Er ist anders als erwartet – YouTube-Videos und PR-Fotos können eben täuschen. Nicht der geschniegelte, etwas zu perfekte Jungstar, dessen weiche Züge von scharfkantigem Edelzwirn nebst Krawatte konterkariert werden, sondern ein junger Mann mit gewinnendem Lächeln, der weiß, dass Humor dem Image nicht abträglich sein muss.
Haben Sie schon Rezensionen Ihrer CD gelesen?
Daniel Lozakovich: Klar! Valery Gergiev hat mir zwar geraten, überhaupt keine Kritiken zu lesen, aber das habe ich ignoriert. Natürlich ist es schön, positive Rezensionen zu lesen. Aber das beeinflusst mich in keiner Weise. Das Wichtigste für mich ist, mich als Musiker zu entwickeln und die Werke lebendig werden zu lassen. Lebendig und real. Wenn ich spiele, verwandle ich mich in den Komponisten. Wenn ich das nicht tun würde, wäre der Auftritt nicht gut. Er hätte keinen Atem. Wenn ich Bach, Beethoven oder Mendelssohn spiele, schlüpfe ich sozusagen in ihr Leben. Ich erfahre, was sie beschäftigt hat, was sie gedacht haben, welche Kämpfe sie ausstehen mussten. Wenn ich auftrete, verwandle ich mich. Ich bin dann eine ganz andere Person. Ich fühle mich wie ein König! Niemand kann mich stören. Ich bin hier und ich spiele meine Musik. Ich bin mitten in der Komposition, in der Orchestration. Wenn ich nicht spiele, bin ich jemand völlig anderes.
Aber Sie können nicht wissen, wie genau ein Werk in den Ohren des Komponisten geklungen hat.
Lozakovich: Genau. Wir Musiker machen etwas eigentlich Unmögliches. Wir können uns zwar durch Briefe, Aufzeichnungen, Biografien annähern. Aber exakt kann es nie sein. Wenn jemand sagt, er kenne die ultimative Interpretation, liegt er falsch. Es gibt sie nicht. Ich versuche es auf meine Art. Es ist immer ein Versuch. Die Quellen stehen uns ja zum Glück zur Verfügung, es gibt unzählige theoretische Abhandlungen zu Werk und Komponist. Noch interessanter ist aber oft die Praxis. Wir können auf die Erfahrung vieler großer Musiker zurückgreifen, wie sie die Musik interpretieren.
Ich habe zum Beispiel sehr viel von Valery Gergiev gelernt. In St. Petersburg haben wir zusammen Tschaikowsky aufgeführt, eine großartige gemeinsame Erfahrung. Ich lerne aber auch von Pianisten wie Menahem Pressler, den ich in Berlin bei der Yellow Lounge getroffen habe. Eine eindrucksvolle Person. Seine ganze Erfahrung spricht aus ihm heraus, so voller Gefühle. Die Begegnung war sehr nah und voller Vertrauen. Einer der ganz großen Pianisten derzeit ist Grigory Sokolov. Das großartigste Konzert, das ich jemals gehört habe, war sein Auftritt in Stockholm. Im ersten Teil spielte er Sonaten von Haydn, im zweiten dann Beethoven.
Was war so faszinierend an dem Auftritt?
Lozakovich: Es fühlte sich so an, als ob es genau das gewesen wäre, was der Komponist gewollt hat. Sokolov transportierte einen mitten in diese Welt. Man konnte ihn kaum sehen, die Bühne war sehr abgedunkelt. In einigen Momenten kam es mir so vor, als ob Beethoven da sitzen würde. Ein Spiel der Imagination. Wie es Thomas Mann in seinem „Doktor Faustus“ beschreibt. Vor allem die zweite Sonate ist wie ein Symbol, ein Symbol Gottes. „Wenn du komponierst, schau hinauf“, heißt es.
Warum haben Sie Bach für Ihr Debütalbum gewählt?
Lozakovich: Ich wollte ein Statement abgeben, wer ich bin. Natürlich war das ein großes Risiko. Es gibt so viele Schattierungen und Details, so viel Tiefe. Und viele Stile, um sich seiner Musik zu nähern. Ich wollte den alten Stil mit dem neuen Stil verbinden, um diesen Bach zu meinem eigenen zu machen. Mit den beiden Concertos und der Partita zeige ich zwei verschiedene Seiten von Bach. Die kammermusikalische Seite, bei der die Stimme mit dem Orchester kommuniziert, und in der Partita die sehr persönliche Seite, die intim und gleichzeitig kraftvoll ist. Bei den Concertos hört man noch den Einfluss von Vivaldi, die wundervollen Harmonien und den geschickten Kontrapunkt, während die Solo-Partita ganz von innen kommt. Bach war der erste Komponist, der Musik auf ein vollkommen neues Level gebracht hat.
