Ausgestopfte Fasane und eine Wachtel – das sind die Insignien des Jagdzimmers in der „Churfürstlichen Waldschänke“ zu Moritzburg, dem malerischen Sommersitz der sächsischen Könige. Auf eine amüsante Art ist es schon logisch, dass Jan Vogler hier logiert, denn in Sachsen ist der weltumspannende Cellist fast selbst so etwas wie ein Kurfürst. Neben New York hat der Tausendsassa seinen Hauptwohnsitz in Dresden und leitet daselbst gleich zwei Klassikriesen: die Dresdner Musikfestspiele und das inzwischen über 20 Jahre etablierte Moritzburg Festival. Mit seinem Stradivari-Cello fährt er aber auch unermüdlich durch die Welt und nimmt fleißig CDs auf: zuletzt mit Hélène Grimaud Schumanns Dichterliebe ohne Worte, zu Beginn des Jahres eine hochgelobte Gesamteinspielung der Cellosuiten von Bach. Das Kollegenrätsel nimmt er sportlich: „Das war schon die letzte Aufnahme? Schade, es hat solchen Spaß gemacht!“, sagt er zum Ende.
Tschaikowsky: Rokoko-Variationen
Sol Gabetta, Münchner Rundfunkorchester, Ari Rasilainen
2006. RCA Red Seal
Dieser Tschaikowsky ist schön gerade gespielt, nicht überladen mit Emotion, sehr klar und geradeaus. Eine gesunde Einfachheit. Diese Direktheit gefällt mir. Wie oft ich die Rokoko-Variationen schon gespielt habe? Naja, vielleicht so fünfzig Mal, ich weiß nicht genau. Ich habe eine Vermutung, aber es ist schwer. Kann ich noch eine andere Variation hören? Ich habe die Aufnahme nicht zu Hause, sonst würde ich sie erkennen. Da hat jemand seinen Rostropowitsch sehr gut studiert und macht nicht viel Gewese, das ist mir sympathisch. Übrigens hat Rostropowitsch das Stück bemerkenswert schlicht gespielt. Aber hier, diese Übergänge liebt er wohl nicht besonders. Sol Gabetta? Habe an sie gedacht, weil das so natürlich klingt. Sie macht das sehr geschickt. Das ist wohl ihre Debüt-CD, heute spielt sie viel raffinierter.
Bach: Cello-Suiten BWV 1007-1012
Mischa Maisky
1999. Deutsche Grammophon
Jetzt machen Sie es schwer, denn die d-Moll-Suite darf man deutlich freier, etwas romantischer interpretieren. Das leisten sich auch die historisch Informierten. Es ist ein sehr philosophisches, fast depressives Präludium, das rhapsodisch ausufern kann. Bei den Toccaten muss man metrisch strenger sein. Wäre es eine moderne Aufnahme, würde sie mich enttäuschen, denn da sind wir inzwischen weiter. Ach nee, das ist zu romantisch! Ich würde Mischa Maisky vermuten. Ja? Toller Cellist natürlich, aber die Auffassung ist eigen. Man erkennt sofort den schönen Ton. Und die Fantasie! Er nutzt die Freiheit des Stücks und hat viele Ideen. Mit der historischen Aufführungspraxis hat das aber wenig zu tun.
Grieg: Werke für Violoncello und Klavier
Ramon Jaffé (Violoncello), Andreas Frölich (Klavier)
2007. cpo
Vom Vibrato her würde ich sagen: kein ganz Junger mehr. Nein, den Cellisten kenne ich nicht. Spielen Sie mal bitte den dritten Satz. Ramon? War auch schon hier in Moritzburg, aber ich hätte ihn nicht erkannt. Die Grieg-Sonate gehört zu den Stücken, bei denen man zwischendurch seinen Stil ändern kann, ohne dass es jemand merkt. Große Konzerte oder eine Beethoven-Sonate entlarven den Solisten von Anfang an durch die eindeutig identifizierbare Herangehensweise. Ich habe die Grieg-Sonate deswegen wenig gespielt, weil das eher ein Klavierstück mit obligatem Cello ist. Wenn man den Pianisten nicht gängeln möchte, lässt sie sich schwer ausbalancieren, und es ergeben sich klanglich nur wenige Möglichkeiten. Das hört man auch bei dieser Aufnahme, die mich technisch nicht überzeugt. Das Klavier dominiert stark, und die Cellostimme klingt sehr zerfasert.
