Mit Mozart startete die Berliner Sopranistin in ihre Karriere – in diesem Jahr ist Annette Dasch mit dem Bayreuth-Debüt als Elsa endgültig unter den Stars ihrer Zunft angekommen. In Metanoia eröffnet die 34-Jährige die erste Spielzeit der Staatsoper im Schillertheater, und sogar ihre eigene Fernsehshow hat sie schon: Ihren nächsten „DaschSalon“ gibt es am 31. Oktober im Radialsystem V.
Frau Dasch, Sie singen Mozart mit Spezialisten für Alte Musik, aber auch an der Scala oder mit Kent Nagano. Ist das immer noch ein prinzipieller Unterschied?
Ja, das unterscheidet sich sehr stark. Ich habe kürzlich in Covent Garden den Figaro gemacht, Colin Davis hat dirigiert. Da war klar: Das wird eher ein herkömmlicher Mozart, mit etwas langsameren Tempi, alles schön legato und keine Verzierungen, wenig Appoggiaturen. Dann musste in einer Vorstellung aus privaten Gründen sein Vertreter David Syrus nach dem ersten Akt einspringen. Der hatte vorher schon in den Proben gesagt: Wenn ich dirigiere, dann macht alles, was ihr wollt, verziert ruhig. Dann haben wir alle im zweiten Akt munter angefangen, auszuzieren. Da gibt es so etwas wie ein Umschalten, wir können beides. Wenn es Colin Davis ist oder Barenboim, dann macht man es so. Wenn Ivor Bolton oder Herr Syrus dirigiert, macht man es anders.
Warum ist das so?
Weil es Gottseidank keine Richtlinie gibt. Niemand kann sagen, wie es „richtig“ ist. Ich empfinde es als bereichernde Erfahrung, mich unterschiedlicher Führung zu unterstellen. Dieser Colin-Davis-Figaro hat mich total begeistert in seiner Langsamkeit, dieser beinahe altersweisen Art, wie er auf das Stück schaut. Da kommen ganz andere Aspekte zum Vorschein, und das schadet bei guter Musik nie, solange man sorgfältig arbeitet.
Aber auf CD arbeiten Sie anscheinend lieber mit Spezialisten.
Ja, ich bevorzuge einen Stil, der wirklich erzählt. Ich mag nicht dieses fischmaulmäßige Singen, wo es nur um Klang geht und man nicht die Worte singt, sondern eigentlich immer nur „Ich kann schön singen“. Ich muss etwas erzählen, etwas vermitteln. Aber es gibt auch moderne Ensembles wie die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, die sehr plastisch musizieren. Das ist der Idealfall. Ich suche eine Verbindung aus beidem. Manche Dirigenten können die herstellen, wie zum Beispiel David Syrus mit dem Orchester in Covent Garden. Das ist fantastisch, da sitzen Leute, die dieses endlose Legato spielen können, und trotzdem arbeitet er mit ihnen einen plastischen Mozart heraus. Auch Marc Piollet ist ein großer Meister darin. Er hat bei Gardiner gelernt, arbeitet aber fast nur mit modernen Orchestern. Wie er in Wiesbaden Mozart oder Weber interpretiert – so muss es sein. Nicht immer nur eine schöne Linie nach der anderen.
Fühlt man sich freier als Künstler, wenn man mit Alte-Musik-Ensembles arbeitet?
Entspannter. Weil die einem auf Augenhöhe begegnen. Sie sind auch nicht so streng hierarchisch organisiert. Und es gibt nicht diese Grenze zwischen Sänger und Instrumentalist. Da kommt schon mal einer vom hinteren Bratschenpult und sagt: Du, dieser Ton hier ist irgendwie komisch. Das würde in einem klassischen Orchester nie jemand tun.
Wie wichtig ist denn der Dirigent für einen Opernsänger während der Aufführung?
