Als Carolin Widmann in Berlin Zeit für ein Gespräch findet, kommt sie gerade aus der Probe. Soeben hat sie Brahms‘ Horn-Trio den letzten Schliff verpasst, das am Abend im Jüdischen Museum auf dem Programm steht. Die Arbeit in kleiner Besetzung erfüllt sie, zuletzt hat sie mit dem Pianisten Alexander Lonquich Schubert-Werke eingespielt und gerät ins Schwärmen. Auch in Hitzacker, Widmanns neuer Arbeitsstätte, steht Musizieren in kleiner Besetzung an erster Stelle.
Frau Widmann, wie kamen Sie zur künstlerischen Leitung der Sommerlichen Musiktage Hitzacker?
Der vormalige Intendant Markus Fein hat mich auf die Idee gebracht. Ich war erst ein wenig skeptisch, weil ich kein großes Interesse an Dingen wie Organisation und Bürokratie hatte. Aber als ich dann eine Nacht drüber geschlafen habe, konnte ich es mir doch vorstellen und habe ein paar Ideen entwickelt – und so habe ich mich dann ganz regulär beworben.
Als Musikerin waren Sie ja schon mehrmals in Hitzacker zu Gast…
Ja, drei Mal und da hat mir die Atmosphäre schon sehr gefallen. Es ist einfach ein bisschen gemütlicher als in der Großstadt, man kann noch ein Glas Wein trinken, sich aufs Gras setzen, auch die Landschaft in das Programm miteinbeziehen. Das Publikum ist ein natürlich gewachsenes und bei denen weiß ich, dass ich ihnen auch Dinge zumuten kann. Deshalb präsentieren wir einerseits Klassiker, andererseits aber auch unbekannte, selten gehörte Werke und Komponisten wie zum Beispiel Alexander Zemlinsky. Und es sind ein paar Newcomer dabei, von denen ich denke, dass sie unbedingt mal gehört werden müssten.
Als Oberthema für Ihre erste Saison haben Sie sich „Exil“ gewählt. Warum?
Das Thema fasziniert mich schon länger, weil ich denke, dass der Begriff immer sehr limitiert verwendet wird. Wir denken bei Exil immer sofort an das Dritte Reich, an Musiker, die das Land verlassen mussten oder gestorben sind. Dabei gibt es auch viele andere Formen des Exils, das seelische und innere Exil, die Abkehr vom Mainstream, wenn ein Komponist sich in eine andere Ästhetik flüchtet, weil er sagt: Ich kann nicht mehr den Weg gehen, den alle anderen einschlagen. Viele Komponisten haben auch zwischenzeitlich gesagt, ich schreibe gar nichts mehr wie Galina Ustwolskaja oder Morton Feldmann, der sich irgendwann sagte: Ich schreibe nichts Überflüssiges mehr, nur noch das, was wirklich aus dem Herzen direkt auf das Blatt Papier geht. Askese gehört für mich auch zu diesem Thema dazu.
Gibt es auch eigene Erfahrungen in Ihrem Leben, die der eines Exils nahekommen?
Ich habe 15 Jahre meines Lebens im Ausland gelebt, jetzt bin ich wieder zurück nach Leipzig gezogen und fühlte mich die ersten Monate wie eine Fremde im eigenen Land. Ich wusste zum Beispiel nicht, wie man einen Telefonanschluss anmeldet, oder wie ein richtiger Mietvertrag aussieht – ich hatte keinen blassen Schimmer, wie man hier ein Leben lebt. Abgesehen davon fühle ich mich auch oft genug der Musikerwelt gar nicht zugehörig, speziell der Geigerwelt nicht.
Wie meinen Sie das?
Ich habe oft das Gefühl, dass ich einen Weg gehe, der nicht dazugehört. Ich hatte einen völlig anderen Werdegang, wurde nicht mit 15 von einem großen Dirigenten entdeckt, der mich dann gefördert hat – ich bin über Umwege dorthingekommen, wo ich jetzt bin. Und auch heute ist es noch ein gewaltiger Umweg. Ich glaube nicht, dass es viele Geiger gibt, die in einer Saison sowohl das Violinkonzert von Sibelius als auch das von Feldmann spielen. Ich habe wenige Kollegen, mit denen ich mich da auch austauschen kann, weil das eben kaum jemand so macht. Geigespielen ist nicht gleich Geigespielen.
Und Sie fühlen sich auf einem anderen Weg aufgrund von Repertoire-Fragen?
Auch wegen der Cliquen-Zugehörigkeit. Es gibt ja Geiger-Cliquen, Musiker, die bei einem bestimmten Lehrer studiert haben. Die kommen aus dem gleichen Stall und fühlen sich dann verbunden. Ich selbst komme nicht aus einem bestimmten Geigerstall, nicht aus dem klassische Musik-Stall, auch nicht wirklich aus dem Neue Musik-Stall – ich gehöre irgendwie nirgends richtig dazu und bin daher trotzdem auch überall. Ich genieße das auch.
Und solche Cliquen, die Sie erwähnen, sind in der Musikwelt von Bedeutung?
Natürlich, das spielt zum Beispiel eine Rolle, wenn es darum geht, wer mit wem spielt, wer sich mit wem identifizieren kann, von der Spielart und der Ästhetik her. Da läuft natürlich vieles im Hintergrund ab.
Ihre letzte CD haben Sie zusammen mit Alexander Lonquich für das Label ECM aufgenommen. Viele Musiker schwärmen ja von der Arbeit mit dem Produzenten Manfred Eicher. Sie auch?
Ja, ich muss sagen, dass er mich als Mensch und Musiker sehr inspiriert. Wenn er da ist, spiele ich anders. Er sagt zwar nur ganz wenig, vielleicht nur zwei Sätze innerhalb von acht Stunden, aber die sind so eine Inspiration; auch zu wissen, dass er während einer Aufnahme da sitzt und jede Sekunde intensiv mithört.
Hat er so eine Aura?
Ich finde schon. Er ist genial, ein lebendiges Ohr, er macht das auch rein intuitiv, auch wenn er keine Noten vor sich hat, liegt er immer goldrichtig. Sein Instinkt ist fast schon unheimlich. Ich weiß, ich kann ihm vertrauen und bislang habe ich nur sehr wenige Menschen getroffen, bei denen das so klappt und so richtig ist.
Ist man bei ECM eigentlich „Exklusiv-Künstler“, wie es bei den anderen großen Plattenfirmen oft der Fall ist?
Also, es gibt unter Musikern den Spruch „Manfred Eicher hat noch nie einen Vertrag unterschrieben“ (lacht), und das stimmt schon so ungefähr. Es steht nicht auf dem Papier, aber es ist eine ganz starke Loyalität und ich würde jetzt auch nichts gegen seinen Willen machen. Bei einer anderen Plattenfirma würde ich wahrscheinlich mehr vorgeschrieben bekommen. Manfred Eicher dagegen lässt mich programmatisch machen, was ich will und unterstützt mich dabei schon seit einigen Jahren.