Elīna Garanča zählt heute zu den erfolgreichsten Konzert- und Opernsängerinnen, doch sie selbst bezeichnet sich als „eher schüchtern und zurückhaltend“. Beim Interview in einem Berliner Hotel spricht die Mezzosopranistin auch über die Nebenwirkungen des Erfolgs: Lampenfieber, Erwartungsdruck und YouTube-Videos.
Frau Garanča, die Geigerin Baiba Skride sagte einmal im concerti-Gespräch, für ihr Geigenspiel sei es notwendig gewesen, Lettland zu verlassen, weil sie ein „größeres Spektrum an Möglichkeiten“ suchte. War das auch ein Grund, warum Sie 1999 aus Lettland weggingen?
Elīna Garanča: Bei mir war damals die Perspektive in Lettland für meinen Stimmtyp überhaupt nicht sonnig. Mozart und Rossini, womit ich angefangen habe, galt nicht als seriöses Repertoire, damals spielten Puccini, Verdi, Bizet und russische Komponisten die größere Rolle. Ein lyrischer Mezzosopran für Koloraturen war deswegen eher Exotik. Insofern gab es für mich in Lettland keine Chance, mich hochzuarbeiten oder zu entwickeln.
Wobei ich las, dass Sie ursprünglich auch Musical singen wollten …
Garanča: Meine Mutter hat im Theater gearbeitet, da habe ich oft bei Proben zugeschaut. Und in Lettland gehörte es zum Schauspiel dazu, dass man auch singt und tanzt, es gab auch einen lettischen Komponisten, der Musicals geschrieben hat. Mich hat das damals fasziniert, auch Stücke wie Sunset Boulevard, South Pacific oder Cats. Ich mochte schon immer große Stimmen aus dem Pop-Bereich, wie Tom Jones, Barbra Streisand oder Frank Sinatra, die wirklich etwas mit der Stimme ausdrücken.
Heute wäre Musical aber sicher keine Option mehr für Sie, oder?
Garanča: Nein. Schon wegen der Routine könnte ich Musical nicht machen. Die spielen ein Jahr lang achtmal pro Woche das gleiche Stück, das wäre für mich tödlich. Oper ist natürlich viel elitärer als das Musical, aber meine Entscheidung für die Oper bereue ich auf keinen Fall. Wenn die Karriere klug geplant ist und man sich am Anfang nicht verbrennt, dann kann die bei einem Opernsänger ja viel länger dauern als bei einem Musical-Star, der wahrscheinlich nach 15 Jahren vollkommen abgesungen ist.
Ihren ersten Ensemblevertrag bekamen Sie am Meininger Theater. Wie gestaltete sich damals Ihre Ankunft in Deutschland?
Garanča: Das war nicht einfach. Ich sprach kein Deutsch, niemand wollte mit mir auf Englisch kommunizieren, ich musste mir zum ersten Mal eine Wohnung suchen, die Arbeitserlaubnis besorgen und niemand ist da, der für dich kocht (lacht). Ich war natürlich wahnsinnig stolz auf mein erstes Gehalt, damals noch in D-Mark. Aber die Situation war auch ein wenig beängstigend. Am Meininger Theater allerdings, da wurde ich als internationale Künstlerin sehr leicht und schnell aufgenommen.
Sie sprachen über eine klug geplante Karriere. War es von Vorteil, dass Sie sich an der Wiener Staatsoper, wohin Sie 2003 wechselten, erst einmal „hocharbeiten“ mussten?
Garanča: Ja, das war gut so. Für mich war es der richtige Weg, mich von kleinen zu den großen Partien zu steigern. So konnte ich mich in Sachen ausprobieren, ohne dass es ein großes Echo gab. Bei einem Über-Nacht-Erfolg wäre ich mit dem Druck, mit der großen Aufmerksamkeit wahrscheinlich nicht fertig geworden. Ich bin – auch wenn die Leute das nicht glauben – eher schüchtern und zurückhaltend. Insofern war auch Meiningen sehr gut für mich, weil ich dort an einem kleinen Theater lernen konnte, mit dem Druck umzugehen.
Hat der Druck für Opernsänger in den letzten Jahren zugenommen?
Garanča: Ich glaube, wir sind unglaublich präsenter geworden. Vor 30 oder 50 Jahren ging ein Pavarotti in ein kleines Theater in Modena, probierte eine Partie aus und später sang er die an der MET. Heutzutage kannst du sonst wo auftreten und am nächsten Tag siehst du ein Video davon auf YouTube, mit all den Kommentaren. Man kann nirgendwo etwas ausprobieren, ohne dass es sofort bewertet wird. Man ist unter ständiger Beobachtung, es gibt illegale Mitschnitte, es gibt die Klatschpresse – und je mehr die über einen schreiben, desto interessanter wird man ja für das Publikum.
Kann man sich dem nicht aber auch ein wenig entziehen?