Bach war ein Workaholic. Sie auch?
Lozakovich: Nicht wirklich. Ich kann nicht länger als vier oder fünf Stunden üben, danach funktioniert mein Gehirn nicht mehr so gut. Wenn du müde bist, wird es nur noch schlimmer. Ich muss an meine Auftritte am Abend denken, da braucht man die volle Konzentration. Wenn ich Unterrichtsstunden habe, muss ich meine Zeit noch besser aufteilen. Ich habe einen harten Zeitplan, den ich mir genau aufschreibe. Oft muss ich früh aufstehen, so gegen fünf Uhr. Ich hasse das. Aber wenn das so ist, muss es eben sein.
Sie sprachen eben von Risiko …
Lozakovich: Ich liebe das Risiko! Ich hätte auch ein ganz normales Debütalbum machen können. Aber das hätte sich anders angehört als meins. Beethovens Violinkonzert wäre auch so ein Risiko gewesen. Diesem Werk fühle ich mich sehr nahe. Aber das hebe ich mir für später auf. Bach war die perfekte Wahl – und das perfekte Risiko.
Setzt sich das in Ihrem Leben fort? Riskante Sportarten zum Beispiel?
Lozakovich: Nun ja … Ich betreibe Boxsport.
Wie bitte?!
Lozakovich: Ja, genau! Das ist gar nicht so gefährlich für die Hände. Die sind gut verpackt in dicken Boxhandschuhen. Es ist gar nicht die Kraft, die zählt, son dern die schnelle Bewegung mit den Händen, die geschick te Arbeit mit den Füßen. Die Kraft kommt aus der Schulter. Meinen Hang zum Boxen habe ich von Vladimir Spivakov, mit dem ich mein Debüt als Solist gab. Er liebte den Sport schon als Jugendlicher und hatte auch Kontakte zu Profiboxern. Ich übe ganz privat im Fitnessstudio in Stockholm. Fußball spiele ich auch gerne. Und ich spiele seit meinem fünften Lebensjahr Schach. In Schweden habe ich bei vielen Turnieren mitgemacht, als ich jünger war. Ich war aber immer derjenige mit den schwächsten Nerven.
In der Musik kenne ich das gar nicht. Keine Nervosität. Ich habe Schach aufgegeben. Bis ich in Genf Eduard Wulfson kennenlernte, meinen Professor. Wir haben aus Spaß ein paar Partien gespielt. Wir spielten also einige Partien und ich gewann zunächst. Ich dachte tatsächlich, er sei ein Amateur. Aber das war ein Trick. Seine Attacken waren wirklich gut, er drehte auf, und ich verlor immer wieder und wieder. Das war eine echte Herausfor derung. Ich habe mich in seiner Bibliothek umgesehen, welche Schachbücher er hat, fand aber kein einziges! Unmöglich. Dann sagte er mir: „Okay, ich verrate dir ein Geheimnis“ und führte mich in einen anderen Raum. Dort öffnete er einen Schrank – und was sah ich? Schachbücher noch und nö cher! Er hat mich einfach aus getrickst.
Was kann ein Musiker aus diesem Spiel lernen?
Lozakovich: Tiefes Denken. Man lernt mehr Flexibilität, denn man muss viele Züge im Voraus denken. Wenn du auf der Bühne plötzlich anfängst zu analysieren, bist du verloren. Viele große Musiker waren auch gute Schachspieler. Auch mit Valery Gergiev habe ich einige Partien bestritten. Ein wirklich guter Spieler. Er spielt sehr stark auf Risiko, aber das mag ich ja. Das Spiel zeigt eben auch auf, wie du als Person bist.
Daniel Lozakovich über sein Debütalbum:
concerti-Tipps:
Festival der Nationen
06.10.2018, 19:00 Uhr
Daniel Lozakovich (Violine), Fazıl Say (Klavier), Münchner Rundfunkorchester, Aleksandar Marković (Leitung)
Saint-Saëns: Introduction et Rondo capriccioso a-Moll op. 28, Mozart: Klavierkonzert C-Dur KV 467, Say: Klavierkonzert Nr. 2 „Silk road“, Gershwin: Rhapsody in Blue
Kursaal Bad Wörishofen