Nur noch Stars füllen die Konzertsäle! Das Klassikpublikum stirbt aus! Schlagzeilen wie diese geistern immer mal wieder durch die Musikbranche – doch wie ist es wirklich um den Klassikmarkt bestellt? Michael Haller, Medienwissenschaftler an der Hamburg Media School, hat mit seiner Studie Typisch Klassik! im Auftrag von concerti die Interessen, Gewohnheiten und Lebensstile der Klassikhörer in Deutschland erforscht.
Der Klassikhörer – das unbekannte Wesen?
In sehr großen Abständen von zehn, fünfzehn Jahren gab und gibt es Erhebungen. Aber wegen des sehr dynamischen Wandels der Musikwelt und speziell der Nutzungsweisen von Musik sind solche Erhebungen auch schnell veraltet. Die Halbwertszeiten dieser Studien sind sehr begrenzt.
Nun gibt es zu allen möglichen Themen ständig neue Erhebungen – warum nicht auch in der Klassik?
Die Welt der klassischen Musik wie auch der Klassikanbieter ist äußerst kleinteilig – anders als in der Unterhaltungsbranche gibt es keine Konzerne, keine überregionalen Veranstaltungsketten oder Musik-Plattformen. Stattdessen sind zahlreiche kleine Konzertveranstalter aktiv wie auch bunt zusammengewürfelte Initiativen für Events oder Festivals. Die denken nicht daran, eine deutschlandweite Gesamterhebung auf die Beine zu stellen und zu finanzieren.
Ihre Studie soll in dieses Dunkel nun mehr Licht bringen – wo sehen Sie hier die größten Fragezeichen?
Die Musikwelt ist heutzutage sehr dynamisch, so dass wir gar nicht mehr genau sagen können, wie eigentlich das Publikum und der Bevölkerungsanteil aussieht, der nicht nur über klassische Musik redet, sondern diese auch hört. Was die Frage aufwirft: In welchem Verhältnis steht der Klassik-Konsum vermittels der zahllosen Kanäle und Abspielmöglichkeiten zur Klassik in Form von Aufführungen und Live-Konzerten?
Für Konzertveranstalter vermutlich eine existentielle Frage.
Ja, denn gerade für die Konzerthäuser stellt sich die Frage: Wen können wir mit welchen Angeboten über welche Kanäle erreichen, wenn wir über die etablierte Kundschaft hinausgehen wollen? Die Stammkundschaft wird ja immer älter und darum auch schwinden. Die nachfolgenden Generationen müssen erst noch gewonnen werden.
Doch im Gegensatz zum Klassikkonsum dieser älteren Kundschaft widmet sich die junge Generation meist lieber dem Pop – und manifestiert damit die für Deutschland so typische Trennung in U- und E-Musik. Woher rührt diese?
Die große Tradition vom Barock bis zur Klassik ist im deutschen Sprachraum beheimatet. Ein Grund dafür liegt in der abgehobenen höfischen Mäzenatkultur, die in den deutschen Kleinstaaten bis ins 19. Jahrhunderts reichte. Damit unterschied sich die Art und Weise, wie die klassische Musik zelebriert und finanziert wurde, radikal von der Volksmusik – von dem, was wir noch heute als U-Musik bezeichnen.
Und diese Trennung wirkt noch immer fort?
Jedenfalls klingen diese Tradierungen bis heute nach. Denn erst durch das sich etablierende Bürgertum der Biedermeierzeit verlor die klassische Musik ihren abgehobenen Charakter und wurde volkstümlicher. Denken wir an die Veränderungen in der Zeit der Romantik, als in den Bürgerhäusern neben der Liedkultur die Kammermusik zur Blüte kam.
Hat Klassik also heutzutage an Popularität gewonnen und auch breitere Kreise der Bevölkerung erobert?
Ich vermute eher, dass sich die Merkmale der E-Musik derzeit weiter auflösen und die Genres verschwimmen: Wenn der Jazzpianist Keith Jarrett mit Hingabe Arvo Pärt oder auch Bach spielt. Oder der Jazzer Jan Garbarek das Hilliard Ensemble in Schwung bringt. Oder die interkulturelle Musik! Sie bringt unfassbar schöne Klangkörper hervor, etwa wenn der tunesische Oud-Spieler Anouar Brahem mit einer skandinavischen Combo spielt. Es kann also sein, dass die Hardcore-Hörer klassischer Musik weniger werden und dafür die Hörer der offenen, die Grenzen der Genres sprengenden Musik zunehmen. Wer weiß! Antworten auf diese und viele weitere Fragen soll unsere Erhebung herausfinden.
Die Befragung zur concerti-Klassikstudie ist beendet. Hier erfahren Sie die Ergebnisse.