Garanča: Man kann sich teilweise schon schützen, indem man bei der ganzen Medienberichterstattung nicht einsteigt. Aber man kann sich auch vorbereiten und sagen: Das ist ein Teil des Berufs geworden. Ich selbst muss sagen: Je älter ich werde, desto größeres Lampenfieber habe ich. Wenn man jung ist und noch diesen Übermut und Ehrgeiz hat, denkt man über vieles nicht nach. Aber inzwischen ist mir mein Name immer mehr bewusst. Ich bin jetzt in den besten Häusern präsent, da sind die Erwartungen an mich natürlich viel höher. Wenn ein Ensemblemitglied mal ausfällt, dann springt eben ein anderes Ensemblemitglied ein, das ist ganz normal. Doch wenn ein Jonas Kaufmann absagen muss, auf den die meisten Zuschauer gewartet haben – dann ist man unter Druck.
Geht der Druck auch von einer gestiegenen Sänger-Konkurrenz aus?
Garanča: Nein. Es hat eher damit zu tun, dass die wenigen Sänger, die einen Plattenvertrag haben, noch dieses Extra oben drauf bekommen. Wer ganz normal von Opernproduktion zu Opernproduktion reist – da berichtet die Presse über die Premiere und dann ist es erstmal wieder vorbei. Bei uns kommen dann aber noch CD-Produktionen, Promotion und Interviews dazu, und damit steigt auch der Druck, weil die Medienpräsenz von Jahr zu Jahr größer wird.
Wie kompensieren Sie den Druck?
Garanča: Ich muss das ausschwitzen. Ich muss den Frust durch physische Aktivitäten einfach abbauen.
Wie schwierig war es für Sie, unter diesen Umständen eine Familie zu gründen? Die Vereinbarung von Beruf und Familie ist für viele Frauen ja nach wie vor keine leichte Angelegenheit.
Garanča: Ich habe meine Kinder nie um die Karriere herum geplant. Bei mir war es eher so, dass ich all die Jahre emotional noch nicht bereit war für eine Familie. Es war nicht so, dass ich erst an der MET singen wollte, bevor ich ein Kind kriege, das nicht. Natürlich ist man als Freischaffende weniger abgesichert als in einer Festanstellung, wo man den offiziellen Mutterschutz hat. Wenn ich wegen einer Schwangerschaft pausiere, dann verdiene ich ein halbes Jahr lang nichts. Da könnte ich mir in der Tat vorstellen, dass viele Sängerinnen Angst haben, dass sie nach so einer Pause nicht wieder Fuß fassen können im Opernbetrieb.
Hatten Sie Sorge, dass sich die Stimme verändert?
Garanča: Nein. Aber das liegt auch daran, dass ich mein Leben nicht um meine Stimme arrangiere. Ich liebe natürlich diesen Beruf, es ist meine Berufung und die beste Art, wie ich kommunizieren kann. Aber ob ich persönlich glücklich oder unglücklich bin, ist unabhängig vom Zustand meiner Stimme. Sie hat sich ein bisschen verändert, aber nicht so sehr, dass ich mein Repertoire vollkommen umbauen müsste. Ich merke, dass ich jetzt reifer bin für dramatische Partien. Hosenrollen wie Octavian oder Cherubino befriedigen mich heute weniger, ich brauche jetzt etwas Stärkeres und Komplizierteres, vielleicht auch etwas feminineres. Weil ich inzwischen auch mehr Lebenserfahrung als Frau anzubieten habe.
Ihr aktuelles Album haben Sie „Meditation“ genannt. Meditieren Sie?
Garanča: Für mich bedeutet Meditieren nicht zwingend, dass man sich irgendwo auf eine Sportmatte setzt, die Beine zusammenschlägt und die „Om“-Pose einnimmt. Für mich ist Meditieren auch mal eine Stunde durch den Park laufen, weg vom Straßenlärm zu sein oder sich im Urlaub neben den Pool zu legen und zu entspannen. Meine Alben spiegeln alle in gewisser Weise meinen Zustand wieder, was ich in dem Moment empfinde. Bei mir ist jetzt eine gewisse Ruhe eingekehrt, ich fühle mich als Frau erfüllt, durch die Mutterrolle, mit den Kindern. Wegen dieser spirituellen Ruhe wollte ich diese geistlichen Arien aufnehmen. Ich hatte das Bedürfnis, etwas von dieser Ruhe in die Welt zu transportieren.
Interessant ist, dass neben den Arien auch reine Chorstücke auf dem Album enthalten sind.
Garanča: Ja, das gehört für mich zu dieser Atmosphäre einfach dazu. Die geistliche Musik wird ja in der Kirche meistens vom Chor gesungen. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Es gibt für mich nichts Schöneres als einen 8- und 12-stimmigen A-cappella-Chor.
Zum Schluss: Sie schreiben in Ihrem Buch „Wirklich wichtig sind die Schuhe“, dass Sie mit fünf Jahren Ihre erste Zigarette geraucht haben. Das ist mir bislang nur einmal begegnet, bei einem Cellisten, der ebenfalls aus Lettland stammt.
Garanča: Mischa Maisky? Das ist ja ein interessanter Zufall. Ich habe das damals von meinem Opa abgeguckt und wollte es einfach probieren. Also, es gibt in Lettland keine Sitte, dass man fünfjährigen Kindern beibringt zu rauchen. (lacht) Vielleicht waren wir einfach nur neugierig.
Sind Zigaretten heute tabu?
Garanča: Im Moment ja. Mir schmeckt es auch nicht. Vielleicht, wenn ich aufhöre zu singen, als schicke Oma, dann rauche ich vielleicht zwei, drei Zigaretten. Jetzt habe ich aber nicht das Verlangen danach.