Seit Jahrzehnten gehört er zu den unermüdlich Reisenden in Sachen Musik. Jeden Monat geht er mit seiner Klassischen Philharmonie Bonn auf Tournee quer durch Deutschland, zehn Konzerte in zwei Wochen schafft er auch mit 78 Jahren noch locker. 15 Jahre lang, von 1971 bis 1986, war Heribert Beissel, der bei Günter Wand Dirigieren und bei Frank Martin Komposition studiert hat, auch Chefdirigent der Hamburger Symphoniker, anschließend war er Generalmusikdirektor in Halle/Saale und Frankfurt (Oder).
Herr Beissel, Sie stehen seit über 50 Jahren fast täglich am Dirigentenpult. Was hat sich verändert an der Art, wie Sie dirigieren?
Man macht viel Unsinn als junger Dirigent – der Grundfehler ist vor allem, dass man meint, wenn da ein Fortissimo steht, müsse man einen Tobsuchtsanfall kriegen. Aber dadurch verliert man nur die Klarheit. Ein ganz klarer, eindeutiger Schlag ist immer der Beste, das lernt man erst mit der Zeit. Als junger Dirigent will man nur Musik machen und wühlt viel zu viel rum.
Gab es eine Initialzündung, dass Sie Dirigent werden wollten?
Ich war Schüler am Collegium Augustinianum in Gaesdonck am Niederrhein, wo wir einen guten Musikzweig hatten. Als ich 15 war, haben wir Ali Baba und die vierzig Räuber als Bühnenstück aufgeführt, und mein Musiklehrer sagte, schreib doch eine kleine Ouvertüre dazu. Schließlich habe ich eine ganze Oper geschrieben, die auch aufgeführt werden sollte, und da habe ich gesagt, gut, dann dirigiere ich die auch – obwohl ich gar nicht wusste, wie das geht. Aber es ging, und von da an wusste ich: Das ist der Beruf für mich.
Und dann sind Sie sehr früh Operndirigent geworden.
Ich habe an der Hochschule Köln oft in der Gesangsklasse von Clemens Glettenberg korrepetiert. Einmal habe ich einen Sänger in Bonn begleitet, und da sagte Peter Maack, der Chefdirigent der Oper Bonn, zu Glettenberg: „Den Sänger kannst du wieder mitnehmen, aber den Begleiter behalten wir hier.“ So hatte ich plötzlich einen Vertrag als Korrepetitor mit Dirigier-Verpflichtung an der Oper Bonn. Dann hat sich Maack mit seinem ersten Kapellmeister verkracht, und deshalb habe ich schon mit Anfang 20 viel dirigiert.
Wie kam es zur Gründung des Chur Kölnischen Orchesters, dem Vorläufer der Klassischen Philharmonie Bonn, im Jahr 1958?
Wir hatten an der Bonner Oper nur ein B-Orchester, das wir, wenn nötig, mit Studierenden der Musikhochschule in Köln aufgefüllt haben. Eines Tages hatten wir bei einer Rosenkavalier-Aufführung wieder mal ein erhebliches Aufgebot dieser Aushilfen dabei – da haben wir uns gefragt, warum machen wir nicht ein Orchester daraus und machen uns selbstständig? Wir haben einfach die passenden Leute zusammengesucht und das Orchester nach und nach vergrößert. Anfangs waren wir das Orchester der Stadt Bad Godesberg, die damals noch selbstständig war, später kamen eine eigenen Konzertreihe in der damals neuen Beethovenhalle und Konzertreisen auch ins Ausland hinzu, und deshalb haben wir den Namen geändert.
Aber das Chur Kölnische Kammerorchester gibt es doch auch noch.
Das habe ich sozusagen wieder aus dem Orchester „herausgefiltert“, weil wir in Bonn auch eine kleine Reihe mit seltener gespielten kammermusikalischen Werken machen. In der kleineren Gruppe sollte jedes Orchestermitglied mal mitmachen.
Gibt es einen Schwerpunkt in Ihrer Orchesterarbeit?
Ganz wichtig war immer die Nachwuchsförderung – im Orchester, aber auch als Solist vor dem Orchester. Deswegen hat uns auch die Telekom zehn Jahre lang gesponsort, und so kam es auch zur Zusammenarbeit mit dem Mozart-Wettbewerb in Salzburg: Der erste Preisträger gewinnt neben dem Preisgeld eine Tournee mit der Klassischen Philharmonie durch die großen Säle der Republik. Heute finanzieren wir uns über Spenden und einen Förderverein und bekommen eine kleine Zuwendung der Stadt Bonn.
Die reguläre Konzertreihe des großen Orchesters nennt sich „Wiener Klassik“. Wie genau nehmen Sie diese Festlegung?
Wir spielen immer wieder Werke dieser Zeit, besonders natürlich der Trias Haydn, Mozart und Beethoven. Aber auch alles, was einen Bezug zu den klassischen Formen hat – bis hin zu Regers Mozart-Variationen oder Strawinskys Pulcinella. Noch freier sind wir bei den Solokonzerten. Wenn ein Preisträger sagt, ich kann keinen Mozart, dann spielen wir eben Tschaikowsky oder Dvořák.
Das Orchester spielt nicht auf historischen Instrumenten. Gibt es dennoch Berührungspunkte mit der historisch informierten Aufführungspraxis?
Das ist eine gute Sache – mit dem Unterschied, dass wir nicht aufs Vibrato verzichten. Aber was Verzierungen, Artikulation, Tempo und Dynamik angeht, übernehmen wir die Erkenntnisse der Historiker. Uns wird immer ein eigener Klangcharakter nachgesagt. Ich denke, der entsteht vor allem durch die Artikulation – dass man Endphrasen in einem bestimmten Tonfall spielt, dass man schnelle Passagen sehr viel mit Spiccato spielt, dass man schwere und leichte Taktteile klar unterscheidet, daran erkennt man uns. Das ist auch meine Handschrift als Dirigent, dass ich da sehr aufs Detail achte. Und ganz wichtig: Vibrato ist für uns ein Ausdrucksmittel, keine Reflexbewegung.
Sie waren 15 Jahre lang Chefdirigent der Hamburger Symphoniker – parallel zu Ihrer Arbeit in Bonn. Wie hat das funktioniert?
Ich bin 90.000 Kilometer pro Jahr hin und her gefahren, zu jedem Konzert, jeder Probe. Da habe ich eine Menge Autos verschlissen. Meine Familie wohnte in Bonn, und in Hamburg hatte ich eine schöne Wohnung in der Nähe der Elbchaussee. An die Stadt habe ich die besten Erinnerungen.
Gibt es Repertoirevorlieben, die über die Jahrzehnte geblieben sind?
In der Oper eigentlich nicht. In der Sinfonik habe ich schon eine Vorliebe für Bruckner, Mahler und Strauss. Aber zwischendurch brauche ich immer wieder die Wiener Klassik, das ist wie ein Heilbad.
Es gibt ja viele Beispiele, die zeigen, dass Dirigieren jung hält. Wie lange machen Sie noch weiter?
So lange ich kann. Ich spiele noch Fußball, also kann ich auch noch dirigieren. Da gibt es ja einige Ähnlichkeiten… In der kommenden Spielzeit mache ich alle wichtigen Dinge so weiter wie bisher.