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Interview Demis Volpi

„Da konnte ich nicht mehr Nein sagen“

Nach John Neumeiers „Epilog“ folgt sein „Prolog“: Demis Volpi ist neuer Chef des Hamburg Ballett und möchte einen behutsamen Übergang schaffen.

vonDagmar Ellen Fischer,

Das Ballett am Rhein verließ Demis Volpi nach vier Jahren mit einem gebrochenen Herzen, aber immerhin wissend, dass er es in gute Hände gab: in jene von Bridget Breiner und Raphaël Coumes-Marquet. In Hamburg beginnt nun eine neue Ära. Demis Volpis erster Arbeitstag war der 1. August 2024.

Als Nachfolger von John Neumeier übernehmen Sie Direktion und Intendanz des Hamburg Ballett. Wie kam es dazu?

Demis Volpi: Als die Findungskommission zum ersten Mal an mich herantrat, ging es um einen Wechsel 2023. Das musste ich ablehnen, weil mein damaliger Vertrag erst 2024 endete. Eine vorzeitige Auflösung des Vertrags mit dem Ballett am Rhein kam für mich nicht infrage. Ich hatte eine Verantwortung übernommen, auch für die Kunstform in Düsseldorf und Duisburg. Das Haus hat sich sehr für mich eingesetzt, mir meine erste Direktion gegeben. Damit war das Thema zunächst vom Tisch. Ein halbes Jahr später hat man mich erneut kontaktiert. Hinzu kam, dass John Neumeier die Entscheidung unterstützte und sich bereit erklärte, seinen Vertrag um ein Jahr zu verlängern, damit ich ab Sommer 2024 übernehmen könne. Da konnte ich nicht mehr Nein sagen.

Hatten Sie Zweifel?

Volpi: Es kamen viele Gedanken: Bin ich die richtige Person? Passen meine Qualifikationen zu dieser Compagnie? Identifiziere ich mich mit dem Hamburg Ballett und kann mir vorstellen, es zu leiten? Oder müsste ich so viele verändernde Entscheidungen treffen, dass es nicht mehr das Hamburg Ballett wäre? Ich konnte diese Fragen für mich guten Gewissens so beantworten, dass ich es für die richtige Entscheidung halte.

John Neumeier sagt, den Beruf des Ballettdirektors könne man nicht erlernen. Wie sehen Sie das?

Volpi: Es ist eine Position, die sich von allen anderen am Theater unterscheidet. Wenn man zusätzlich Choreograf ist, wird es noch intensiver. In der Funktion ist man sehr beteiligt an der Entwicklung jeder einzelnen Person. Das bedeutet auch, dass es bei Begegnungen mit den Tänzerinnen und Tänzern Herausforderungen geben kann. Manche Dinge wiederholen sich, für einige Fragen hat man schon eine Antwort parat. Aber zum Glück wird man immer wieder überrascht. Jede neue Herausforderung ist ein kreativer Moment, und es geht nicht nur darum, auf die Herausforderung zu reagieren, sondern diese aktiv zu gestalten. Damit umzugehen, kann man nicht lernen. Man kann es entweder wollen und wirklich gewissenhaft machen, oder es geht schief. Man muss bereit sein, seine Lebenszeit dieser Aufgabe zu widmen, denn sie fordert sehr viel.

Ihr erste Spielzeit haben Sie mit „Prolog“ überschrieben. Unter welchen Überlegungen wurde sie konzipiert?

Volpi: Hier wirken verschiedene Prozesse. Aus der Perspektive des Kartenvertriebs müssen die Stücke, die in der letzten Spielzeit wiederaufgenommen wurden oder Premiere feierten, auch in der nächsten Spielzeit für die Abonnentinnen und Abonnenten zu sehen sein, wie zum Beispiel John Neumeiers unlängst aufgeführtes Ballett „Epilog“. Ferner müssen auch auf programmatischer Ebene Entscheidungen getroffen werden, die das Repertoire in eine Balance bringen: Ein Stück von John Neumeier ist nicht gleich einem anderen von ihm. „Endstation Sehnsucht“ fordert die Compagnie und das Publikum anders als die „Matthäus-Passion“. Ausgeglichen innerhalb einer Spielzeit soll es sein, auch in Bezug auf die Unterschiedlichkeit in den Stimmungen der Abende. Gleichzeitig möchte ich den Tänzerinnen und Tänzern und dem Publikum auch andere Tanzperspektiven anbieten. Deshalb sind in der nächsten Spielzeit Werke von insgesamt acht unterschiedlichen choreografischen Handschriften zu sehen. Mit „Prolog“ möchten wir für das Publikum und die Compagnie einen behutsamen Übergang gestalten.

In der Saison 2024/25 sind viele Neumeier-Werke auf dem Spielplan, wird es in kommenden Spielzeiten weniger geben?

