Startseite » Interviews » Blind gehört » „Da fehlt ein bisschen die Erotik“

Blind gehört Yaara Tal & Andreas Groethuysen

„Da fehlt ein bisschen die Erotik“

Das Klavierduo Yaara Tal & Andreas Groethuysen hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass es erfährt, wer spielt

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Besuch beim Klavierduo Tal & Groethuysen in München. Gemeinsam üben, proben, organisieren, reisen, auftreten: Das ist der Alltag von Yaara Tal und Andreas Groethuysen, in der Kunst wie im Leben seit über dreißig Jahren ein Paar. Und was ist bei einem Ehekrach vor dem Konzert? „Den verschieben wir auf später“, sagt Andreas Groethuysen fröhlich. Seine Frau fand bei unserem „Blind gehört“-Nachmittag aber bereits einen Scheidungsgrund.

Mozart: Konzerte für 2 & 3 Klaviere

Vladimir Ashkenazy & Daniel Barenboim (Klavier), English Chamber Orchestra, 1975. Decca

Daraus: Konzert Es-Dur KV 365, 2. Satz 

Andreas Groethuysen: Ungewöhnlich langsam … 70er Jahre vielleicht? Das ist kein eingespieltes Duo. Yaara Tal: Extrem langsam. Kein Interpret würde das heute noch so machen, die authentische Aufführungspraxis hat den Blick gewandelt. Diese Rückungen … Gestaltungswille und Musikalität sind allerdings da. Gute Künstler trotz allem. Groethuysen: Es ist eigentlich ein Andante und sie spielen es im Gestus eines Adagios. Die Leichtigkeit geht verloren. Bei dem Tempo ist es schwer zusammenzubleiben. Es ist schön, aber nur das. Tal: Vielleicht Ashkenazy? Dann kann der andere nur Barenboim sein! (lacht) Groethuysen: Wir haben das auch aufgenommen. Tal: … mit erheblich weniger Pedal!

Mozart/Grieg: Piano sonatas

Swjatoslaw Richter & Elisabeth Leonskaja (Klavier)

1995. Teldec

Daraus: Fantasie c-Moll KV 475

Groethuysen: Schon der erste Ton! Russische Pranke! Tal: Ja, Richter und Leonskaja! Ich kenne die Aufnahme. Groethuysen: Ein Kuriosum, das muss man mit zwinkernden Augen hören. (lacht) Tal: Man muss es aus der Zeit sehen. Wir haben auch die Goldberg-Variationen in der Fassung von Rheinberger und von Reger nachbearbeitet gespielt. Groethuysen: Die romantischen Bearbeitungen haben ihren Reiz und ihren Sinn. Die Lust an Bach kam bei mir als Kind auch über die Bearbeitungen von Jacques Loussier. Ein Freund von uns, Ludwig Madlener, ein unglaublicher Kenner und Musikenthusiast, sagte bei diesen Stücken einmal, man bewege sich im musikalischen Rotlichtmilieu! Tal: Bei Bach kann man das machen. Seine Musikarchitektur ist nicht so zerbrechlich. Mozart ist wesentlich empfindlicher. Jeder Ton hat etwas Existenzielles, eine Abgründigkeit. Und wenn alles zugekleistert oder weichgezeichnet wird, dann wird das Existenzielle weggewischt; egal ob heiter oder traurig.

 

Brahms: Liebeslieder & Walzer
GrauSchumacher Piano Duo

2007. Neos Classics

Daraus: Walzer op. 39 Nr. 1

Tal: So ein Werk ist ein Scheidungsgrund! Groethuysen: Bei uns könnte es so sein (lacht). Tal: Jeder betont die Eins anders, je geschmeidiger man das macht, umso mehr Probleme hat man. Groethuysen: Je nachdem, wie leicht man die Drei macht oder wie früh man die Zwei bringt. Das ist oft sehr schwierig. Tal: Wie beim Tanzen. Jeder hat eine ganz eigene Geschmeidigkeit. Groethuysen: Jetzt wissen wir immer noch nicht, wer das sein könnte … Auf einem Hammerflügel? Tal: Wir haben auch mit Hammerflügeln geliebäugelt, aber dann gemeint, dass der moderne Flügel besser zu uns passt. Groethuysen: Ich werde bei dem Hammerklavier-Klang nicht so recht froh, weil mir der Diskant immer etwas hölzern klingt. Es ist reizvoll, aber ich möchte die Errungenschaften des modernen Flügels genießen. Tal: Beim Hammerflügel klingt jedes Register anders, das muss man kontrollieren können. Leute wie Andreas Staier können aus diesen Instrumenten einiges herauszaubern. Aber Staier spielt hier nicht. Nur wer?

 

Ravel: Rhapsodie Espagnole

Katia & Marielle Labèque (Klavier)
2006. Kml/Edel
Daraus: Prélude à la Nuit 

Tal: Das sind die Labèque-Schwestern. Eindeutig! Ich schätze sie sehr. Groethuysen: Impressionisten funktionieren am Klavier so gut, weil das Instrument so ein Illusionsinstrument ist, eine einzigartige Imaginationskraft hat. Die Labèque-Schwestern sind hier sehr gut, erstaunlicherweise ist Klangsinnlichkeit ja nicht immer die Domäne der französischen Pianisten, die eher etwas Nüchternes, Rationales im Spiel haben. Und die beiden haben dem vierhändigen Repertoire ein bisschen das Image des Hausbackenem genommen. Manchmal für meinen Geschmack aber zu viel Show und Zirzensik.

