Frau Garanča, es heißt, ein Mezzo sei nicht so kapriziös wie eine Sopranistin…
Elīna Garanča: Das liegt gewiss am recht unterschiedlichen Repertoire. Eine Tosca ist eben eine geborene Diva. Wer solch eine Figur wieder und wieder verkörpert, der identifiziert sich vielleicht auch irgendwann im Alltag mit ihr. Ich dagegen stehe eher mit abgebundenem Busen im Männeranzug auf der Bühne, da bleibt man auch privat bodenständiger.
Sind Sie manchmal trotzdem ein bisschen neidisch auf die Sopranistinnen?
Garanča: Weil sie meistens die Hauptfiguren verkörpern, meinen Sie? Das stört mich nicht – im Gegenteil: Es wäre mir zu langweilig, Abend für Abend aus dem Leben zu scheiden. Als sterbende Giulietta sehe ich mich keinesfalls, lieber spiele ich facettenreiche Hosenrollen wie Sesto.
Wie schaffen Sie es, sich in einen Mann hineinzuversetzen?
Garanča: Ich beobachte die Männer ganz intensiv auf der Straße, beim Fußballspielen oder im Fernsehen. Dabei achte ich auf jede Kleinigkeit. Dieter Bohlen zum Beispiel ist jemand, der sich permanent mit der Zunge über die Lippen fährt. Solche Ticks studiere ich, weil ich sie möglicherweise in meine Charaktere einbringen kann.
Müssen Sie dafür eine gute Schauspielerin sein?
Garanča: Ohne Zweifel haben sich die Anforderungen an Sänger mit der Zeit verändert. Früher waren vor allem schöne Posen gefragt, heute sind die Ausdrucksformen um einiges offener. Wir brauchen Mut zur Hässlichkeit. Allerdings war es für mich anfangs gar nicht so leicht, mich von der wahren Elīna so weit zu distanzieren, ich empfand das als Mutprobe.
Sie waren also froh, dass Sie sich für das Cover Ihrer CD „Habanera“ attraktiv in Szene setzen durften?
Garanča: Wir sollten nie vergessen: Schönheit ist für uns Sänger nicht alles, wir sind schließlich keine Models. Gewiss schadet Bühnencharisma nicht, aber dafür muss man nicht zwingend bildhübsch sein. In erster Linie trägt ja unsere Stimme die Musik.
Wissen Sie genau, welche Partien zu Ihnen passen?
Garanča: Ja. Von zeitgenössischen Kompositionen halte ich mich lieber fern. Ich fühle mich eher im klassischen Repertoire zu Hause. Wobei es nicht immer die ganz berühmten Opern sein müssen. Donizettis „L‘Assedio di Calais“ etwa hat wunderschöne Melodien, deswegen nahm ich Auszüge daraus für mein Album auf. Überhaupt sollten solche Werke wieder häufiger im Spielplan auftauchen.
Wie stehen Sie eigentlich zu modernen Inszenierungen?
Garanča: Die Oper muss sich weiterentwickeln, finde ich. Allerdings würde ich niemals nackt auftreten. Was mir wichtig ist: Ich brauche für jede Aktion eine Erklärung des Regisseurs. Wenn ich seine Ideen nachvollziehen kann, dann bin ich durchaus bereit, wirklich verrückte Sachen zu machen.
Trotzdem erschließt sich dem Publikum nicht jede szenische Interpretation.
Garanča: Da sind wir Akteure in der Pflicht. Wir müssen den Zuschauern eine Inszenierung so nahebringen, dass sie sie tatsächlich verstehen, sonst hat der Abend ja keinen Sinn für sie.
Wann ist ein Auftritt für Sie wirklich hundertprozentig gelungen?
Garanča: Schwer zu sagen. Dieses „Das war gut“-Gefühl empfinde ich erst einige Stunden nach einem Konzert. Ganz selten tauche ich auch auf der Bühne in einen Glücksmoment ein. In einer kurzen Pause vor der nächsten Phrase spüre ich, wie alle an meinen Lippen hängen. Ich scheine eins zu werden mit meinen Zuhörern, das ist unbeschreiblich schön.
Wie selbstkritisch sind Sie?
Garanča: Ich bin wohl meine schärfste Kritikerin. Gleichwohl kreisen meine Gedanken nicht nur um Musik. Wer sich nur in diesem Bühne-Auftritt-Applaus-Zirkel bewegt, der fällt am Ende seiner Karriere in ein schwarzes Loch. Darum nehme ich mir auch Auszeiten für mein Privatleben, das gibt mir die Kraft, bei meinem nächsten Projekt wieder 150 Prozent geben zu können.