Gulda: Konzert für Violoncello und Blasorchester
Heinrich Schiff, Das Wiener Bläserensemble
1982. amadeo
Das ist ein toller Cellist mit einem wunderschönen Ton, sehr männlich und kernig. Er hat sehr viel Kraft in der linken Hand und kontrolliert den Ton hervorragend. Mein Gott, diese Doppelgriffe! Und es darf auch mal etwas danebengehen. Wunderbares Timing, man könnte sofort den Rhythmus aufschreiben. Was ist denn das für ein Stück? Ach, die Kadenz aus dem Gulda-Konzert? Das ist auf jeden Fall ein großer, ich tippe auf meinen Lehrer Heinrich Schiff. Seinen Ton merkt man richtig physisch, im Fußboden sozusagen. Er kommt dem Zentrum der Musik ganz nahe. Es gibt viel, was ich ihm verdanke: das Raffinement vor allem. Ich bin ja mit der deutschen Celloschule aufgewachsen und zur Disziplin erzogen worden. Heinrich Schiff hat mich gelehrt, als Solist auch individuell sein zu dürfen. Und er hat mir beigebracht, wie man klangliche Präsenz schafft. Dass man gestalten darf, auch wenn der Ton schon angestrichen ist, dass man ihn nicht allein lassen muss und die Farbe ändern kann.
Bach: Cello-Suiten BWV 1007-1012
Pablo Casals
1938/2003. EMI
Das ist nicht schwer: Pablo Casals ist der Erfinder der Bachinterpretation. Diese Entschlossenheit, mit der er auf diese Musik zugeht, ist ganz charakteristisch. Er hat ja die Noten entdeckt und dreißig Jahre gewartet, bevor er die Solosuiten aufgenommen hat – bis er wirklich zum Kern dieser Musik vorgedrungen war. Als er es dann Ende der 30er Jahre wagte, war er ja schon über sechzig. Da hatte er Bach für sich verstanden und gleich die Richtung vorgegeben für ganze Generationen von Cellisten. Wir haben es heute natürlich einfacher, wir können wählen zwischen verschiedenen Ansätzen, haben eine besser Aufnahmetechnik und auch bessere Saiten zur Verfügung. Aber das ist schon unglaublich, wie Casals das damals gespielt hat.
Beethoven: Complete Music for Cello and Piano
Mstislaw Rostropowitsch (Violoncello), Swjatoslaw Richter (Klavier)
1963/1994. Philips
Die Kammermusik ist ja die Königskunst, dafür haben wir mal gelernt, ein Instrument zu spielen. Die Beethoven-Sonaten markierten den Beginn meiner Karriere, ich habe sie in meinen Zwanzigern aufgenommen. Kammermusik enthält ja oft die intimsten Aussagen der Komponisten, man legt jeden Takt auf die Goldwaage. Diese ältere Aufnahme gefällt mir sehr gut, ich würde auf Pierre Fournier mit Wilhelm Kempff tippen. Rostropowitsch mit Richter? Hätte ich nicht gedacht! Er spielt das sehr deutsch, sehr kontrolliert. Es wird ja immer behauptet, er wäre der Prototyp eines russischen Cellisten mit überbordender Leidenschaft, aber gerade in seinen Aufnahmen war er unglaublich diszipliniert. Live hat er zwar immer auf die großen Botschaften gesetzt, aber das hier klingt sehr vornehm, schlicht und schlank. Deswegen hätte ich eher einen Franzosen vermutet.
Brahms: Klaviertrios 1 & 2
Julius Katchen (Klavier), Josef Suk (Violine), János Starker (Violoncello)
1968/1988. Decca
Brahms-Trio H-Dur, ein herrliches Stück. Sehr schöner Anfang! Das muss auch älter sein, damals hat man sich mehr Lagenwechsel erlaubt. Ich schätze, das sind drei Solisten, kein festes Trio. Der Pianist nimmt sich nicht zurück für die Streicher. Von dieser Kombination gab es natürlich eine Menge. Der Geiger spielt traumhaft schön! Josef Suk – den hätte mein Bruder sicher erkannt. Suk pflegte diesen ganz besonders süßen Ton. Starker hatte ja eine stürmische Biografie: Als ungarischer Jude war er sogar im KZ, seine Brüder haben nicht überlebt. Nach dem Krieg wurde er Solocellist in Chicago und hat erst spät angefangen zu solieren, daher kennt man seinen Stil nicht so gut, weil es nicht so viele Aufnahmen gibt – auf jeden Fall aber einer der ganz Großen!
Yo-Yo Ma plays Shostakovich
Yo-Yo Ma (Violoncello), Emanuel Ax (Klavier), Philadelphia Orchestra, Eugene Ormandy
2005. Sony
Das klingt nach einer Live-Aufnahme und hat eine Atmosphäre, als ob der Cellist für ein Publikum spielte. Bei der Kadenz im Solokonzert kann man raffinierter sein. Haben Sie noch einen anderen Track? Sehr gute Technik, das sitzt alles sehr gut und hat einen kräftigen Ton. Ach, lassen Sie mal die Sonate hören. Ich glaube, ein Russe würde Schostakowitsch nicht so spielen. Das ist sehr romantisch! Missverstanden würde ich vielleicht nicht sagen, aber die Sonate ist eher kubistisch angelegt. Schon beim Konzert ist mir aufgefallen, dass es zwar sehr groß gespielt ist, aber nicht zum Zentrum der Musik vordringt. Was, Yo-Yo Ma? Oh! Tut mir Leid. Aber das ist mir zu verzärtelt.