An der Wiener Staatsoper dirigierte Guillermo García Calvo über 200 Vorstellungen, im Herbst übernahm der 39-jährige Spanier nach Frank Beermann die Position des Generalmusikdirektors der Robert-Schumann-Philharmonie. Das Orchester und die Oper Chemnitz stehen für packende Opernentdeckungen, großes Konzertrepertoire und vor allem für überregional gefragte Wagner-Aufführungen. Guillermo García Calvo hat ein großes Herz für Musiktheater und freut sich auf seinen zweiten „Ring des Nibelungen“.
Bisher kennt man Sie vor allem im Musiktheater. Wird das in Ihrer neuen Position als GMD in Chemnitz anders?
Guillermo García Calvo: Tatsächlich hatte ich bisher nur selten Gelegenheit für Konzerte, meistens in Spanien und auch dort leider nur unregelmäßig. An der Wiener Staatsoper hatte ich als Korrepetitor begonnen, dann debütierte ich dort als Ballett-Dirigent und zwei Jahre später mit Opern. In Chemnitz habe ich die Gelegenheit, mir das große Konzert-Repertoire zu erarbeiten. Trotzdem betrachte ich mich in erster Linie als Theatermenschen. Ich liebe es, mit vielen Menschen Gemeinschaftserlebnisse zu teilen.
Fällt es Ihnen deshalb so leicht, die Gewichte zwischen Orchestergraben und Bühne zu verlagern und der Bühne an manchen Stellen die Führung zu überlassen?
Guillermo García Calvo: Genau das fasziniert mich an der Gattung Oper. Ich lerne immer von der Bühne. Partituren für sich sind ja etwas Unvollständiges und man braucht alle Energien eines Hauses, Regie, Bühne, Kostüme. Das alles beeinflusst meine Interpretation. Eine Neuproduktion von einem Stück, das ich schon dirigiert habe, ist immer etwas ganz anderes als ein Gastdirigat oder eine Übernahme. Der Chemnitzer „Maskenball“ wird nichts zu tun haben mit einer Inszenierung dieser Oper, die ich vielleicht später ganz anders dirigieren werde. Die Lyrik dieser Aufführung kam ganz stark von den Sängern. Natürlich habe ich das genutzt und verstärkt. Es war schließlich Verdis Absicht, sich der Leichtigkeit der französischen Oper anzunähern.
Was war bisher Ihre wichtigste Verdi-Erfahrung?
Guillermo García Calvo: Besonders spannend und eine echte Bewährung war für mich „Stiffelio“ im Herbst 2017 beim Verdi-Festival in Parma. Die Produktion kam nicht am berühmten Teatro Regio heraus, sondern am Teatro Farnese, einem riesigen Theater. Aber es ist kein richtiges Opernhaus. Das Publikum stand und saß mitten im Spielgeschehen. Ich hatte Angst vor dem Debüt, denn Graham Vick hatte sehr mutig die „Sextremismus“- Debatte in Italien aufgegriffen. Riccardo Muti polemisierte noch vor der Premiere gegen die Inszenierung: „Diesen Skandal sollte man boykottieren.“ Es war auch musikalisch äußerst spannend, weil die Sänger und ich über Monitore kommunizieren mussten.
In Halle gab es vor kurzem einen „Fliegenden Holländer“ ohne vierte Wand, dafür mit Interaktion mit dem Publikum. Wäre so etwas für Sie auch in Chemnitz vorstellbar?
Guillermo García Calvo: Ich bin immer offen für neue Ideen. Die Oper sollte eine Gattung ohne Grenzen sein. Richard Wagner und Giuseppe Verdi waren revolutionär. Immer wieder wurden Konventionen vernichtet und dann eine neue Welt geschaffen. Ich möchte, dass die Menschen ein besonderes Erlebnis haben. Dieses darf unerwartet und vielleicht sogar unbequem sein, aber keinesfalls selbstverständlich. Ich will keine Revolution, aber das Theater muss lebendig bleiben. Als Zuschauer bleiben mir vor allem die Produktionen in eindrucksvoller Erinnerung, die mich zuerst schockiert haben.
Nach einem Zyklus in Oviedo bringen Sie in Chemnitz bereits zu Beginn Ihrer Amtszeit in einem Kalenderjahr den „Ring des Nibelungen“ heraus, andere beenden mit dieser Tetralogie eine Ära. Das ist wie ein schneller Griff zu den Sternen!
Guillermo García Calvo: Es ist ein sagenhaftes Gefühl für mich, einen „Ring“ im Land von Richard Wagner zu dirigieren. Als ich in Oviedo mit meinem ersten „Ring“ debütierte, war er als Erstaufführung eine Entdeckungsreise für uns alle. In Chemnitz ist es zum Glück mein zweiter „Ring“, aber für viele im Orchester und im Zuschauerraum bereits der dritte, vierte, fünfte. Dadurch hat man hier eine ganz andere Haltung zur Tetralogie. Hier ist das Wichtigste die Zusammenarbeit mit der Bühne. Wir machen die vier Abende mit vier Regisseurinnen, jede inszeniert einen anderen Teil. Sie sind sich erst vor kurzem das erste Mal begegnet, erst nachdem sie ihre Konzepte entwickelt haben. Sie sind sehr gut vorbereitet und haben außergewöhnliche Ideen. Für mich wird der „Ring“ also ein neues Werk, das ich überhaupt nicht mit Oviedo vergleichen kann.
