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Bücherherbst – Tatjana Böhme-Mehner: Leipziger Mörderquartett

„Die Klassiker begeistern mich am meisten“

Scheinwerfer löscht Lebenslicht – in Tatjana Böhme-Mehners Krimi „Leipziger Mörderquartett“ klärt eine Musikkritikerin einen skurrilen Mordfall auf.

vonRoland H. Dippel,

Tatjana Böhme-Mehner kennt sich bestens in der Musikstadt Leipzig aus, wo sie über 20 Jahre lang gelebt und als Musik-Publizistin gearbeitet hat. In ihrem Krimi-Debüt schlittert Musikkritikerin Anna Schneider in ihren ersten Fall, als ein Bratschist mitten in einem Konzert von einem herabfallenden Bühnenscheinwerfer tödlich getroffen wird. Die Suche nach dem Mörder führt Anna, ihren Helfer Habakuk C. Brausewind und eine Polizeikommissarin in die freie Musikszene und zu standesbewussten Musikerfamilien.

Frau Böhme-Mehner, wie viel von der Ermittlerin Anna Schneider steckt in Tatjana Böhme-Mehner?

Tatjana Böhme-Mehner: Das fragen fast alle, weil ich lange Zeit selbst als Musikkritikerin gearbeitet habe. Aber nicht nur in der bei einem Konzert zur Tatzeugin eines Mordes werdenden Musikkritikerin, sondern auch in den anderen wichtigen Figuren steckt etwas von meinen Erlebnissen und Erfahrungen. Vielleicht ist Anna ja ein bisschen das, was aus mir geworden wäre – ohne Mann, Kind und Tiere …

Sie kommen aus Gera und arbeiten seit 2015 als Programme Editor an der Philharmonie Luxembourg. Beide Städte hätten ebenfalls gute Krimi-Ambientes geliefert. Warum spielt „Mörderquartett“ ausgerechnet in Leipzig?

Böhme-Mehner: Leipzig ist durch Gewandhaus, Thomanerchor und viele Persönlichkeiten, die dort lebten und sich entfalten konnten, ein sprichwörtlicher Musikort und nutzt die Bezeichnung Musikstadt sogar als Prädikat und Marke. Außerdem hat Leipzig durch seine sehr spezifischen Traditionen eine Vielzahl von alten und neueren Orten, wo musikalisch gemordet werden könnte. Gera, das zum musikalisch ebenfalls sehr dicht kultivierten Thüringen gehört, verfügt über kein derart viele Lebensbereiche durchdringendes Musiknetz. In Luxembourg erlebe ich hingegen die Vorzüge einer Musikkultur, die frisch und neugierig vorgeht. Das ist wunderbar, aber dennoch etwas ganz anderes, für mich hier dramaturgisch einfach weniger interessant …

Ist Leipzig für Sie also ein Spiegel der internationalen klassischen Musikwelt?

Böhme-Mehner: Musikleben, Konzertangebot und die Vielzahl musikalischer Zirkel in Leipzig sind im europäischen Vergleich ungewöhnlich reichhaltig. Dagegen ist die Leipziger Mentalität dennoch speziell. Es gibt dort in Verbindung mit der großen klassischen Musikkultur seit DDR-Zeiten auch eine intensive avantgardistische Dynamik. Auch davon erzähle ich in meinem ersten Krimi.

Ist Anna eine typische Musikkritikerin?

Böhme-Mehner: Annas Reaktionen sind indirekt davon beeinflusst, dass sie immer um berufliche Anerkennung kämpfen muss. Solche Kämpfe habe ich selbst deutlich erlebt.

Erlebten Sie in Ihrer vielseitigen Karriere Konfrontationen mit Kriminalfällen?

Böhme-Mehner: Als Kritikerin eher nicht, aber in der Lokalredaktion von Tageszeitungen schon, in deren Aufgabenbereiche Delikte wie Mord und Raub ja fallen.

Das Gewandhaus Leipzig
Das Gewandhaus Leipzig

Welche mysteriösen Orte kennen Sie in Leipzig?

Böhme-Mehner: Es kommt auf die Tages- oder Nachtzeit an, ob Orte beunruhigend wirken. Wahrscheinlich würde Anna Schneider genau wie ich nachts nicht unbedingt allein durch den Friedenspark gehen. Der Alte Johannisfriedhof hinter dem Grassimuseum hat eine mysteriöse Aura. Die sprichwörtlich gewordene Eisenbahnstraße, über die ich lange regelmäßig nach Altenbach zu meinem Pferd gefahren bin, mag zwar hin und wieder bedrohlich sein, hat aber nicht unbedingt den ästhetischen Reiz, der mich zum Schreiben inspiriert.

Welche Krimis im Bühnen- und Konzertmilieu haben Sie als Lese- oder Filmstoff besonders beeindruckt?

Böhme-Mehner: Ich schätze generell Episodenkrimis mit gut gesetzten Pointen. Das gilt für Lektüre wie TV. Wobei mich die großen Klassiker à la Hercule Poirot nach wie vor am meisten begeistern.

Bei manchen Krimis scheint das Ambiente den Autoren wichtiger zu sein als die Ermittlungshandlung. Wie war das bei Ihrem Krimi-Debüt?

Böhme-Mehner: Es gibt so viele Berufskrimis – über Journalisten, Gastronomen, Ärzte … Bei Protagonisten habe ich immer Musikkritiker vermisst. Dabei ist diese Berufsgruppe durch ihre breite Vernetzung für Krimis ideal. Musikkritiker sind immer an spannenden Schauplätzen und in ebensolchen Situationen im Einsatz. So konnte ich die Handlung und die Auflösung um den Mord an dem als Person äußerst zwiespältigen Bratschisten Thorsten Steinmüller plausibel entwickeln, ohne dass mein Krimi direkt in die Leipziger Musikhotspots Gewandhaus und Thomaskirche führt. Ein Kapitel spielt in der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“. Dafür habe ich in der Episode um die schwule Bar „Sunflower“ wie auch an anderen Stellen bewusst mit Klischees gespielt.

Geht es in Ihrem Musikstadt-Krimi auch um deutsch-deutsche Befindlichkeiten?

Böhme-Mehner: Renommierte Familien, die auf eine honorable Präsenz bedacht sind, gibt es überall. Aber mit der Auflösung kann „Leipziger Mörderquartett“ wahrscheinlich als „Ost-Buch“ durchgehen. Über dreißig Jahre nach der Wende nehme ich milieuabhängig noch immer ganz unterschiedliche Niveaus von Vertrautheit wahr. Berufliche Freundschaften und Bekanntschaften sind in den alten und neuen Bundesländern nach wie vor vollkommen anders konnotiert.

Buch-Tipp

Album Cover für Leipziger Mörderquartett

Leipziger Mörderquartett

Tatjana Böhme-Mehner Gmeiner, 249 Seiten 12 Euro

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