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Interview Christian Thielemann

„Ich habe nie Dirigierunterricht gehabt“

Dennoch zählt Christian Thielemann inzwischen zu den gefragtesten Wagner-Experten. In Bayreuth ist der Dirigent denn auch schon bis 2022 gebucht

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Umstritten ist Christian Thielemann schon in den 90er Jahren gewesen: An seinen Fähigkeiten zweifelten nur die wenigsten, an seiner „Weltanschauung“ aber entzweiten sich die Geister. Mit seiner Verehrung für den Alten Fritz und alles Preußische sowie seinem Kernrepertoire Wagner, Strauss und Pfitzner beschwor der großgewachsene nassforsche Berliner Vorurteile und Ressentiments herauf. Seiner musikalischen Laufbahn indes hat dies nicht geschadet, ganz im Gegenteil ist der Dirigent heute präsenter denn je: sei es als Chef der Sächsischen Staatskapelle, als Gast an den Pulten der wichtigsten Orchester der Welt oder auch seit neuestem als Musikdirektor in Bayreuth.

Bis in die 1930er Jahre wurden Dirigenten in Bayreuth namentlich nicht im Programm erwähnt. Sie indes haben nun sogar einen Parkplatz, mit einem nagelneuen Schild, auf dem „Reserviert für Musikdirektor C. Thielemann“ steht.

In Bayreuth wird über alles berichtet – sogar, wenn ein Papierkorb umfällt.

Muss als Dirigent besonders uneitel sein, wer an diesem Haus arbeitet?

Man muss immer uneitel sein – doch in Bayreuth werden ​einem selbst die letzten Eitelkeiten ausgetrieben. Einfach dadurch, dass einen niemand sieht, wenn man im Orchestergraben steht. Das, was man unbewusst machen würde, wenn man das Publikum hinter sich spürt, das macht man hier nicht: Das Orchester liegt nämlich versenkt im Graben und wird durch einen breiten muschelförmigen Schalldeckel und eine Sichtblende verdeckt.

Der berühmte „mystische Abgrund“, mit dem sich schon ein Furtwängler schwer tat. 

Ja. Auch meine Art zu dirigieren hat sich sehr verändert, seitdem ich in Bayreuth dirigiere. Ich bin wesentlich einfacher geworden, wesentlich funktioneller in meinen Anweisungen, mehr fokussiert auf das, was ich will. Das liegt daran, dass man ein Orchester hier anders steuern muss. Man kommt sich manchmal vor wie ein Tonmeister, der sagt: Weniger Geigen, mehr Trompeten oder drittes Horn – da muss man sehr präzise und klar sein, damit alles durchlässig und fließend klingt.

Sie selbst, heißt es, sprächen bei der Arbeit allerdings kaum … 

… ja – nur das, was sein muss …

… dafür bewegen sie sich „expressionistisch“, wie Ihre Biographin Kläre Warnecke schreibt.

Expressionistisch ist freundlich formuliert: Viele sagen mir, ich sei nicht elegant. Wenn man als Dirigent anfängt, dann macht man oft weitgreifende Bewegungen, die über das Ziel hinausschießen. Mit der Zeit reduziert man dies.

Aber wirkt sich dies dennnicht nachteilig auf den „Gefühlstransport“ aus?

Man kann ja auch durch kleine Bewegungen sehr viel ausdrücken – das habe ich allerdings erst mit der Zeit gelernt. Ich habe übrigens nie Dirigierunterricht gehabt: Mir hat vielleicht jemand mal einen Viervierteltakt gezeigt, das war es dann aber auch schon. Allerdings habe ich mir viele andere Dirigenten angeschaut.

Und das offenbar so gut, dass Daniel Barenboim hingerissen war, dass Sie bereits 1988 – mit gerade einmal 29 Jahren – die ganze Tristan“Partitur auswendig konnten. 

Ja, ich hatte eine sehr schnelle Auffassungsgabe. Heute finde ich, dass das gar nicht so wichtig ist, weil es einen davon abhält, die Dinge zu vertiefen. Man verlässt sich darauf – und das ist nicht gut.

Ist WagnersTristan“ so etwas wie das Leitmotiv Ihres Lebens? 

In gewisser Weise, ja. Es traf mich wie ein Schlag, als ich die Oper als Jugendlicher zum ersten Mal hörte.

„Rauschgiftmusik“, „LSD“, „Wagner-Saufen“: Das sind Worte, die Sie im Zusammenhang mit Wagners Musik verwenden. Andererseits bescheinigt die Kritik Ihnen stets „Luzidität“, wenn es um Ihre Interpretationen geht – wie passt das zusammen?

Man hat doch nur einen schönen Rausch, wenn man weiß, wann er aufhört. Wenn man beschwipst, leicht betrunken ist, dann kann das ganz angenehm sein – wer indes zu viel trinkt, hat keine Kontrolle mehr und genießt es dann auch nicht mehr. Genauso ist es beim Tristan: Nicht zu viel LSD oder Wein, damit ich immer wieder aufhören und zu der kleinteiligen Arbeit kommen kann – und alles unter dem Primat, die Leute zu verführen. Wagner hat alle verführen wollen – und auch der Dirigent ist ein Verführer, bis in die kleinsten Details.

