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Blind gehört Emmanuel Pahud

„Das ist die Signatur eines großen Meisters“

Der Flötist Emmanuel Pahud hört und kommentiert CDs von Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt

vonKlemens Hippel,

Emmanuel Pahud, 1970 in Genf geboren, studierte in Brüssel und Paris, ehe ihn sein Weg über Orchester in Basel und München (unter Sergiu Celibidache) nach Berlin führte, wo er seit 1992 Solo-Flötist der Philharmoniker ist. Auf seiner exzellenten HiFi-Anlage hört er beim Interview trotz Erkältung jedes Detail der Aufnahmen.

Prokofjew: Sonate für Flöte und Klavier op. 94

Jean-Pierre Rampal (Flöte)

Robert Veyron-Lacroix (Klavier)

In: Prokofjew 50th Anniversary Edition

Warner Classics

Das hat schon ein starkes Vibrato und eine große Intensität. Mir gefällt das, auch wenn es sehr langsam beginnt. Der Flötist ist jemand, der die Rampal-Ausgabe spielt und das mit großer Überzeugung. Diese Sonate ist ja eine Pionierarbeit Jean-Pierre Rampals, der sie wiederentdeckt und populär gemacht hat. Die Sonate war ursprünglich für Flöte geschrieben, wurde aber nach der Uraufführung von Prokofjew selbst als zu schwer zu spielen eingestuft und später durch David Oistrach auf der Geige berühmt gemacht. Rampal hat sie dann für die Flöte zurückgewonnen. Und die­se Aufnahme klingt sehr nach ihm. Ich glaube, auch die Skala der Flöte zu erkennen, die er damals gespielt hat. Gewisse Töne lagen da einfach tief.

Die ganze Färbung des Tones im Mediumbereich ist ein Charakteristikum der Großen wie Rampal, Nicolet oder Galway – alle haben diese besondere, eigene, persönliche Farbe. Die Brillanz und Vielfältigkeit im Klang ist ein Markenzeichen der Großen. Die hohen Töne in diesem Stück schafft man jetzt allerdings mit viel größerer Leichtigkeit, weil die Instrumente anders gebaut sind und auch, weil man heute von Kindheit an die Tonleitern bis zu diesen Tönen übt – für Rampal war das ein Ausnahmeton, für uns ist er Alltag. Aber hören Sie diese Farbänderung zwischen dem Mittelteil und dem Thema: Das ist einer, der zaubert auf der Flöte. Er muss nur einatmen und schon hören die Leute zu. Auch bestimmte Phrasierungen sind typisch für ihn, das ist die Signatur eines großen Meisters. Ich bin aber zum Beispiel nicht seiner Auffassung, was die Tempi angeht – die Eröffnungsphrase ist zu langsam und nicht schlicht und nostalgisch genug. Inzwischen hat man ein anderes Bild von Klassik. Damals war die Vorstellung sehr von der Spätromantik geprägt, von der Präsentation des Ichs eines Künstlers. Heute denkt man eher an ein Ich im Dienst der Musik. Trotzdem wird das Ich des Künstlers immer wichtig bleiben, um eine persönliche Botschaft zu präsentieren, es sei denn, die Musiker werden alle irgendwann nur noch Klone sein.

J.S. Bach: Konzert g-Moll BWV 1056

Magali Mosnier (Flöte)

Stuttgarter Kammerorchester

Michael Hofstetter (Leitung) 2009

Sony Classical

Das ist jemand, der sein Instrument von oben bis unten super beherrscht, alles ist gewollt und präzise einstudiert, gleichmäßig in der Artikulation. Aber das stört mich gerade: Im Barock waren ja alle Häuser schief und krumm, kein Stein war wie der andere. Diese Gleichmäßigkeit aller Töne entspricht nicht dem Geist der Zeit. Die Musiker spielen auf modernen Instrumenten, und der Flötist beherrscht die permanente Atmung oder es wurde geschnitten. Und man hört bei ihm, dass er aus der französischen Schule kommt. Das Ensemble klingt dagegen ganz anders. Und da der Solist anders spielt als das Orchester, finde ich die Interpretation nicht schlüssig. Der Flötist ist jedenfalls jemand, der sich vom Stil Galways oder Rampals sehr distanziert, aber trotzdem viel von ihnen gelernt hat. Irgendwie versucht er, die Barockflöte nachzumachen, etwa in der Art, wie die langen Töne gehalten werden, aber für mich ist das etwas affektiert und aufgesetzt.

Ravel: Ma mère l‘oye

Die 14 Berliner Flötisten 2001

MDG

Da wäre ich jetzt beinahe reingefallen: Am Anfang klingt es ähnlich wie das Original, aber nach ein paar Takten wird klar, das ist natürlich eine Bearbeitung für ein Flötenensemble. Und davon gibt es nicht viele gute: das französische Flötenorchester und die 14 Berliner Flötisten. Da bin ich aus zeitlichen Gründen nicht dabei. Man hört, dass die alle das Stück gut kennen, das fügt sich wunderbar. Eine schöne Bearbeitung, sehr gut gemacht. Und in einer sehr guten Akustik aufgenommen, wahrscheinlich in der Jesus-Christus-Kirche. Das hat diesen Karajanschen Touch. Man hört hier auch sehr gut, wie wichtig es im Zusammenspiel von Flöten ist, nicht nur die Intonation, sondern auch das Vibrato anzupassen. Mancher macht sein Vibrato mehr mit der Tonhöhe, mancher mit der Lautstärke, mehr oder weniger langsam, mit größerer oder kleinerer Amplitude. Manchmal mischt sich das, manchmal nicht. Wenn neue Aushilfen kommen, ist das immer das erste, woran wir arbeiten müssen, damit die Klänge sich gut mischen.