Blickkontakt ist für mich nicht wichtig. Manche Dirigenten haben das gern, wenn man sie die ganze Zeit anstarrt, aber ich schaue eigentlich nie direkt hin, außer es brennt. Das braucht man auch nicht bei einer Mozart-Oper, da wirft man den Motor an und dann geht‘s geradeaus. Aber man braucht jemanden, der die Impulse setzt. Wenn Sie mal am Monitor einen Dirigenten beobachten, sehen Sie, welche Energie von ihm ausgeht. Ich habe das gerade in Bayreuth wieder erlebt. Von einem Nelsons oder Barenboim geht eine unglaubliche Kraft aus, die man auch braucht, um den ganzen Apparat nicht nur mit Tempo zu erfüllen, sondern auch mit Musik.
Instrumentalisten sagen oft, dass Dirigenten in der Alten Musik eher in der Probe arbeiten, während „klassische“ im Konzert inspirieren.
Genau, das ist der große Unterschied. Deswegen bin ich mehr und mehr auf den Geschmack gekommen, mit solchen Musikern zu arbeiten. Weil ich gemerkt habe, dass es noch etwas anderes gibt als das gut Geprobte. Es gibt diese Inspiration im Moment. Man verlässt instinktiv die ausgetretenen Pfade des Geprobten und lässt etwas zu. Das können und dürfen nur ganz wenige, weil sie das Gespür dafür haben. Mir ist lieber: gut geprobt und keine Magie, als nicht proben und dann kommt trotzdem keine Magie auf. Aber am besten ist natürlich gut geprobt, und dann kommt noch etwas oben drauf. Das bekommt man bei Dirigenten wie Nelsons oder Barenboim. Und das ist das, wofür wir leben.
Sie wirken jetzt bei der Joneleit-Uraufführung an der Staatsoper mit – da muss man sich wahrscheinlich eher durcharbeiten?
Da muss man sich extrem durcharbeiten. Aber man darf nicht vergessen: Wir sind auch nicht als perfekte Mozart-Interpreten auf die Welt gekommen. Wir haben einen wahnsinnigen Vorsprung an Jahren, in denen wir uns mit dieser Musik befasst haben. Das ist bei Haas oder Rihm oder Joneleit eben nicht der Fall, weil wir nicht mit dieser Musik groß geworden sind. Man muss sich durchbeißen, aber das Ziel ist, zumindest bei Joneleit, dass es so sein soll, wie wenn man eine Wagner-Oper singt. Dass man sich an diesem Klangrausch freut, und dass man auch berührt ist.
Warum machen Sie Neue Musik?
Ich finde, man kann sich nicht weigern, die Musik unserer Zeit aufzuführen. Aber es gibt Dinge, bei denen ich überlege – wenn ich das Gefühl habe, meine Stimme zu sehr zu belasten. Viele zeitgenössische Komponisten lieben es zu schreiben „senza vibrato“. Wenn du dann ein hohes H singst und es ohne Vibrato vom fünffachen pp bis zum siebenfachen f anschwellen lässt und dann noch einen Viertelton nach oben verschiebst, dann ist das für mich stimmlicher Mord. Aber Joneleit kann man wirklich singen mit seiner normalen Stimme.
Nehmen zeitgenössische Komponisten zu wenig Rücksicht auf Sänger?
Das ist wie das meiste in unserem Betrieb eine Frage der Kommunikation. Komponisten sind ja eigentlich wahnsinnig dankbar, dass ihre Stücke überhaupt aufgeführt werden. Komponist zu sein ist ein schreckliches Dasein, weil das eigene Werk nicht, wie bei einem bildenden Künstler, bleibt. Du machst eine Skulptur oder ein Bild, das ist dann da und steigert seinen Wert meist noch. Musik muss aufgeführt werden, damit sie da ist. Wenn man also rechtzeitig mit einem Komponisten spricht und sagt: Ich habe total Lust auf diese Uraufführung, aber darf ich Ihnen kurz sagen, was ich einfach nicht kann? Es muss nicht einfach sein, aber es muss so sein, dass ich mich damit nicht töte. Ich kenne keinen, der dann sagt: Das schreibe ich trotzdem so. Höchstens: Dann schaue ich doch noch mal nach einer anderen Sängerin.
