Mit einem Soloauftritt im finnischen Mikkeli hat die Weltkarriere des Daniel Hope begonnen. 35 Jahre später stand der „Musiker mit der Geige“, wie er sich selbst nennt, auf fast allen großen und vielen kleinen Bühnen weltweit. Kraft findet er bei seiner Familie in Berlin, von wo er sich aus einem Ausflugslokal zum Interview schaltet.
Zu Ihrem fünfzigsten Geburtstag spielen Sie fünfzig Konzerte beim Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF). Was bedeutet das für Sie?
Daniel Hope: Ich kenne dieses Festival seit meinem zehnten Lebensjahr. 1987 habe ich als Meisterschüler beim Musikfest auf dem Land erstmals vor tausend Menschen in einer Scheune gespielt. Plötzlich wartete ich mit Künstlern, die ich teils nur aus Geschichtsbüchern kannte, auf den Auftritt: Swjatoslaw Richter, Bernstein, Celibidache. Unvergesslich! Auch das Publikum war damals schon begeisterungsfähig. Insofern ist diese unglaubliche Residenz eine Chance, etwas zurückzugeben.
Welche Beziehung haben Sie zu Norddeutschland?
Hope: Eine sehr innige. Ich habe in Lübeck studiert und in Hamburg gewohnt. In Norddeutschland habe ich mit fünfzehn erstmals die Musik Alfred Schnittkes gehört, das hat mein Leben komplett verändert.
Inwiefern?
Hope: Als junger Geiger hat man die Konzerte von Tschaikowsky, Sibelius und Schostakowitsch im Gepäck. Ein Meisterschüler beim SHMF hat aber einfach Schnittke gespielt. Das passte nicht in die typische Geigenschmiede und hat in mir eine Kettenreaktion ausgelöst. Ich wollte alles über diese Musik erfahren, also habe ich Schnittke kontaktiert. Seit der Begegnung mit ihm lebe ich für die zeitgenössische Musik und den Kontakt zu ihren Schöpfern. Ich habe größten Respekt vor den Komponisten, die auf unseren gedruckten Noten stehen, aber die sind lange tot, und wir können sie zu ihrer Musik nicht befragen.
Wie machen Sie es, dass ein Werk auch bei der x-ten Aufführung noch besonders klingt?
Hope: Ich muss an der Musik nichts machen. Ob Bach oder Roxanna Panufnik, die Musik lebt und atmet und ich betrachte sie jedes Mal mit neuen Augen. Wie sie hingegen beim Publikum ankommt, kann ich nicht vorhersehen. Im April habe ich Martin Wettsteins Doppelkonzert „The Temple of Silence“ uraufgeführt. Das hat das Zürcher Publikum mehr begeistert als das Programm von Grieg, Mozart und Pärt. Faszinierend! Als Interpret muss ich überzeugt sein, dass ein neues Stück das Beste ist, was ich je gespielt habe. Auch Komponisten können ihren Blick nach einer Premiere ändern. György Kurtág hat mit uns beim Beaux Arts Trio tagelang an einem Werk gearbeitet und es aufgrund dessen, was wir konnten und nicht konnten, umgeschrieben. Das zeigt, wie lebendig zeitgenössische Musik ist …
… und dass diese nicht unverständlich sein muss.
Hope: Das ist etwas sehr Persönliches. Im Museum kann ich abstrakte Kunst sofort ablehnen, wenn sie mir nicht gefällt. Nehme ich mir jedoch die Zeit für den Audioguide, ändert das meine Sichtweise auf das Werk. Als Interpret will ich gleichermaßen meine Entdeckungen mit den Zuhörern teilen und vor einer Aufführung ein paar Worte zu sagen. Das gibt dem Publikum die Chance kurz zu überlegen, warum es sich dieses Werk jetzt anhören soll.
Wie sinnvoll sind heutzutage noch Genregrenzen?
Hope: Ob es Sinn macht, müssen Sie jemand anderes fragen. Ich hatte das große Glück in der Nähe von Yehudi Menuhin aufzuwachsen. Hier konnte man an einem Tag Wilhelm Kempff neben Mstislaw Rostropowitsch neben Ravi Shankar erleben. Sie alle haben mich überwältigt, und was ich gehört habe, wollte ich auch spielen. Die russische Geigenschule, mit der ich groß wurde, ist eben nur eine Facette. Die Musik hat mich zu sehr interessiert, als dass ich hätte Schubladen erstellen können. Die Klassik ist eine Blase, die sich sehr schützt und oft kritisch diejenigen betrachtet, die aus ihren Sphären ausbrechen. Ich durfte mit den größten Künstlern der Welt musizieren und glaube, dass alle Musiker, egal was wir spielen oder wo wir herkommen, irgendwie verwandt sind.
