fünen. In seiner Heimatstadt Odense beleuchtet ein neues Museum die Persönlichkeit des Musikers und verlässt dabei herkömmliche Ausstellungspfade.
Komponistenmuseen erzählen oft eine Biografie anhand persönlicher Gegenstände nach. Was machen Sie in Odense anders?
Ida-Marie Vorre: Wir haben die Musik als Ausgangspunkt gewählt und präsentieren nur wenige physische Artefakte. Im ersten Bereich der Ausstellung, überschrieben mit „Fünen – Kopenhagen – Europa“, ist zur Einstimmung ein Video zu sehen, das Nielsen auf seinem Weg vom Elternhaus in Nørre Lyndelse über die Zeit in der Odenser Militärkapelle bis nach Paris begleitet. Welche Klänge haben ihn inspiriert und zur Musik gebracht? Der zweite Abschnitt nähert sich dem Komponisten anhand vier unterschiedlicher Zustände, die die meisten im Lauf des Lebens erfahren dürften: Erweckung, Widerstand, Krise und Versöhnung. An insgesamt neunzehn Stationen kommen die Besucher in ihrem eigenen Tempo mit Nielsen und seinen Klangwelten in Kontakt. Zum Beispiel mit der ersten Sinfonie, über die ein zeitgenössischer Kritiker schrieb, sie sei wie ein Junge, der mit Dynamit spiele. Im letzten Bereich erklingt eine Collage mit Ausschnitten aus seinen Sinfonien, Opern und Liedern.
Wie viel Interaktion ist für die Besucher möglich?
Vorre: Das geht an jeder Station, dennoch wollen wir möglichst viel Abwechslung bieten. An einem Bildschirm hören die Besucher etwa einen Auszug aus der Oper „Maskarade“. Um zu verstehen, wie Nielsen komponiert hat, können sie dabei das entsprechende Thema, den Kontrapunkt und die Begleitfiguren selbst anordnen. Was wohl am besten klingt? An anderer Stelle haben wir Nielsen-Stücke aus dem „Folkehøjskole-Songbook“ ausgewählt …
… eine Liedsammlung, die auf dänischen Bestseller-Listen regelmäßig gleich nach der Bibel kommt …
Vorre: … und laden die Besucher ein, diese Werke an Ort und Stelle zu lernen und zu singen. Die meisten Dänen kennen aus ihrer Kindheit Lieder von Nielsen, aber diese drei werden fast nie gesungen. Wir greifen damit auch die Grundidee dieser mehr als hundert Jahre alten Liedersammlung auf: Singen als gemeinschaftsstiftendes Ereignis.
Aus welchem Anlass wird das Museum gerade jetzt mit neuem Konzept wiedereröffnet?
Vorre: Zum 150. Geburtstag Nielsens war es uns nicht gelungen, die notwendigen Fördermittel zu akquirieren. Es ist ein Glücksfall, dass jetzt, acht Jahre später, Institutionen im ganzen Land am Bild des Komponisten arbeiten und wir daran teilhaben. Das Danish National Symphony Orchestra hat bei der Deutschen Grammophon alle Sinfonien eingespielt, und im Herbst erscheint eine neue Monografie des Kopenhagener Nielsen-Forschers Michael Fjeldsøe. Ich freue mich, dass wir losgelöst von Jubiläen eröffnen können, denn das zeigt, dass Carl Nielsens Geschichte wert ist, erzählt zu werden.
2024 soll auch „Carl Nielsens Camino“, ein insgesamt 110 Kilometer langer Wanderweg auf den Spuren des Komponisten in Fünen, fertiggestellt werden. Was hat es damit auf sich?
Vorre: Der Weg soll gegenwärtige Perspektiven auf Nielsen und seine Wurzeln in Nørre Lyndelse, Odense und Fåborg eröffnen und die Menschen zur Reflexion über das eigene Leben inspirieren. An vierzig Audiostationen, die von der Komponistin Tine Louise Kortermand und Nordic Performance Art gestaltet werden, kann man in die Soundkulisse zur Zeit Nielsens eintauchen, Geschichten und Anekdoten aus seinem Leben und natürlich seine Musik hören! Ein Highlight ist die einzige erhaltene Aufnahme mit Nielsen selbst am Klavier.
Was verbinden Sie persönlich mit Nielsen?
Vorre: Ich singe seit meiner Kindheit, und das erste Lied, das ich gelernt habe, war von Nielsen. Sein Leben und Musik steckten jedoch so voller Kontraste, dass ich darin immer etwas Neues entdecken kann. Er war ein exzellent ausgebildeter, von Ideen aus ganz Europa beeinflusster und weltoffener Komponist, der nicht nur für uns Dänen wichtig ist, sondern von Interesse für jedermann.
concerti-Tipp:
Carl Nielsen-Museum Odense
https://museumodense.dk/carl-nielsen-museet/