Bei Metanoia ist man ja verblüfft. Nach dem Tod von Christoph Schlingensief zeigt sich, dass kurz vor der Uraufführung kein Konzept für die Regie existiert. Ist das normal?
Nein, das ist nicht normal. Aber Schlingensief war auch kein normaler Typ. Und in gewisser Weise finde ich das unglaublich konsequent, dass er jetzt nicht einfach ersetzt werden kann. Das finde ich fast schön. Das muss es auch mal geben, dass alle in Ratlosigkeit zurückbleiben, wenn so jemand ausfällt. Da ist halt einer nicht zu ersetzen, und jetzt wird diese Oper auf einem anderen Weg auf die Welt gebracht. Ich weiß nicht mal, ob das dem Stück schadet. Das wird sich zeigen.
Steht man bei einer Uraufführung als Sängerin besonders unter Druck?
Eine Uraufführung zu machen ist etwas Angenehmes, weil niemand etwas erwartet. Man hat nur selbst einen hohen Anspruch, aber das ist zum Glück etwas anderes als Druck.
Und wie groß ist der Druck, mit den großen Vorgängern zu konkurrieren?
Das kommt auf die Lebensphase an. Als junger Mensch habe ich darüber wenig nachgedacht, aber irgendwann verliert man seine Unschuld im Umgang mit dem Beruf. Man wird selbst besser, hört sehr viel mehr bessere Leute um sich herum, und der eigene Anspruch wächst enorm. Weil man so viel mehr begreift. Mehr Zwischentöne hört und auch dahin möchte. Man schnappt als Künstler immer nach der nächsten Wurst. Dann wird irgendwann der Druck immer größer.
Kommt einmal der Augenblick, wo man sagt: Besser kann ich es nicht?
(lacht) Nee. Besser kann ich‘s im Moment nicht. Davon gehe ich schon aus, dass jeder von uns immer so gut singt, wie er es im Moment kann. Diese Aufrichtigkeit würde ich uns allen zusprechen. Aber es ist schon erschreckend, dass man bei seiner 25. Gräfin viel besser ist als bei der 20. Da denkt man sich manchmal: Mist, wie schlecht muss das am Anfang gewesen sein. Ich weiß jetzt schon, nächstes Jahr werde ich in Bayreuth denken: O Gott, das muss ja grauenhaft gewesen sein vor einem Jahr.
Wann weiß man, dass man es geschafft hat?
Geschafft hat man es nie. Es gibt immer nur Etappensiege oder so ein kurzes Gefühl, wenn man nach Hause kommt und den Klavierauszug ins Regal stellt. Dann blättere ich den manchmal nochmal durch und denke: Diese eine Stelle hast Du noch nicht richtig geknackt. Oder eben: Du darfst zurück in den Schrank, das war gut. Aber es gibt immer wieder neue Aufgaben, Komponisten, Stücke – und jedesmal wieder das gleiche Risiko.
Aber man besteht die Aufnahmeprüfung, gewinnt einen Wettbewerb, hat ein Debüt…
Mit jeder dieser Etappen wächst eigentlich die Bürde. Dass man die Aufnahmeprüfung geschafft hat, was heißt das denn? Ich bin wohl talentiert genug – jetzt muss ich aber auch ranklotzen, dass ich weiter komme. Wenn man einen Wettbewerb gewinnt, denkt man: Was, ich kann gewinnen? Das bedeutet ja, ich kann es bis an die Spitze schaffen. Und mit allem, was man schafft, wächst wieder die Erwartungshaltung für das, was danach kommt. Es wird immer nur noch schwieriger.