Die Chemie stimmt ganz offensichtlich zwischen dem spanischen Dirigenten Gustavo Gimeno und dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg. 2015 begann die Zusammenarbeit, bereits während der zweiten gemeinsamen Spielzeit wurde diese bis 2022 verlängert.
Es gibt eine Reihe junger spanischer Musiker, die weniger in ihrer Heimat, dafür in Mittel- und Nordeuropa, besonders in Deutschland, Karriere machen. Was zieht Ihre Kollegen hierher?
Gustavo Gimeno: Natürlich das fantastische Kulturleben, das ihr in Deutschland, aber auch in Holland habt! Der offene Geist, der gekoppelt ist an eine unglaubliche Tradition. Das ist einzigartig! Wir haben bis heute kein vergleichbares Kulturleben in Spanien. Natürlich haben wir auch Talente, und wenn man die in Spanien mehr fördern würde wie etwa in Deutschland, dann würden sie auch dort bleiben. In Spanien hat vieles mit Politik zu tun, und dann wird es schwierig, je nachdem, welche Partei herrscht. Wir wollen immer schnelle Lösungen. Man kann nicht durch einen vielleicht großartigen neuen Konzertsaal oder irgendwelche Superstars das kompensieren, was an Tradition fehlt. Zunächst einmal muss ein Nährboden geschaffen werden, der Humus, auf dem ein Kulturbewusstsein gedeihen kann. Und der entsteht nicht von heute auf morgen.
Sie kamen mit 18 Jahren aus Valencia nach Amsterdam …
Gimeno: Ich war tief beeindruckt und auch ziemlich eingeschüchtert, wie jeder spanische junge Mensch. Wir hatten ja mit Franco vierzig Jahre Diktatur. Ich bin zwar erst ein Jahr nach seinem Tod 1975 geboren, dennoch war das Land sehr von ihm geprägt. Alles war sehr eng, sehr engstirnig. Und so war für uns alles, was von draußen kam, spektakulär. Die zeitgenössische Musik, die Möglichkeit, Englisch zu sprechen, das war für uns aufregend. Auch die historische Aufführungspraxis kannten wir nicht in Spanien. Ich wollte unbedingt von Spanien weg, ich war fasziniert von den Möglichkeiten in Amsterdam, all diese musikalischen Stile, sei es Barock- oder Neue Musik, auf hohem Niveau dort machen zu können! Ich liebe bis heute diesen unglaublich offenen Geist, den ihr auch in Deutschland habt. Gleichzeitig ist Amsterdam von der Einwohnerzahl und der Fläche eine überschaubare Stadt. Und trotzdem kulturell eine Weltstadt.
Wie wäre Ihre Karriere verlaufen, wenn Sie in Spanien geblieben wären?
Gimeno: (lacht) Oh, diese Frage habe ich jetzt gar nicht erwartet. Ich habe mir einfach nie vorstellen können, dort zu bleiben. Schon mit 12 oder 13 Jahren wartete ich nur darauf, Spanien verlassen zu können. Da hatte ich schon in den Sommerkursen Kontakt mit holländischen Musikprofessoren aufgenommen. Ich sehnte mich danach, endlich die Schule zu beenden, um zu gehen. Da gab es für mich überhaupt keine Alternative. Meine Mutter sagte mir immer, es müsse ja nicht so schnell gehen. Aber ich wollte mich einfach weiterentwickeln …
.. was Sie zunächst als Perkussionist im Royal Concertgebouw Orchestra in Amsterdam auch taten …
Gimeno: Mit dem Schlagzeug hatte ich mit etwa neun Jahren begonnen. Mein Vater spielte Klarinette in der städtischen Musikband von Valencia und mein Bruder Rubén ist auch Musiker. Als Kind kannte ich alle Aufnahmen von großen Dirigenten. Ich schwärmte für Bernard Haitink, für Gustav Leonhardt und viele andere. Ich träumte von all diesen Orten und Menschen. Am Concertgebouw gab es übrigens sehr viele Landsgenossen.
Sie aber wurden Erster Schlagzeuger des Orchesters und gewannen sogar einen Preis in einem internationalen Wettbewerb in Luxemburg.
Gimeno: Heute erscheint mir diese Zeit – immerhin waren es zwölf Jahre – wie ein anderes Leben. Ein schönes, aber ein anderes Leben. Irgendwann kam damals der Moment, wo ich mich durch das Schlagzeug limitiert fühlte. Ich wollte noch tiefer in die Musik eindringen, jenseits der rhythmischen Ebene. Dabei war mir nie der Status des Dirigenten wichtig, aber ich wollte immer dirigieren. Ich hatte den Eindruck, dass mir das, was ich dabei lerne, hilft, ein besserer Musiker zu sein. Wenn man übrigens als Dirigent Schlagzeuger war, fällt das auf. Das interessiert Menschen oft mehr, als wenn man vom Klavier oder der Geige käme.
