Golda Schultz hat schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, sich die hochwertigen Musikanlagen und Boxen in den Reisenberger Galerien aus nächster Nähe ansehen zu dürfen, denn sie bezeichnet sich selbst als „Lautsprecher-Freak“. Beim Blind gehört Live in München vor der Musikanlage von Avantgarde Acoustic kam sie sogar in den Hörgenuss dieser High-End Audio-Technologie. Ihre Bedenken, ihr Deutsch könnte nicht gut genug sein, zerschlugen sich schnell. Die Opernsängerin, die gleichzeitig auch Journalismus studierte, begeisterte Publikum wie Gastgeber mit ihren geist- und anekdotenreichen Kommentaren zu den Arien der geheimen Playlist.
Mozart: Così fan tutte – „Come scoglio“
Kiri Te Kanawa, Wiener Philharmoniker, James Levine (Leitung)
Deutsche Grammophon 1989
Das war Kiri Te Kanawa mit der Arie „Come scoglio“ aus Mozarts „Così fan tutte“. Ich kenne die Stimme schon sehr lange. Bei den hohen Tönen vibriert sie so schön, und man hört das ganze Spektrum des Klangs. Sie hat so einen „Schimmer“. Da weißt du sofort: Das ist Kiri. Ich habe sie zum ersten Mal in Grahamstown auf einer Videokassette gehört. Meine Gesangslehrerin hat mir eine Liste mit Arien gegeben, die ich mir anhören sollte. Da saß ich dann mit Kopfhörern in der Bibliothek und schaute „Die Fledermaus“. Als Kiri Te Kanawa in einem roten Kleid auf die Bühne kam, habe ich mich in ihre Stimme verliebt. In meinem letzten Studienjahr in New York habe ich sie einmal persönlich kennengelernt. Daran, wie ich ihr „Dove sono“ vorgesungen habe, die Arie der Contessa aus Mozarts „Le nozze di Figaro“, kann ich mich kaum noch erinnern – totaler Blackout. Aber ich weiß, dass sie mich am Ende in den Arm genommen und gesagt hat: „Du schaffst das, du wirst Karriere machen.“ Ich bin so dankbar für diese Stunde.
Verdi: Otello – „Ave Maria“
Maria Callas, Paris Conservatoire Orchestra, Nicola Rescigno (Leitung)
Warner Classics 2003
Über Maria Callas ist eigentlich schon alles gesagt. Diese Stimme ist nicht von dieser Welt. Sie ist auch in Grahamstown in mein Leben getreten wie Kiri. Die Bibliothekarin sagte: „Jetzt musst du auch mal andere Sängerinnen hören.“ Und dann hörte ich ihr „Casta diva“ aus Bellinis „Norma“. Ich konnte kein Wort Italienisch, hatte aber das Gefühl, alles zu verstehen, und fühlte mich auch sofort von Maria Callas verstanden! Das war der Anfang meines Berufswunsches, Sängerin zu werden. Ich wollte Menschen mit Tönen berühren. Das ist mir auch immer am wichtigsten, wenn ich eine Rolle einstudiere. Ich muss die Motive der Figur verstehen, damit ich sie auf der Bühne überzeugend verkörpern kann. Dann darf auch mal ein Ton daneben gehen. Für das Publikum ist das dann egal – mit dieser Anlage hört man aber ja auch jeden Kiekser!
Sartorio: Giulio Cesare in Egitto – „Quando voglio“
Regula Mühlemann, La Folia, Robin Peter Müller (Leitung)
Sony Classical 2017
Ich glaube, die Stimme kenne ich, aber der Komponist sagt mir gar nichts. Ich tippe auf Julie Fuchs. Nein? Ich habe mit ihr auf der Bühne gestanden? In Zürich? Aha, es ist eine Kleopatra-Arie. Regu! Regula Mühlemann. Ich habe mit ihr in Mozarts „Figaro“ gesungen. Sie hat so eine schöne Stimme und ist eine sehr liebe Kollegin, zu der ich viel Kontakt habe. Vom Komponisten habe ich noch nie gehört. Ein tolles Stück, scheinbar ein One-Hit-Wonder.
Wagner: Die Walküre – „Hojotoho“
Nina Stemme, Mariinsky Orchestra, Valery Gergiev (Leitung)
Mariinsky 2013
Oh, danke an den Bass! Diese Anlage kann was! Das war Wagners „Die Walküre“ und Nina! Die Stemme. Die Brünnhilde unserer Zeit. Wir machen gerade „Turandot“ zusammen. Sie hat sehr viel Geduld und liebt Proben! Viele große Stars sind nicht immer Fans davon. Meine erste Erfahrung mit Nina Stemme war übrigens in der „Walküre“. Man hat mir 2011 eine Rolle im „Ring“ von Andreas Kriegenburg unter der Leitung von Kent Nagano angeboten, als ich noch Mitglied des Opernstudios hier in München war. Ich konnte noch nicht so gut Deutsch und – na ja, es war Wagner. Aber egal, ich wollte! Ich wollte das schaffen! Bei diesen „Hojotoho“ musst du deinen ganzen Körper einsetzen! Und es entsteht eine Wahnsinnsenergie, wenn man mit acht Frauen zusammen auf der Bühne steht. Das ist sehr selten in der Oper. Das wiederum war auch Thema beim „Figaro“ mit Regula: Sie musste als Susanna viel knien, und ich sagte zu ihr im Scherz: „Schatz, du bist Sopran. Als Sopran kannst du knien oder liegen. Das sind deine Optionen.“ In der Walküre musst du nicht knien und für keinen Mann zurückstehen!
