Seit einigen Jahren gehört Isabelle Faust zu den führenden Geigerinnen der Welt. Wir treffen uns in ihrer Altbauwohnung mitten in Berlin. Die große Stereoanlage im Wohnzimmer zeigt, dass in der Familie nicht nur Musik gemacht, sondern auch gehört wird. Isabelle Faust ist eine sehr fröhliche Gesprächspartnerin. Sie kommentiert bereits während des Hörens.
Beethoven: Violinsonate Nr. 4 a-Moll op. 23
Daniel Sepec (Violine)
Andreas Staier (Pianoforte) 2005
harmonia mundi
Das sind Andreas und Daniel, das ist eine der allerbesten Aufnahmen, die es gibt. Mit enorm viel Energie, sehr vorwärtsdrängend. Viel spannender kann man es sich nicht vorstellen. Wunderbar die Farben vom Hammerklavier und der Darmsaiten. Im Konzert spiele ich häufiger auf Darmsaiten und mit einem alten Bogen in der Tourte-Form oder auch einer Barock-Kopie. Das ist nicht ganz einfach, weil ich die gleiche Geige, die Stradivari, benutze, und die ist für Metallsaiten eingestellt. Diese Instrumente sind so delikat, dass schon jeder Temperaturwechsel den Klang ändert. Da braucht man ein bisschen Glück, wenn man die Saiten wechselt. Es ist mir schon passiert, dass die Geige nur gepfiffen hat, sodass ich die Darmsaiten im letzten Moment wieder runtergenommen und auf Metallsaiten gespielt habe. Vor ein paar Jahren in Nantes haben Alexander Melnikov und ich die Beethoven-Sonaten kurzfristig auf Hammerflügel und mit Darmsaiten gespielt, weil der moderne Flügel in dem Saal inakzeptabel war. Und bei unserem letzten Zyklus war der Hammerflügel vor Ort nicht gut, sodass wir die moderne Version vorgezogen haben. Wir versuchen da flexibel zu sein. Durch das Hammerklavier entstehen neue Farben, und die Artikulation ist viel deutlicher. Das beeinflusst natürlich auch mein Spiel auf der „modernen“ Geige. Vor meiner neuen Bach-Aufnahme habe ich auf meiner Barockgeige gearbeitet, bin aber für die Aufnahme auf die Stradivari zurückgekommen. Aber ich habe den Barockbogen benutzt, der war im Vergleich deutlich schöner, viel ziselierter in der Artikulation. Die Beethoven-Sonaten haben wir modern aufgenommen, weil wir die Kreutzersonate auch so eingespielt hatten.
Beethoven: Violinsonate Nr. 3 Es-Dur op. 12/3. 2. Satz
Adolf Busch (Violine)
Rudolf Serkin (Klavier) 1931
Naxos Historical
Das ist einer meiner Lieblingssätze. Sind das Schnabel und Busch? Oder Busch und Serkin? Das Zusammenspiel ist schön. Die älteren Aufnahmen sind oft sehr geigenlastig, diese hier gar nicht. Es ist wunderbar, wie er die Linien zieht. Ich liebe den Busch’schen Klang. Er hat eine unglaubliche Intensität, ohne übersüßt zu sein. Diese Schleifer sind natürlich gewöhnungsbedürftig. Aber es gefällt mir sehr. Es ist in diesem Satz gar nicht einfach, den großen Bogen zu spannen. Man hört, da spielt ein echtes Duo, alles greift ineinander. Viele Geiger heute spielen die Sonaten mal mit diesem, mal mit jenem Partner, da entwickelt sich keine Partnerschaft über die Jahre hinweg. Mit Sasha haben wir ein Niveau des Aufeinander-Hörens erreicht, auf das ich nicht gerne verzichte. Gefährlich wird es erst, wenn man sich zu gut kennt und im Konzert genau weiß, was der andere im nächsten Takt machen wird. Aber Sasha neigt nicht zum Langweilig-Werden, da kommen immer wieder neue Impulse. Vor einigen Jahren haben wir in Moskau alle zehn Beethoven-Sonaten gespielt, und dabei ist die Idee des Aufnehmens entstanden. Nun haben wir uns damit intensiv beschäftigt und möchten sie natürlich auch oft spielen. Die Arbeit an den Sonaten, die Beschäftigung mit den Briefen, den Handschriften und Skizzenbüchern, der Literatur und vor allem natürlich den Werken hat meine Begeisterung für Beethoven noch verstärkt. Sich so vollkommen mit Beethoven zu umgeben, gibt einem zumindest die Illusion, dass man die Musik von den verschiedensten Aspekten her besser versteht. Da gerät man in einen richtigen Strudel hinein. Und es kann schwierig werden, wieder herauszukommen, wenn man zwischendurch das Werk eines anderen Komponisten spielen muss. Alle zehn Sonaten sind Meisterwerke, sehr gern spielen wir die Nummern 3 und 6, letztere wird seltsamerweise allgemein unterschätzt. Sie ist sehr elegisch und verweist schon ein bisschen auf die zehnte.
