Schon in der Verschmelzung beider Namen deutet sich an, was ein erstklassiges Klavierduo auszeichnet: die gemeinsame Zielrichtung der Interpreten, das Aufgehen in einer sinnhaften klanglichen Einheit. In ihrer über 30-jährigen Konzert-tätigkeit, die nach dem Studium in Dortmund, Frankfurt und Stuttgart begann, haben sich Andreas Grau und Götz Schumacher bis in die oberste Liga internationaler Klavierduos gespielt und sich darüber hinaus mit ausgeklügelten Programmen einen Namen gemacht. Mit Orchestern wie dem Bayerischen Staatsorchester München und dem Radiosymphonieorchester Wien traten die beiden auf. Neben dem gängigen Repertoire für zwei Klaviere spielen sie Transkriptionen und Auftragswerke und arbeiten mit anderen Künstlern zusammen, wie dem Schauspieler Klaus Maria Brandauer oder dem Videokünstler Stephan Boehme. Ihre musikalische Palette reicht – dokumentiert durch zahlreiche Aufnahmen – von Bach, Beethoven und Brahms bis zu Ligeti, Stockhausen und Rihm. In unserem Interview bewerten Andreas Grau und Götz Schumacher ebenso Interpretationen, die zu ihrem eigenen Repertoire gehören, als auch Solo-Aufnahmen.
Brahms: Ungarische Tänze
Yaara Tal & Andreas Groethuysen (Klavier)
1993. Sony Classical
Andreas Grau: Das ist ganz klar ein erfahrenes Duo. Sehr gut gemacht.
Götz Schumacher: Die Freiheiten, mit denen man die „Ungarischen Tänze“ spielen muss, sind hier allerdings überzeichnet.
Grau: Dadurch wirkt es etwas unorganisch, obwohl doch alles Hand und Fuß hat.
Schumacher: Die Interpreten spielen mit den Extremen, mit dem Moment der Überraschung. Sie spielen bewusst anders, als man es gewohnt ist. Pianistisch ist das tadellos. Vor Jahren habe ich mal die Aufnahme von Katia und Marielle Labèque gehört, die genau diese Verrücktheit hatte. Es sind jedenfalls nicht unsere geschätzten Kollegen Yaara Tal und Andreas Groethuysen.
Grau: Das würde ich bei diesen Tänzen nicht ausschließen. Ich habe fast den Eindruck, dass ich Yaara und Andreas hier heraushören kann. Es ist jedenfalls ein Spitzenduo, das bereits viele Jahre zusammenspielt. Es trifft nicht ganz unseren Geschmack, ist aber pianistisch brillant. Das Duo Tal & Groethuysen? Wirklich sehr schön.
Rachmaninow: Sinfonische Tänze
Martha Argerich & Nelson Freire (Klavier)
2009. Deutsche Grammophon
Grau: Das sind Rachmaninows Sinfonische Tänze. Als wir unser Duo gegründet haben, war das eines unserer Lieblingsstücke und wir wollen es schon seit Jahren in unser Repertoire aufnehmen.
Schumacher: Wir hören hier eine hohe Expressivität in den schnellen, virtuosen Teilen, aber vor allem fantastisch gespielte lyrische Passagen.
Grau: Es ist sehr frei und individuell gestaltet mit einer ganz persönlichen Idee, so dass man als Zuhörer unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht. Ich glaube, die Pianisten kommen nicht aus der russischen Schule.
Schumacher: Und sie spielen nicht zum ersten Mal zusammen. Der Vortrag ist sorgsam geprobt und zielt in eine musikalische Richtung. Das klingt vom ersten Ton an überzeugend.
Grau: Mein Tipp wäre Martha Argerich. Aber wer ist ihr Duo-Partner? Lilija Silberstein oder Nicolas Economou?
Schumacher: Mit Alexandre Rabinovich und Evgeny Kissin hat sie auch zusammen gespielt. Nelson Freire? Ah …
Schubert: Fantasie in f-Moll
Malcolm Bilson & Robert Levin (Fortepiano)
1997. Archiv Production
Grau: Das überzeugt mich leider gar nicht. Schuberts Fantasie in f-Moll ist das Leib-und-Magen-Stück eines jeden Klavierduos, und jeder hat eine ganz persönliche Vorstellung, wie es gespielt werden sollte. Deshalb tut man sich vielleicht besonders schwer, andere Aufnahmen gelten zu lassen. Mir fehlt hier die Flexibilität und die Weichheit im Klang. Es scheint mir kein gut eingespieltes Duo zu sein. Die Melodie könnte sich freier bewegen, Verzögerungen erlauben. Hier klingt es steif und hölzern und auch im Zusammenspiel nicht sehr organisch. Es fehlt die Synthese, die zu etwas Größerem führt.
Schumacher: Die Triller klingen fast etwas unrund.
Grau: An dieser Stelle (Largo, leiser Teil) gefallen sie mir aber gut. Das hat so etwas vorsichtig Schwebendes.