Und was können dann für Sie nach dem „Ring des Nibelungen“ noch für Höhepunkte kommen?
Guillermo García Calvo: In den nächsten Spielzeiten wird es immer mindestens zwei Zyklen geben. Dazu planen wir jede Spielzeit Neuproduktionen einer weiteren Oper von Wagner oder Strauss. Auch in Konzerten bricht bei mir immer wieder die Liebe zum Theater und zum deutschen Repertoire durch. Zu den Höhepunkten der kommenden Spielzeit gehört neben Bruckner eine Sinfonie von Ralph Vaughan Williams, der für Chemnitz noch recht neu ist.
Sie sagten mehrfach, dass Sie sich in den weichen Klang der Robert-Schumann-Philharmonie verliebt haben. Was ist hier anders als in Oviedo?
Guillermo García Calvo: Die spanischen Orchester verfügen über paradiesisch klingende Holz- und Blechbläser. Alle Soli haben eine runde und dabei außergewöhnliche Individualität. Aber es fehlt an der Homogenität der Streicher, dafür gibt es dort keine idealen Vorbilder. Das hat sich zeitweilig geändert, als nach 1989 viele Musiker aus Russland nach Spanien gekommen sind. Doch letztlich gibt es in Spanien keinen typischen Streicherklang wie bei den großen mitteleuropäischen Orchestern. Immerhin hatten wir zwei Orchester, das Orquesta Sinfónica de Asturias und die Oviedo Filarmonía, für die riesige Originalbesetzung, wie sie Wagner wollte. Die Robert-Schumann-Philharmonie ist dagegen durch eine lange reiche Tradition gewachsen und hat einen ganz unverwechselbaren Streicherklang.
Sie werden in Chemnitz auch „Die Fledermaus“ dirigieren – wie schaut es mit der Zarzuela, dem spanischen Pendant zur deutschen Operette aus? Sie gastieren ja auch regelmäßig am Teatro de la Zarzuela Madrid.
Guillermo García Calvo: Einige Werke der Wiener Operette, nicht nur „Die Fledermaus“, werden überall verstanden. Bei der Zarzuela, einer spezifisch iberischen Form des Musiktheaters, bin ich mir nicht so sicher. Als Korrepetitor hatte ich an der Wiener Volksoper vor vielen Jahren „Die Generalin“ einstudiert, das war schwierig. Seit zwanzig Jahren lebe ich nicht mehr in Spanien. Wenn ich spanische Musik höre, reagiere ich melancholisch und nostalgisch. Deshalb kann ich da nicht objektiv sein. Im Juni machen wir in der Stadthalle ein spanisches Programm.
Wie nehmen Sie Chemnitz im Vergleich zu Wien und anderen Auftrittsorten wahr?
Guillermo García Calvo: Überall, auch in Berlin und Essen, machen mich die Spuren der Vergangenheit nachdenklich. Diese erkennt man sofort an der Architektur. Die Neugier auf deutsche Geschichte wird noch größer durch meine Bewunderung dafür, was dieses Land alles überstanden hat: Die Zeit zwischen den Weltkriegen, den Nationalsozialismus, die DDR. Und danach hat sich alles so schnell zu einer musterhaften Demokratie entwickelt. Ich spüre diese Geschichte überall, jetzt auch in Chemnitz.
Vielleicht kommt dieser Widerhall nur, weil ich mir das ständig bewusst machen will. Deutschland ist für mich wie eine offene Universität über den Wandel und die Wechselhaftigkeit der Ideologien und des Lebens. Das wird mir gerade in zwei Chemnitzer Gebäuden aus der DDR-Zeit bewusst, dem Hotel an der Oper und der Stadthalle, die in ihrer Akustik, Raumgestaltung und Transparenz ein idealer Konzertsaal ist. Dagegen frage ich mich in Wien oft, warum so viele Menschen „grantig“ sind. Sie machen sich viele Probleme. Aber sie sind in einer der schönsten Städte der Welt, in Polen oder Bulgarien gibt es ganz andere Schwierigkeiten.
Ihr Deutsch ist übrigens ausgezeichnet. Woher kommt’s?
Guillermo García Calvo: Ich liebe die deutsche Sprache, sogar ihre Versuchung zu sehr langen Sätzen. In den romanischen Sprachen müssen wir viel mehr Punkte setzen. Aber Goethe und Schiller haben es geschafft, kurze Gedichte mit wenigen Worten zu machen. Das bewundere ich.