Kaum ist die Nummer gewählt, tönt seine Stimme durch die Telefonleitung. Dirigent Patrick Lange, seit diesem Herbst Generalmusikdirektor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, befindet sich gerade in Toronto, wo er Richard Strauss’ „Arabella“ vorbereitet. Obwohl dort noch für Musikerverhältnisse früher Morgen ist, klingt Lange hellwach und erzählt begeistert von der neuen Produktion. Bereits vor drei Jahren hat er mit der Canadian Opera Company sein Debüt gegeben. Im April 36 Jahre alt geworden, gehört der Dirigent zu den jungen, internationalen Hoffnungsträgern am Pult.
Als Kind waren Sie Regensburger Domspatz. Heißt das, dass Sie aus einem musikalischen Elternhaus kommen?
Patrick Lange: Musikalisch nein, musisch ja! Da mein Vater Künstler und Kunsterzieher war, bin ich eher mit Malerei und abstrakter Kunst groß geworden. Mein Großvater in Greding liebte Musik allerdings sehr. Er war damals glücklich, dass mein Bruder und ich beide ein Instrument gelernt haben, ich spielte Klavier. Er hat mich, genau wie meine Eltern, sehr gefördert und ermutigt. Natürlich war ich als Junge auch Feuer und Flamme für Fussball. Und der hat mich dann eigentlich zu den Domspatzen gebracht. Ich durfte in München zur Weihnachtsfeier eines großen bayerischen Vereins (wir schmunzeln beide). Dort standen die Domspatzen auf dem Rasen, haben Weihnachtslieder gemeinsam mit den Spielern gesungen. Boah!, dachte ich mir damals sofort, da würde ich auch gerne mal stehen vor Tausenden von Menschen im Olympiastadion. Dass ich das als Fussballspieler wohl niemals erreichen würde, war mir bereits als Bub glasklar. Als Sänger, war meine spontane Idee, wäre es wohl realistischer. Ich habe mich daraufhin bei den Domspatzen beworben und nach vier Wochen war ich aufgenommen. Mit acht Jahren, in der 3. Klasse also, kam ich in die Vorschule, später wechselte ich ins Internats-Gymnasium nach Regensburg. Chorsingen hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, ich wusste schon bald, wieviel mir das Musik machen bedeutet. Natürlich haben wir im Internat auch gebolzt, gespielt und getobt, das war eine gute Alternative zu Greding. Und schnell wurde mir auch klar, dass ein Leben ohne Musik keine Alternative wäre.
Wenn man in jungen Jahren so einen exponierten Beruf im Fokus hat, ist man dann isoliert im Freundeskreis?
Lange: Ich war immer ganz normal mit dabei, kein Eigenbrödler. In meinem Zimmer hatte ich Dirigenten-Plakate von Muti und Abbado, meinen „Hausgöttern“ – andere hatten halt die „Toten Hosen“ an der Wand.
Hat sich das Image des Dirigenten in den letzten Jahren verändert?
Lange: Ja, Gott sei Dank. Eigentlich ist es gut mit dem Sport zu vergleichen. Wir sind eindeutig Teamplayer. Wir müssen die Musiker dazu animieren, Ihre Bestleistungen zu bringen. Das ist unser Job. Über Druck funktioniert das heutzutage einfach nicht mehr. Das gesellschaftliche Bild hat sich da inzwischen deutlich geändert – und das ist gut so. Für mich ist es der spannendste Beruf überhaupt. Man hat viele Leute vor sich, MUSS kommunizieren, das mag ich besonders, und man hat diese unglaubliche Farbigkeit des Orchesters. Unsere Musiker sind heute so phantastisch ausgebildet – jeder einzelne hat eine fundierte musikalische Meinung. Sie alle auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, sie mit dem zu überzeugen, woran man glaubt und das alles mit dem großen Ziel, dem Vermächtnis der Komponisten wirklich gerecht zu werden: das ist eine große Aufgabe, aber eben auch eine wunderbare und beglückende!
Haben Sie ein Rezept, ein Ritual zur Vorbereitung auf den Abend?
Lange: Nein, eigentlich nicht. Ich bin auch keiner von den nervösen Dirigenten vor einer Vorstellung, bin eher entspannt. Denn dann ist die Vorbereitung ja längst gemacht und ich kann mich in den meisten Fällen auch wirklich auf das Dirigieren und gemeinsame Musizieren freuen. Spontanes Reagieren macht mir am Pult Spaß, deshalb liebe ich gerade auch die Oper so sehr. Nachmittags Schlafen, das ist am Vorstellungstag wichtig, abends tut noch ein Kaffee gut. Nervös bin ich, wenn überhaupt, eher vor den ersten Proben für ein neues Stück.
Seit Beginn dieser Spielzeit sind Sie GMD am Staatstheater Wiesbaden. Was gab den Ausschlag für die neue GMD-Position?
Lange: Neben einem attraktiven Repertoire an einem außergewöhnlichen Haus besonders die kontinuierliche Zusammenarbeit mit einem tollen, vielseitigen und interessierten Orchester, wie es das Hessische Staatsorchester ist. Im besten Fall entsteht daraus dieses besondere Vertrauensverhältnis zwischen Chefdirigent und Orchester, wie ich es an der Komischen Oper Berlin bereits kennenlernen durfte.