C.P.E. Bach: Sonata in a

Barthold Kuijken (Flöte) 2000

Accent

Das ist jemand mit sehr viel Fantasie, der einiges probiert. Man kann das interessant finden oder wunderbar, oder sich umdrehen, weggehen und sagen: Das ist unmöglich. Ich kann alle drei Verhaltensweisen verstehen. Ich persönlich höre das jetzt nach ein paar Minuten als eine Anhäufung von Effekten, und denke, das hat nicht mehr viel mit dem Geschmack der Zeit zu tun, bis auf die Klangvorstellung. (zweiter Satz) In Verzierungen sagt der Spieler oft mehr über sich als über das Stück. Und hier höre ich einen Spieler, aber ich höre nicht mehr das Stück. Ich erkenne es zum Teil kaum, bei den ersten Verzierungen dachte ich, der Flötist hätte sich verspielt. Carl Philipp Emanuel Bach hat ja in diesem Werk versucht, in einem Stück für Soloflöte Harmonie und Melodie zu vereinen. Und das ist ihm hervorragend gelungen – bis Debussy hat das keiner mehr so geschafft. Das ist keine leichte Übung. Aber dieser Flötist verziert hier viele Stellen, die bereits eine komponierte Verzierung sind: Das ist, als würde man eine gute Torte mit so viel Sahne übergießen, dass sie nicht mehr zu entdecken und auch nicht mehr zu schmecken ist. Ich wünsche mir einen respektvolleren Umgang mit dem Stück. Am Anfang fand ich es noch ziemlich gut und genau gespielt, aber jetzt ist es zu viel. In einem einfachen Triller höre ich drei fremde Töne, die gar nicht dazu gehören.

Mozart: Konzert für Flöte und Harfe KV 299

Frank Theuns (Flöte)

Marjan de Haer (Harfe)

anima eterna, Jos van Immerseel (Leitung) 2005

Zig Zag

Originalinstrumente, ein sehr langsames Tempo, aber überzeugend artikuliert. Und dadurch ist es lebendig und spritzig trotz des Tempos. (Die Solisten setzen ein.) Die Harfe kann nur so spielen – warum artikuliert der Flötist anders? Es klingt wie ein anderes Stück. Und es ist auch nicht richtig zusammen mit der Harfe. Die Harfe ist musikalisch überzeugend, jede Phrase hat eine Richtung. Bei der Flöte klingt es eher wie eine Perlenkette: Jeder Ton ist gleich. Und es gibt keinen Dialog mit den anderen Instrumenten. Den hört man im Orchester, auch mit der Harfe, aber die Flöte ist ein bisschen einsam und spielt nicht richtig mit. Außerdem ist diese Aufnahme ein Beweis, dass man auf Originalinstrumenten nicht unbedingt authentischer spielen muss. Ich habe auch eine Kopie des Manuskripts dieses Konzerts, da schreibt Mozart, dass die Solisten in der Eröffnung ein paar Takte mitspielen, das höre ich hier nicht. Auch die Artikulationen von Mozart, die wir ja für dieses Werk in seiner Handschrift haben, respektieren sie nicht immer. Das ist schwer nachzuvollziehen.

Music for my Little Friends

(mehrere Beispiele, u.a. Ibert: Der kleine weisse Esel,

Mozart: Rondo alla Turca)

James Galway (Flöte)

London Mozart Players 1999

RCA

Das ist Jimmy. So eine CD mit Klassik-Schlagern kann nur er so gut machen. Auch aufnahmetechnisch klingt es sehr nach Galway seit den späten 80ern: mit dem Mikrophon sehr weit weg und oben. Vorgestern habe ich ihm zum Geburtstag gratuliert. Wir haben uns vor kurzem in Sydney getroffen. Er ist ja gerade auf Tournee, er macht noch um die 30 Konzerte im Jahr, dazu seine Mas­terclass. Er hat so viel für die Flöte getan wie eine Jessye Norman oder ein Pavarotti für den Gesang. Nicht immer unbedingt E-Musik eingespielt, nicht immer stilistisch „getreu“, aber immer mit so viel Überzeugung und Enthusiasmus. Das macht das Publikum glücklich. Und wenn Musik die Menschen glücklich macht, dann hat sie eine Bedeutung. Kein anderer hat auf der Flöte erreicht, was Galway erreicht hat. Es gab auch andere, die die Flöte personifiziert haben – Patrick Gallois zum Beispiel hat in Japan in einem Jahr 500.000 Mozart-Einspielungen verkauft. Aber wer außer Galway könnte im Hydepark spielen? Und die Flöte ist dabei als Gewinner herausgekommen, das ist die Hauptsache.

Album-Tipp

Album Cover für
Flötenkönig: Friedrich der Große
Werke von J.S. & C.P.E. Bach, Friedrich dem Großen u.a. Emmanuel Pahud (Flöte), Kammerakademie Potsdam, Trevor Pinnock (Leitung). EMI Classics

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