Dabei befanden Sie sich in bester Gesellschaft: Riccardo Chailly, Simon Rattle, Paavo Järvi waren alle Schlagzeuger. Beeinflusst das Instrument Ihre musikalische Sicht der Dinge?
Gimeno: Nein, ich glaube nicht wirklich. Ich spiele es auch nicht mehr. Es war wie gesagt eine wunderbare Zeit, aber sie ist vorbei.
Wie kam es dazu, dass Sie vom Orchestersitz an das Pult kamen, als Assistent von Mariss Jansons, dem damaligen Chefdirigenten des Concertgebouw Orchestra?
Gimeno: Es war etwa 2011. Die künstlerische Direktion des Orchesters wusste, dass ich nebenbei die Dirigierkunst studierte und so manches Amateurorchester auch schon geleitet hatte. Und so kam der Direktor und schlug mir vor, Mariss Jansons zu assistieren. Ich bat um etwas Bedenkzeit, weil ich die Verantwortung als sehr groß empfand.
Was macht eigentlich ein Assistent?
Gimeno: Alles, was ansteht. Man probt die Artikulation, die Dynamik, richtet die Partitur ein, die dynamischen Bögen, analysiert, versucht unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen, etwa indem man sich ins Parkett setzt und die Publikumsperspektive einnimmt. Man ist ja immer kritischer, wenn man eine gewisse Distanz hat. Man ist dann etwas entspannter. Oft trifft man sich vor den Proben und bespricht noch einzelne Details …
… unglaublich wertvolle Erfahrungen für einen jungen angehenden Dirigenten also.
Gimeno: Oh ja! Das kann man auf keiner Musikhochschule lernen. Auch das, was ich bei Claudio Abbado lernte, war unermesslich. Er war sehr streng mit sich selbst, aber auch mit seinem Umfeld. Er gab sehr viel, verlangte aber auch sehr viel. Ich assistierte ihm bei seiner Arbeit mit dem Mozartorchester in Bologna. Wir waren uns nah, bis er starb, mochten uns. Obwohl ich das fast anmaßend von mir empfinde, so zu sprechen. Es umgab ihn immer ein Geheimnis. Je älter er wurde, umso mehr zog er sich zurück in seinen inneren Kosmos.
Was lernten Sie von ihm?
Gimeno: Ich glaube, ich lerne immer noch von ihm, auch wenn er nicht mehr lebt. Sein Leben bestand aus dem Partiturstudium, den Proben und dann wieder aus dem Studium der Partitur. Diese Leidenschaft für Musik, die Lebensentscheidung, dass nur Musik, das Werk des Komponisten wichtig ist, ist sehr existentiell. Und beeindruckend. Er lehrte mich auch das bewusste Zuhören. Wir hörten uns CDs an, verfolgten das Geschehen anhand der Partitur. Und obwohl er so viele Werke einstudiert hatte und kannte, war er immer noch neugerig auf den Kommentar von uns jungen, unerfahrenen Musikern. Manchmal stellte er mir sogar Fragen. Ich hatte das Glück, dass er mir so vertraute.
Seit der Saison 2015/2016 sind Sie selbst Chefdirigent des Orchestre Philharmonique du Luxembourg.
Gimeno: Wir haben einen wunderbaren Saal und ein sehr junges Orchester. Das ist gut und weniger gut. Das Orchester hat kein historisch tradiertes Klangbild, auch keine in dem Sinne historisch gewachsene Persönlichkeit oder ein Stammrepertoire. Die Flexibilität, die Offenheit ist aber genau das Schöne. Wir können unterschiedlichstes Repertoire angehen und gemeinsam wachsen und eine Identität aufbauen. Zuhilfe kommt mir auch, dass ich die Dynamik und Strukturen als ehemaliges Orchestermitglied sehr gut kenne. Zugleich liegt Luxemburg geografisch an einem interessanten Ort. Zu uns kommen Franzosen, Deutsche, Belgier, Holländer. Und erstaunlicherweise auch viele Amerikaner. Kommen Sie doch zu unserem „Don Giovanni“ 2018 nach Luxemburg!
Gustavo Gimeno und das Orchestre Philharmonique du Luxembourg:
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Mehr Informationenconcerti-Tipp:
Philharmonie
Fr. 19.1., 20:00 Uhr
Mit: Khatia Buniatishvili, Orchestre Philharmonique du Luxembourg, Gustavo Gimeno (Leitung)
Ort: Gasteig München