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Interview David Finckel & Wu Han

„Die Menschen wollen kein Fast Food mehr konsumieren“

Sie fordern Anstrengung statt Anbiederung: Cellist David Finckel und Pianistin Wu Han revolutionieren weltweit die Kammermusik

vonPeter Krause,

Ein Vierteljahrhundert war David Finckel Starcellist des Emerson String Quartet. Heute bildet er mit seiner Ehefrau, der Pianistin Wu Han, eines der weltweit führenden Duos. Und das „Power Couple of Chamber Music“ hat in den USA eine ganz neue Bewegung für die Kammermusik begründet, während deren Präsentation in Europa als verstaubt und ihr Publikum als überaltert gilt.

Sie haben der Kammermusik in Amerika zu ganz neuer Relevanz verholfen – gerade bei jungen Hörern. Verraten Sie uns Ihr Geheimnis?

Wu Han: Angesagt ist ja, die Menschen über Crossover in die Säle zu bekommen. Das Ergebnis ist nur: Die Leute wechseln auf diese Weise überhaupt nicht die Seiten! Weil sie uns diese Taktik nicht abnehmen. Stattdessen muss eine tiefere Verbindung entstehen, wir müssen erklären, warum denn diese Musik so großartig ist. Es geht uns um einen langfristigen Plan, gerade um jungen Leuten eigene Entdeckungen zu ermöglichen, welche Schätze klassische Musik für sie bereithält. In der Chamber Music Society of Lincoln Center in New York haben wir zunächst ein Programm für High-School-Schüler entwickelt. Diejenigen, die ein Instrument spielen, laden ihre Freunde ein, zu uns zu kommen. Alle zahlen fünf Dollar, und sie kommen ins Konzert wie in einen Club, treffen sich untereinander. Und stellen danach absolut fantastische Fragen. Wenn sie älter werden und ins College gehen, begleiten wir die Kids weiter, der Kontakt untereinander bleibt bestehen, setzt sich an den verschiedenen Universitäten über eigene Clubs fort, die wiederum untereinander verbunden sind, die Verbindung breitet sich aus, wird immer intensiver. So ist über die Jahre eine echte Kammermusik-Bewegung entstanden.

Nach der Familiengründung reißt der Kontakt zur Kunst dann aber oft

ab …

Han: Aber wenn die eigenen Kinder dann ihrerseits ins College gehen, gibt es den Trend, dass die Menschen zurückkehren zu guter Musik, auch weil sie es oft peinlich finden, mit 50 Jahren wieder in ein Rock-Konzert zu gehen. Sie wollen in ihrem Leben kein Fast Food mehr konsumieren, wollen wieder etwas lernen, von den feinen und raffinierten Dingen kosten, dazu haben sie mehr Geld und Zeit – das ist der Moment der Rückkehr zur klassischen Musik. 

In Europa haben wir allerdings das Problem, dass die Menschen, die ab 50 mehr Zeit und mehr Geld besitzen, gute Musik eben gerade nicht für sich entdecken, weil es bei ihnen den frühen Kontakt zur Klassik in der Jugend nie gegeben hat.

Han: Als wir unsere Konzertreihe und unser Festival „Music@Menlo“ im Silicon Valley starteten, hörte ich eben diese Diagnose und die Warnung dorthin zu gehen. Man dachte, die Leute säßen nur hinter ihren Computern, ihnen gehe es nur ums Geldverdienen. Die Wahrheit ist: Wer den ganzen Tag als Ingenieur, Programmierer, Forscher oder Mathematiker seine einsame Arbeit macht, sucht hernach die Gemeinschaft. Das Gehirn braucht eine andere Stimulation. Als wir es wagten, nach Silicon Valley zu gehen, überbrachten wir nicht die Botschaft, dass jetzt endlich mal berühmte Musiker in diese entlegene Gegend kommen würden. Niemand würde diese Namen kennen. Stattdessen vermittelten wir ein Umfeld für Lern- und Hörerfahrungen über Musik: Wir begannen bewusst nicht mit einer kleinen oberflächlichen Einführung, sondern mit zweistündigen Präsentationen, in denen es um Kontexte, historische und persönliche Bezüge, etwa um die Beziehung von Brahms zu Clara Schumann und den Geheimcode ihrer Kommunikation ging. Heute ist dieses Format als erstes ausverkauft.

Wir kennen in Europa eher den Ansatz, Klassik in Diskotheken zu bringen, um sie cool und auf einfache Weise konsumierbar zu machen.

David Finckel: Aus amerikanischer Sicht lautet das Vorurteil, Beethoven sei alt, weiß und europäisch – er sei also nicht mehr relevant. Die Konsequenz scheint zu sein, wir müssten seine Musik zugänglich machen, ein Video einspielen, ihn in einer Bar aufführen. Welch ein Fehler! Der gute alte Beethoven ist schließlich unser Shakespeare! Seine beste Musik gehört zu den größten Schöpfungen der Menschheit überhaupt. Wenn wir nicht von genau dieser Perspektive und diesem festen Glauben aus starten, stellen wir unsere Kunstform dauernd in Frage. Die Komplexität der Klassik zu verstehen, braucht seine Zeit. Nach der ersten Weinprobe wird man noch nicht zum großen Kenner. Man muss darauf aufbauen, wieder schmecken und hören

– und dann vergleichen.

Spüren Sie in dieser durchökonomisierten Welt einen neuen Hunger nach Dingen jenseits dessen, was man kaufen kann?

Finckel: Silicon Valley folgt ja der Idee des Venture Capital. Es geht also um Investitionen in Ideen! Menschen mit verrückten Ideen verlassen dieses Zentrum später mit Millionen in der Tasche. Es liegt nun an Leuten wie uns, den Menschen mit Geld zu vermitteln, warum auch die Kammermusik für sie Sinn machen und im besten Sinn eine Wertschöpfung darstellen kann. Wer sich für Künstler interessiert, sucht eben genau das, was er nicht im Supermarkt-Regal finden kann, er sucht das ganz andere im Leben – inspirierte, ungewöhnliche Menschen, die keine Kompromisse machen, die wirklich etwas wagen. Viele Absolventen planen jetzt ein Leben in der Kammermusik. Da bilden sich gerade ganz viele neue Graswurzeln: Schauen Sie sich einfach mal in New York um – überall klebt da ein Plakat für ein frisches Ensemble, das an neuen Orten Konzerte gibt.

Wie nehmen Sie die europäische Musikszene im Vergleich zur amerikanischen wahr?

Han: Ich denke, Europa liegt in vielen Entwicklungen immer fünf bis zehn Jahre gegenüber den USA zurück. Die Kulturinstitutionen haben bei uns große und starke Fundraising-Abteilungen aufgebaut, die sehr genau das Verhalten der Hörer erforscht haben und wirklich enge Kontakte zu ihren Donatoren pflegen. Auch die Öffnung durch die digitale Kommunikation funktioniert gut. Im Marketing arbeiten wir nur mit wirklich jungen Mitarbeitern zusammen: Die schaffen es dann auch, ein junges Publikum anzusprechen. Längst wieder überwunden haben wir freilich den Drang zu bewusster Niedrigschwelligkeit von Konzerten in Clubs, in denen sie erstmal ein Freibier offeriert bekommen. Das haben wir alles probiert: Die Leute kommen einmal, das war’s dann. Wir sind also zurückgekehrt zum Kern der Musik. Es handelt sich nun mal um eine hohe Kunstform. Unsere Botschaft lautet deshalb: Wenn du smart, engagiert und neugierig bist, dann wirst du bei uns mit einer großartigen Erfahrung bereichert.

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