Honegger: Sonatine VI für Violine und Violoncello
Frank Peter Zimmermann (Violine)
Heinrich Schiff (Violoncello) 2004
ECM
Das kenne ich nicht. … Ist das Martinů? Eine tolle Aufnahme! Klanglich ausgewogen, phantastisch gespielt, wahnsinnig sauber und klar phrasiert, mit wunderbarem Schwung und sehr schön dosiertem Vibrato. Das ist nicht einfach, zwei Streichinstrumente so aufeinander abzustimmen. Stimmt, ich spiele gern Stücke, die die Leute überraschen. Aber es ist schwierig, diese seltenen Stücke an den Mann zu bringen. Dabei ist es so wichtig, dass die Ohren geschärft werden durch Unbekanntes. Ich glaube nicht, dass ich jemals Honegger gespielt habe. Das französische Repertoire kenne ich sonst eigentlich sehr gut. Ich bin 23jährig nach Paris gegangen, weil ich die Sprache lernen und unbedingt mal im Ausland leben wollte. Es sind dann immerhin neun Jahre geworden. Und jetzt bin ich schon sieben Jahre in Berlin – ich kenne keine Stadt mit mehr Lebensqualität. Ich fühle mich hier pudelwohl.
Larcher: Ixxu
Rosamunde Quartett 2005
ECM
Das kommt mir bekannt vor – ist das von Thomas Larcher? Ich habe letztes Jahr sein Violinkonzert uraufgeführt, das ist auch so episodenartig, dieses segmenthafte Schreiben ist typisch für ihn. Das ist gut. Sehr gut gespielt, wieder ein sehr guter Klang. Es ist wahnsinnig spannend, mit einem Komponisten zusammen ein Stück zu erarbeiten und vielleicht sogar noch Einfluss darauf zu nehmen, wie es sich entwickelt. Das ist ein großes Privileg. Und es ist auch unsere Pflicht, dass wir Interpreten uns mit der heutigen Musik auseinander setzen. Leider muss ich das gut dosieren, es bedeutet schon sehr viel Arbeitsaufwand.
Paganini: Caprice op. 1 Nr. 4 C-Dur
Tanja Becker-Bender (Violine) 2007
hyperion
Ist das Frank Peter Zimmermann? Das gefällt mir sehr! Ein voller Klang, es klingt nach einer del Gesù [stimmt!]. Ich wollte damals den Paganini-Wettbewerb spielen und gewinnen, damit ich hinterher nie mehr beweisen müsste, dass ich auch ein bisschen Technik habe. Zum Glück hat’s geklappt. Und danach habe ich noch genau einmal das Paganini-Konzert Nr. 1 gespielt. Ich habe mir schon oft vorgenommen, die Capricen wieder hervorzuholen. Im Grunde interessieren mich aber Stücke, die die pure Virtuosität feiern, viel weniger als sagen wir ein Berg- oder ein Schumann-Konzert.
Dvořák: Violinkonzert
Johanna Martzy (Violine)
RIAS-Symphonie-Orchester Berlin
Ferenc Fricsay (Leitung) 1953
Deutsche Grammophon
Ist das ein Tscheche? Das ist mir zu schnulzig. Und manches kommt mir ein bisschen willkürlich vor. Aber ein beeindruckender Klang, das ist sicher ein enormer Geiger! Dvořák hat für mich manchmal etwas Fragiles im Klang, etwas Tänzerisches, das fehlt mir hier. Es ist mir zu unterbrochen in den Linien, dieses Stück braucht eine klare Linienführung. Gerade der zweite Satz fällt leicht auseinander. Es ist schwer, dass Solo- und Orchesterpart wirklich ineinandergreifen. Wenn der Dirigent das Stück nicht wirklich gut kennt, ist er oft einen Tick hinterher.
Beethoven: Violinkonzert
Anne-Sophie Mutter (Violine)
Berliner Philharmoniker
Herbert von Karajan (Leitung) 1980
Deutsche Grammophon
(leider sah Isabelle Faust das CD-Cover, bevor sie die CD hörte) Das ist viel zu langsam, und diese Solo-Girlande hier ist viel zu metronomisch. Alles ist auf Tonschönheit und das Elegische ausgerichtet. Da ist man ja jetzt schon müde – wie soll man das ganze Stück durchhalten? Aber ein wahnsinnig schöner Ton! Diese Aufnahme habe ich oft gehört. Als ich zehn, zwölf war, da war Anne-Sophie Mutter in meinem Blickfeld die einzige geigende junge Frau, natürlich war sie eine Art Vorbild. Das ist von allen CDs, die wir heute gehört haben, die einzige Aufnahme, die mir gar nicht gefällt. Sie spielt das Stück heute ja auch vollkommen anders. Aber trotzdem: Sie ist wirklich ein Jahrhunderttalent, so muss man erst mal Geige spielen können.