Wissen Sie, abends in den Graben zu kommen, die Musiker zu kennen, sich auf sie eben auch verlassen zu dürfen, Vertrauen und eine gewisse Ahnung zu haben, wie der Abend werden kann, das schätze ich ungemein. Ich denke, dass unter solchen Voraussetzungen wirklich etwas Besonderes entstehen kann.
Intendant Uwe Eric Laufenberg habe ich eher durch Zufall kennen gelernt, obwohl wir durch die gleiche Agentur vertreten werden. Ich hatte in Wien ein Konzert mit den Tonkünstlern im Musikverein, Mahlers 1. Sinfonie. Er war im Konzert und hat mich danach einfach angesprochen, signalisiert, dass er gerne einmal mit mir zusammenarbeiten würde. Als dann die GMD-Position in Wiesbaden frei wurde kam der Anruf, ob ich nicht Interesse hätte. Selbstredend lief das Ganze dann mit Ausschreibung, Findungskommission und Votum des Orchesters.
Wie war der erste Eindruck beim Probedirigat? Wie würden Sie das Orchester als Klangkörper beschreiben?
Lange: Das Hessische Staatsorchester ist enorm vielseitig. Sie haben im Orchester Barockexperten genauso wie Spezialisten für zeitgenössische Musik sitzen. Einige Musiker spielen jedes Jahr in Bayreuth. Dazu der tagtägliche Dienst in einem Mehrspartenhaus mit Oper, Operette, Sinfonik und Musical. Es gibt da einen großen Erfahrungs- und Wissensschatz im Orchester. Diese Mischung ist für mich äußerst attraktiv und interessant. Außerdem haben die Musiker des Staatsorchesters das Herz am rechten Fleck, sind interessiert und neugierig. Und gerade diese Punkte sind es, die es braucht, um gemeinsam etwas Außergewöhnliches zu schaffen.
Wo möchten Sie zunächst in Ihrer Orchesterarbeit ansetzen?
Lange: In den ersten Arbeitsphasen nach meiner Designation hat mich vor allem die Detailfreudigkeit des Orchesters eingenommen. Marc Piollet (GMD von 2004-2012, d. Red) z. B. war ja ein unglaublich akribischer Arbeiter, das hört man auch jetzt noch gut durch. In Wiesbaden fuchst man sich richtig in die heiklen Stellen rein, ist extrem genau und akkurat. Wenn wir ein Exzellenzorchester sein wollen, dann ist genau diese Einstellung der Ansatz, der Schlüssel dafür. Das ist anstrengend, aber bringt enorm viel. Eine unverwechselbare Klangidentität, brillant und warm gleichermaßen, sollte unser gemeinsames vornehmliches Ziel sein. Da bekenne ich mich auch gerne als Klangfetischist, keine Frage. Wenn ein Orchester so richtig aufblühen kann, lässt einen das doch einfach nicht mehr los.
Nach einer knickfreien, beinahe kometenhaften Aufstiegslinie in ungewöhnlich kurzer Zeit: Was steht da auf der beruflichen Wunschliste noch ganz oben für Sie?
Lange: Also erst einmal voraus geschickt: Ich bin kein Karrierist, damit kann ich nicht viel anfangen. Mir ging es immer um die Sache. Ich bin nur aus einem Grund Musiker geworden, weil ich in Musik absolut vernarrt bin. Ich möchte immer auf möglichst hohem und gutem Niveau Musik machen. Mehr braucht es da nicht, das ist Motivation und Ansporn genug. Und das Repertoire ist schier unerschöpflich, da habe ich noch einige Jahrzehnte gut daran zu knabbern.
Ich habe ja auch Familie, einen kleinen Sohn, der jetzt vier Jahre ist. Bei all der Liebe zur Musik und zu meinem wunderbaren Beruf: Das ist mir das Allerwichtigste. Familie zu haben, die Arbeit machen zu dürfen, die mich bis in den letzten Seelenwinkel ausfüllt, das ist mein Wunsch und Ziel.
Erlauben Sie mir zum Schluss noch die etwas provokante Frage: wieviel an außermusikalischer Erdung gibt es in Ihrem Leben?
Lange: Eine Menge! Denn sonst frisst einen dieser Beruf mit Haut und Haaren. Ich reise gern, lese gern, gehe wahnsinnig gerne laufen, war hier in Toronto heute Morgen an der Waterfront joggen. Dinge, die den Kopf frei pusten, sind wichtig. Der Museumsvirus kommt wohl aus meiner Kindheit. Ich koche mit großer Leidenschaft, allerdings, glaube ich, nicht wirklich gut. Oh ja, ich esse gerne, liebe guten Wein. Dreh- und Angelpunkt bleibt natürlich die Familie. Meine Frau ist Journalistin, aber nicht im künstlerischen Bereich tätig, sehr wohltuend für beide Seiten.
Ich empfinde meinen Beruf in unserer zunehmend komplexen, leider so friedlosen Welt als großes Privileg. Sich mit Schönheit und Klangästhetik beschäftigen zu dürfen, ist sicher keine Selbstverständlichkeit. Trotzdem dürfen wir uns auf gar keinen Fall in unserem Elfenbeinturm einigeln. Uns muss immer bewusst sein, dass wir einen Auftrag und Verantwortung haben, dass unser Blick über den eigenen Tellerrand zwingend hinausgehen muss.