Schumacher: Aber hier (Allegro vivace) wird alles schon wieder sehr geradlinig ausbuchstabiert. Natürlich haben wir einen ganz persönlichen Zugang zu diesem Stück, weil wir es schon seit 30 Jahren gemeinsam spielen, trotzdem gibt es objektive Vorgaben in Tempo und Dynamik…
Grau: Wenn es trägt, darf man sich natürlich auch Freiheiten erlauben. Aber hier fehlt wirklich der gemeinsame Interpretationsansatz.
Schumacher: Malcolm Bilson und Robert Levin spielen das? Enttäuschend. Das sind zwei absolut schätzenswerte Pianisten.
Grau: Es ist eben ein Unterschied, ob man als Solist gelegentlich auch zu zweit auftritt, oder ob man ein eingespieltes Piano-Duo ist.
Skrjabin: Sonate Nr. 3 („Sokolov – Complete Recordings“)
Grigory Sokolov (Klavier)
1988. Naïve
Grau: Die Sonate Nr. 3 von Skrjabin.
Schumacher: Alles hörbar und verständlich vom ersten Ton an. Aus der Bewegung wird Klang. Großartig!
Grau: Die Stimmführung ist sehr schön polyphon ausgearbeitet. Der Interpret reizt das Virtuose nicht voll aus, um zu zeigen, was er kann. Er behält die Kontrolle und bleibt dabei sehr schön gesanglich. Trotzdem hat der Ton etwas Massives, Russisches.
Schumacher: Die Melodie ist sehr klar und solistisch gespielt, mit viel Noblesse. Die Interpretation hat nichts Ekstatische, Wildes, klingt aber sehr „gefüllt“. Für meinen Geschmack könnte das Spiel noch etwas lichtvoller sein.
Grau: Die alten Aufnahmen von Igor Zhukov oder Michael Ponti würde ich ausschließen. Es ist nicht Vladimir Horowitz und wohl auch nicht Grigory Sokolov. Ich würde auf eine neuere Einspielung tippen: Maria Lettberg vielleicht? Doch Sokolov? Das hätte ich nicht gedacht, weil er ja sonst so ein bedingungsloser Draufgänger und Risikospieler ist und sich hier so nobel zurückhält.
Bartók: Mikrokosmos
Chick Corea & Nicolas Economou (Klavier)
1983. Deutsche Grammophon
Schumacher: Das sind Jazzer, Chick Corea und Nicolas Economou – etwas in die Richtung.
Grau: Die ungewöhnliche Rhythmik und Betonung wirken fast brutal, obwohl so ein Zugriff auch seine Berechtigung hat.
Schumacher: Es ist ein deutlicher Eingriff in das, was Bartók notiert hat und klingt wie ein neues Stück. Dies ist weniger eine Interpretation als eine eigene Fassung.
Grau: Da werden die Extreme ausgereizt auf Kosten von Zwischentönen. Das rhythmische Spiel hat seinen Reiz, aber in diesen Stücken steckt mehr drin. Corea und Economou ist richtig? Lag auch nahe.
Schostakowitsch: 24 Präludien und Fugen
Keith Jarrett (Klavier)
1992. ECM
Grau: Die Präludien und Fugen von Schostakowitsch.
Schumacher: Das ist Keith Jarrett. Hier spürt man eine große Distanziertheit, wodurch es etwas oberflächlich wirkt. Man hat den Eindruck, er würde etwas anderes spielen, als das, was er sich wünscht.
Grau: Er hat einen sehr lockeren Zugriff, aber es fehlt die Innenspannung, um den Klang zu formen. Interpreten wie Alexander Melnikov oder Olli Mustonen sind da viel überzeugender.
Schumacher: Eigentlich machen mich alle Klassikaufnahmen von Keith Jarrett etwas ratlos. Er ist zweifelsohne ein fantastischer Pianist, aber seine Lesart dieser Stücke kann ich nicht nachvollziehen.
Grau: Man erwartet bei einem Musiker wie Jarrett eine ganz eigene, profilierte Botschaft. Aber die findet man in diesen Interpretationen eigenartigerweise nicht.
Hindemith: Ludus Tonalis
Ivo Janssen (Klavier)
1990. Globe
Schumacher: (Praeludium) Aufnahmetechnisch geht das auch in Richtung Jazz-Ästhetik. Der Sound ist sehr direkt, dadurch gehen Brillanz und Räumlichkeit verloren und es klingt etwas flach.
Grau: Klingt nach Hindemith.
Schumacher: Die Arpeggien werden fast cembaloartig ausbuchstabiert. (Interludium I) Aber es ist toll gespielt. Ich denke, es liegt eher an der Aufnahmetechnik, dass die Klangfarbe kaum variiert.
Grau: (Fuga secunda) Das gefällt mir. Der Aufbau ist klar mit einer Steigerung und überraschenden Wendungen. Der Ludus Tonalis ist das und Ivo Janssen? Den habe ich neulich in Berlin gehört. Ein guter Pianist.