Ihnen hat Wagners Musik sogar eine Freundschaft beschert: zu René Kollo – einem Sänger, um den Sie sich hätten „nie sorgen müssen“, wie Sie selbst sagen.  

Ich habe eine grenzenlose Verehrung für ihn und habe sehr viel von ihm gelernt. Er ist einer der wenigen Sänger, die deutlich sind in dem, was sie gerade brauchen – ja, von René habe ich gelernt, wie man einen Sänger unterstützen kann.

Was Ihnen mit dem Met-Star Katherine Battle offenbar nicht gelungen ist.

Ja? Daran kann ich mich nicht mehr erinnern …

… „Conductor looses Battle, wins the war“, titelten seinerzeit die Zeitungen, als die erzürnte Diva von der Met-Bühne abrauschte.

Ach, das ist Schnee von gestern. Ich bin ein großer Sängerliebhaber, es ist selten der Fall gewesen, dass ich mich mit Sängern nicht verstanden habe. Ich bin ein guter Sängerbegleiter, ich kann mich gut auf Atem und Phrasierung einstellen und lerne auch selbst etwas dabei. Ja, Sänger haben mich sogar schon dazu gebracht, meine Interpretation umzustellen.

Erleben Sie denn umgekehrt das Silberlockenphänomen – wächst die Autorität eines Dirigenten mit dem Alter?

Auf jeden Fall bekommt man mit den Jahren immer mehr Erfahrung und kann vieles besser formulieren – und das merken die Menschen auch.

Nun geht es in Bayreuth ja offenbar nicht nur um Erfahrung; vielmehr erwecken die Berichte über die Familie Wagner den Eindruck, all das dort sei eine einzige große Seifenoper. Wie kommt das?

Ich habe darüber oft nachgedacht, besonders in diesem Sommer, wo kleine und unbedeutende Begebenheiten scheinbar bedeutend wurden. Offenbar gehört dies zu dem Preis, den wir für Wagners Musik zahlen: Seine Musik ist eine verführende, manchmal aufputschende, aufregende Musik – und alles, was in diesem Haus stattfindet, ist dann eben auch aufregend. Ich finde das aber eher mühsam, zumal die Dinge, die über Bayreuth geschrieben werden, uns nicht gerecht werden. Hier wird schwer gearbeitet, und das vergessen die Menschen bei einer solchen Berichterstattung: Die Musik vergrößert alles, was um sie herum geschieht.

Auch Familie Wagner trägt dazu bei – manchmal hat man den Eindruck, es würden hier mehr Anwälte als Künstler beschäftigt. 

Wie keine andere Komponistenfamilie zuvor stehen die Wagners im Fokus dieser Musik – was einfach an seinem Werk liegt. Andererseits: Dass man hier in einem kleinen fränkischen Städtchen solch ein Aufheben macht um alles, was mit Wagner zu tun hat, das ist doch auch toll, oder?!

Oder doch eher provinziell?

Nein! Es hat etwas Weltstädtisches! Hier kommt die große Welt zusammen, mit allem, was dazu gehört – mit allen wahren und unwahren Rankünen.

Sie kennen sich da ja aus: Als Sie 1988 zum Einstand als GMD in Nürnberg Pfitzners Palestrina gaben, brachten Sie damit direkt alle Kritiker gegen sich auf.

Das war keine Ranküne, sondern offene Polemik, ja Krieg! Vor einigen Wochen war ich in meinem alten Dienstzimmer: Es ist umgebaut worden und kaum wiederzuerkennen – und doch kam alles wieder hoch. Wir leben in einer Erregungsgesellschaft – künstlicher Erregung: Ständig wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben und alle echauffieren sich, denn es ist ja so schön, auf der „richtigen Seite“ zu stehen. Ich wurde damals als Nazi und Antisemit beschimpft, weil ich mich für das Werk eines in die NS-Zeit verstrickten Komponisten eingesetzt hatte – sogar mein Scheitel wurde zum Gegenstand der Debatte. Der britische Guardian aber verstand mich und brachte es auf dem Punkt: „What has C sharp minor got to do with fascism?“

Inzwischen spricht darüber kaum einer mehr – stattdessen diskutiert die Klassikwelt die Gründe, warum nicht Sie Chef der Berliner Philharmoniker geworden sind.

Mir geht es nicht schlecht mit der Berliner Entscheidung für Kyrill Petrenko. Am Ende muss die Chemie stimmen – und eine Mehrheit ist da eine Mehrheit. Was nichts ändert an meiner guten Beziehung zu dem Orchester, mit dem ich zweimal im Jahr auftrete.

In Dresden gehen Sie nun als Chef schon in Ihre vierte Spielzeit mit Wagners „Wunderharfe“, der Staatskapelle …

 … und es ist nach wie vor wie eine Wundertüte: Wo man hineingreift, ist Gold. Diese fantastische Tradition: Weber und Wagner haben hier dirigiert, Heinrich Schütz, Hasse und so viele andere – einfach großartig!

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