Wie würden Sie die Beziehung zu Ihrem Instrument beschreiben?
Hope: Als eine extrem innige Liebesbeziehung. Sie ist meine Stimme und mein Mittel, um Musik zu machen. Seit zwölf Jahren darf ich auf der 1742 Guarneri del Gesù „Ex-Lipinski“ spielen, die eine Familie aus Norddeutschland für mich gekauft hat. Das ist so, als ob ich jeden Tag einen Sechser im Lotto hätte. Mit jedem Öffnen des Geigenkastens freue ich mich wie ein Kind im Bonbonladen.
Worin unterscheidet sich das Publikum in den USA von dem in Europa?
Hope: Ich will nicht zu sehr verallgemeinern, aber gefühlt ist das amerikanische Publikum noch enthusiastischer als das in Europa. Die Menschen sind glücklich und dankbar, in einem Konzertsaal zu sitzen, und haben Geld dafür bezahlt, weil sie an die Kultur glauben. In den USA ist alles aus privater Hand finanziert. Wenn du dort auf die Bühne kommst und nicht als erstes „Good Evening“ sagst, na dann ist was los! In Europa wird das Ansprechen eines Publikums als „Entertainment“ abgestempelt, dabei helfen, aus meiner Sicht, vor allem bei zeitgenössischer Musik ein paar Worte zu Beginn ungemein. Trotzdem: Die staatliche Unterstützung der Kultur ist eine der wichtigsten Säulen Europas. Ich hoffe, dass wir hier nie in eine Situation kommen, in der Klassik nur aus Privatinteresse existiert. Ich bin dankbar, dass Musik in Deutschland noch zur Bildung gehört.
Spielen Sie in Amerika anders als in Europa?
Hope: Nein. Ich bin, wer ich bin. Das Publikum würde es merken, wenn sich ein Künstler verstellt, und das wäre nicht förderlich.
Welches waren Ihre drei wichtigsten Konzerte?
Hope: Der letzte amerikanische Auftritt des Beaux Arts Trios 2008 beim Tanglewood Festival. Im Publikum saß Bernard Greenhouse, der das Ensemble mitgegründet hat. Er ist als Erster im Publikum aufgestanden und hat uns anschließend auf der Bühne alle umarmt, das war eine unvergessliche Erfahrung. – Dann das erste Konzert bei den BBC Proms in der Royal Albert Hall. Ich habe die englische Erstaufführung von Sir Peter Maxwell Davies’ zweitem Violinkonzert gespielt, mit ihm am Pult, an seinem Geburtstag. – Und das erste Mal in der Carnegie Hall. Ich hätte nie gedacht, eines Tages auf der gleichen Bühne zu stehen wie zuvor Tschaikowsky, Rachmaninow, Dvořák, Heifetz und wie sie alle heißen. Wenn mein Name im Schaukasten der Carnegie Hall hängt, muss ich mich jedes Mal kneifen und das Plakat fotografieren.
2018 gründeten Sie die Hope Academy. Was nehmen Sie aus der Arbeit mit jungen Künstlern mit?
Hope: Alles! Ich bin keinesfalls der Allwissende, sondern ein Suchender, der genauso von jemanden lernen kann, der ein Stück einstudiert, das ich seit 35 Jahren kenne. Ich hatte das große Glück, jahrzehntelang von älteren Musikern Hilfe bekommen zu haben. Manchmal reicht ein einziger Satz oder sogar eine banale Meinungsverschiedenheit aus. Wir alle brauchen ein bisschen Unterstützung und wir alle profitieren davon.
Auf welche Projekte freuen Sie sich nach dem sommerlichen Festivalmarathon?
Hope: Irrsinnig auf das Violinkonzert, das David Bruce für mich zum Geburtstag geschrieben hat. Ich arbeite an einem neuen Album, das 2024 erscheinen wird, und darf einmal im Jahr eine Dokumentation über Musik für Arte machen. Nächstes Jahr wird es um Südafrika gehen.
Woher nehmen Sie die Energie für Ihr enormes Auftrittspensum?
Hope: Die meiste Energie kommt von meiner Familie und meinem Zuhause. Der Rest kommt einfach, ich weiß nicht woher. Ich darf jetzt seit 35 Jahren ununterbrochen Musik machen und es gibt immer noch ein paar Leute, die mich hören wollen. Solange es diese gibt, mache ich weiter.