Gounod: Faust – „Le veau d’or“
Erwin Schrott, Orquestra de la Comunitat Valenciana, Riccardo Frizza (Leitung)
Decca 2008
Stammt der Sänger aus Südamerika? Hat er zwei Kinder? Shot in the dark: Erwin Schrott! Ich habe mit ihm in Wien bei meinem Debüt an der Staatsoper in Mozarts „Le nozze di Figaro“ auf der Bühne gestanden – ich als Gräfin und er als Graf. Es war eine Herausforderung im positiven Sinne. Man muss sehr konzentriert sein, denn man weiß nie, was er als Nächstes tut. Man lernt zu improvisieren. Er gibt alles in dem einen Moment. Diese herzliche Ehrlichkeit macht auch Platz für deine Offenheit. Kann man auf Deutsch sagen, er ist ein Bühnentier? Rampensau klingt so unhöflich.
Mozart: Le nozze di Figaro – „Porgi amor“
Dorothea Röschmann, Wiener Philharmoniker, Nikolaus Harnoncourt (Leitung)
Deutsche Grammophon 2007
Oh Mann, das ist schwer. Ich habe keine Ahnung. Ich ziehe den Publikums-Joker! (aus dem Publikum: „Dorothea Röschmann, am Vibrato erkannt!“). Für meine Ohren gibt es nur drei Contessas: Kiri Te Kanawa, Renée Fleming und Anja Harteros. Basta. Wenn ich die höre, ist es so wie im Sommer ins kühle Wasser zu springen – das tut gut. Ich erinnere mich an die Dernière von Anja Harteros als Gräfin während meiner Zeit am Opernstudio hier in München. „Porgi amor“ ist wirklich keine leichte Arie. Es ist das Erste, was du singst, und gleich sehr intim. Sie singt immer sehr fein und geht gar nicht nach vorne, sondern lockt das Publikum zu sich auf die Bühne. Alle sitzen vorne auf der Stuhlkante und sind leise: „Singt sie? Singt sie?“ – „Ja, sie singt. Ruhe bitte!“ Man hat das Gefühl, niemand atmet, denn jetzt passiert was Himmlisches!
R. Strauss: Der Rosenkavalier – Duett aus dem 2. Akt
Sophie Koch, Diana Damrau, Münchner Philharmoniker, Christian Thielemann (Leitung)
Decca 2012
(Beim Zwischenspiel des Duetts macht sie ein Husten nach) Es gibt immer jemanden im Publikum der an dieser Stelle hustet. Zauber vorbei! (hört weiter) Elīna Garanča singt den Octavian? Nein? Dann ist es Sophie Koch! Und wer singt die Rolle der Sophie? Hm. Unter Christian Thielemann? Ach, Diana Damrau! Oh, Golda Schultz, wie konnten Sie sie nicht erkennen. Ich habe mit ihr in Mozarts „Figaro“ an der Scala gesungen. Wir haben uns immer gegenseitig souffliert, es hat großen Spaß gemacht. Es ist interessant, ihre Stimme so jung zu hören! Sie hat sich so entwickelt.
Heggie: It’s a Wonderful Life
Houston Grand Opera, Patrick Summers (Leitung)
Pentatone 2016
Oh! Eine meiner besten Opernerfahrungen. Es war toll, Jake Heggie kennen zu lernen. Zu viele Komponisten schreiben zu viele Tragödien. Wir brauchen etwas Leichtes, die Welt ist schon so schwer. Das ist seine neue Oper „It’s a Wonderful Life“ nach dem Film. Es geht um einen Menschen mit Suizid-Gedanken, der einem Engel begegnet. Jake wollte, dass dieser in seiner Oper eine Frau ist: Clara, ein Engel zweiter Klasse, weil er sich die Flügel noch verdienen muss. Am Ende schwebst du über der Bühne, und alle weinen! Ich habe die Clara in der zweiten Inszenierung gesungen, die an der San Francisco Opera herauskam. Da hat man eine gewisse Verantwortung. Wie du die Rolle interpretierst, wirkt in anderen Inszenierungen nach.
Bizet: Carmen – „Je dis que rien ne m’épouvante“
Helen Donath, Deutsche Oper Berlin, Lorin Maazel (Leitung)
Sony Classical 1971
Ich habe keine Ahnung, wer singt. Ah, Helen Donath. Micaëla ist eine schöne Rolle, zwar nicht viel zu singen, aber: Du hast nur diese einzige Arie und musst das Publikum gleich in deinen Bann ziehen. Ich habe „Je dis que rien ne m’épouvante“ schon 2008 in Südafrika für einen Wettbewerb gelernt. Bei jeder Probe hat der Hornspieler an dieser Stelle gepatzt! Am Tag des Konzertes habe ich ihn angefleht: „Bitte, schaffe es einmal!“ Und dann hat es geklappt. Jedes Mal, wenn ich die Rolle singe, denke ich an alle Hornisten. Es ist so ein schwieriges Solo. Ich bin immer gespannt, was für einen Tenor man bekommt. Einen Helden, einen Macho oder einen, der schön, lieb und süß ist. Hier in München darf ich mich auf Matthew Polenzani freuen. Der ist einer von den Lieben.