Volpi: Das beschäftigt offenbar viele Menschen: die Frage nach der Strategie! Wie sieht die ideale Balance aus? Da gibt es keine Antwort. Wir müssen uns von Spielzeit zu Spielzeit arbeiten und schauen, welche Werke sinnvoll zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Repertoire geholt werden sollten, oder wo es wichtig wird, Neues zu bringen. Ich könnte mir jetzt eine Zahl ausdenken, aber sie wäre willkürlich. Man muss einen Spielplan als Gesamtkunstwerk betrachten und die Zeit wahrnehmen, in der dieser Spielplan entsteht, denn er entsteht aus der Gegenwart. Sicher wird es Stücke geben, die es zurückzuholen gilt. Oder es gibt einen Choreografen beziehungsweise eine Choreografin, der oderdie unbedingt eine Chance bekommen soll, um den nächsten Schritt zu gehen.

Sie eröffnen mit „The Times Are Racing“, einem Ballettabend, der vier unterschiedliche choreografische Handschriften zeigt.

Volpi: Der erste Abend zeigt Choreografien von Pina Bausch, Hans van Manen, Justin Peck und mir. Ursprünglich war die Idee, eine Reise durch fünfzig Jahre Tanz zu machen, aber das wäre ein sehr langer Abend geworden. Stattdessen habe ich Sprachen destilliert, die eines gemeinsam haben: Sie basieren alle – wie die Arbeiten, die bisher in Hamburg gezeigt wurden – auf dem klassischen Tanz und haben dabei einen eigenständigen Blick auf die Welt. Dadurch zeigen sie ästhetisch eine eigene Sprache, die sich für ein Publikum, das John Neumeiers Arbeiten gewohnt ist, neu und trotzdem vertraut anfühlt.

Sie haben sich in das Hamburger Publikum versetzt?

Volpi: Ich muss schauen, wie ich Sehgewohnheiten eines Publikums entwickele, dafür muss ich die Sehgewohnheiten erst einmal verstehen. Meine Aufgabe ist nicht, Trends oder Modisches hierher zu bringen, sondern ein Repertoire mit einer Identität aufzubauen, das sich vom Repertoire anderer deutschen Compagnien unterscheidet.

Justin Peck kommt vermutlich, um ein jüngeres Publikum anzusprechen?

Volpi: Justin Peck steht für eine Heutigkeit. Wenn man das Stück sieht, denkt man nicht unbedingt, dass es eine Jahrhunderte alte Tanzsprache nutzt. Es ist ein sehr klassisches Stück, fühlt sich gleichzeitig urban an. Der Zugang ist niederschwellig, und trotzdem ist es sehr ­sophisticated.

Von Ihnen stehen drei Werke auf dem Spielplan …

Volpi: „Der Karneval der Tiere“ wird von der Ballettschule getanzt. „The thing with feathers“ zu Musik von Richard Strauss habe ich 2023 in Düsseldorf kreiert. Es ist eine eher abstrakte Arbeit, in der es um Hoffnung geht. Es ist nicht mein lautestes Stück, vielmehr subtil, man muss genau hinschauen. Mir liegt daran, diese Arbeit zu zeigen, weil sie sehr viel Seele hat.

Und schließlich „Demian“ nach dem Roman von Hermann Hesse …

Volpi: Die Idee dazu gibt es seit 2012. Es ist eine enorme Herausforderung. Aber das Hamburg Ballett ist die richtige Com­pagnie für dieses Stück.

Das Kennenlernen der Compagnie motivierte Sie, den lang gehegten Plan umsetzen?

Volpi: Ja, und die Gefahren unserer Zeit. Ich erhoffe mir, dass durch das Stück viele Menschen das Buch lesen. „Demian“ erzählt die Geschichte eines Jungen bis zum Alter von circa  22 Jahren. Wir lernen von ihm ein Hinterfragen dessen, was uns gesagt wird. Das vermisse ich in der heutigen Welt manchmal. Er ermutigt uns zum genauen Hinschauen und Zuhören. Ich wünsche mir, dass ich seine Perspektive und die Lust am kritischen Denken über die Bühne weitergeben kann.

Wenn Sie zurückschauen: Gibt es da Momente, von denen Sie sagen, das hätte ich lieber anders gemacht?

Volpi: Vieles in meinem Leben verlief sehr organisch. Ich habe aber auch stets viel Zeit und Energie investiert, als Tänzer, als Choreograf, als Ballettdirektor, jetzt als Ballettintendant. Ich bin heute an dem Ort, an dem ich sein will. Natürlich gab es zuweilen auch schwierige Momente, Stücke, die nicht so verstanden wurden, wie ich sie gemeint habe. Die Buhs gab es auch. Aber ich stehe zu all dem, was ich bis jetzt gemacht habe, es war immer ehrlich und mit voller Kraft. Ich bereue nichts.

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