Schubert: Piano Duets

Maria João Pires & Hüseyin Sermet (Klavier)

1987. Erato

Daraus: Militärmarsch Nr. 1 D-Dur, D 733

Tal: Eine neue Aufnahme? Vom Klang, von der Ästhetik her? Die ist wohl nach unserer Aufnahme von 1997 entstanden … (denkt nach und ruft) Da! Ein schlechter Schnitt. Groethuysen: Ja. Der Klangcharakter war ein anderer. Tal: Etwas oberflächlich musiziert. Groethuysen: Ja, sehr steady. Uncharmant. Sind das Eschenbach und Frantz? Tal: Der Eschenbach wäre besser! Keine gute Aufnahme, enttäuschend.

Ives: Piano Sonata Nr. 2 „Concord“ & 3 Quarter-Tone Pieces

Alexei Lubimov & Pierre-Laurent Aimard (Klavier)

1995. apex

Daraus: 3 Quarter-Tone Pieces

Tal: Das kennen wir nicht. Was ist das bloß? Groethuysen: Die Klaviere sind im Viertelton unterschiedlich gestimmt. Tal: Auf jeden Fall in der Nachfolge von Schönberg. Vielleicht Wyschnegradsky? Ach, Charles Ives ist das? Wie gesagt, dieses Stück kenne ich nicht. Aber interessant.

Mozart: Werke für 2 Pianisten

Yaara Tal & Andreas Groethuysen (Klavier)

2005. Sony Classical

Daraus: Sonate B-Dur KV 358, 2. Satz 

Tal: Das klingt wie unsere Aufnahme! Groethuysen: Nein, der Klang stimmt nicht. Der ist so dunkel und nicht so schlank, wie wir das immer haben. Tal: Doch, das sind wir! Die Agogik ist unsere! (Groethuysen hört länger zu) Ich bin wirklich überrascht, es ist besser als ich dachte!

Eloquence – Klaviermusik zu vier Händen

Alfons & Aloys Kontarsky (Klavier)

1973/2000. Deutsche Grammophon

Daraus Debussy: Prélude à l’après-midi d’un faune

Tal: Das sind aber nicht die, die wir letzte Woche gehört haben? Groethuysen: Oh, da ist ein falscher Ton. Keine gute Aufnahmequalität. Das klingt nicht nach einer neuen Aufnahme. Tal: Die Stimmung ist recht tief. Groethuysen: Wer mag das sein? Klingt ein bisschen muffig und nicht sehr beseelt. Tal: Dabei ist das eines der erotischsten Stücke, die es gibt. Ein Faun, der träumt, eine Nymphe zu haben, es ist mittags und sehr heiß … Und hier trampelt es nur herum … diese sforzati … Groethuysen: Die Musiker hier haben keinen Sinn für den Charme, die Valeurs, die Raffinesse, die Erotik der Musik. Die Kontarskys sind das? Die haben viel für die Neue Musik gemacht. Aber hier passt es nicht. Zuviel deutsche Sachlichkeit. Tal: Ich habe sie als Jugendliche in Israel gehört mit Boulez und Strawinsky. Das war großartig! Bei Bach wäre es besser. Das Analytische würde ihnen liegen. Groethuysen: Ja, aber überall, wo das Materielle sublimiert wird …

J.S. Bach Concertos

Zoltán Kocsis & András Schiff (Klavier), Orchestra of Liszt Ferenc Academy of Music, 1987. Hungaroton

Daraus: Konzert C-Dur BWV 1061, 2. Satz 

Tal: Schöne Aufnahme, der Klang sehr direkt, da ist Räumlichkeit, Stereophonie … (blickt Groethuysen an) Bist Du nicht der Meinung? Groethuysen: Ich finde die Mikrophone viel zu nah. Tal: Aber die beiden Flügel sind auseinander! Groethuysen: Ja, aber dieses dittatata… Tal: Aber das ist die Interpretation! Bach wird allerdings heute nicht mehr so gespielt. Groethuysen: Sehr unkantabel für meinen Geschmack. Tal: Glenn Gould hat auch so gespielt! Groethuysen: Ja, aber das hatte so eine unglaubliche … (Tal unterbricht ihn) … die ästhetische Haltung ist doch die von Gould!? Groethuysen: Ist die Aufnahme aus den 80ern? Schiff und Kocsis sind das? Selbst zwei gute Pianisten ergeben nicht unbedingt ein gutes Klavierduo.

J.S. Bach Concertos

Güher & Süher Pekinel (Klavier)

1995. Berlin Classics

Daraus: Konzert C-Dur BWV 1061, 2. Satz 

Tal: Klingt wie die Grimaud, etwas hart, sehr direkt. Modern. Beide sind gute Pianisten. Ich würde es ernst nehmen. Groethuysen: Da ist ein starker Gestaltungswille. Aber diese Härte … ich würde auf die 90er Jahre tippen. Tal: Entweder spielen hier zwei Männer oder zwei Frauen. Ein Mann und eine Frau würden das Ganze wie eine Liebesgeschichte aufziehen … Dann würde es glühen. Aber es ist so cool. Groethuysen: Da fehlt ein bisschen die Erotik in dieser Nuit d’amour.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!