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Interview Jan Vogler

„Ich habe mich entschieden, Risiken einzugehen“

Der Cellist und Intendant Jan Vogler über Vorbilder, Aberglauben und wofür er richtig viel Geld ausgeben würde

vonMarie von Baumbach,

Der Star-Cellist Jan Vogler wurde bereits 1984 als Zwanzigjähriger erster Konzertmeister Violoncello der Staatskapelle Dresden. 1997 begann er seine Solokarriere und musizierte mit Weltstars wie Lorin Maazel oder Hélène Grimaud. Er ist Künstlerischer Leiter des Moritzburg Festivals und seit 2008 Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Jan Vogler lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Dresden und New York.

Herr Vogler, Sie haben Ihre Karriere in der Staatskapelle Dresden begonnen. Wären Sie lieber ein „Wunderkind“ gewesen?

Als junger Musiker in der DDR hatte ich gar keine Wahl, wir konnten ja fast nicht reisen. Das Ziel war, die bestmögliche Stelle im Orchester zu bekommen. Rückblickend bin ich sehr froh. Ich habe mit großen Dirigenten alle Opern von Strauss und Wagner gespielt, alle Sinfonien von Beethoven und Bruckner. Ich habe ein Fundament erworben.

Haben Sie unter dem häuslichen Druck gelitten, wie beispielsweise die Geigerin Midori?

Ich war immer selbst sehr ehrgeizig. Ich wollte den Erfolg. Ich bin von meinen Eltern extrem gefordert worden und habe hart mit ihnen diskutiert. In der Pubertät habe ich jede freie Minute geübt, und als ich 18 Jahre alt wurde, haben meine Eltern gesagt: „Jetzt bist du erwachsen und musst spielen wie ein Profi.“ Heute verstehen wir uns blendend.

Warum haben Sie die Sicherheit eines Orchesters zu Gunsten der Solokarriere aufgegeben?

Es war eine ganz natürliche Entwicklung. Ich habe bereits im Orchester viel solistisch gespielt. Dann kam noch dazu die Wende und mit ihr alle Möglichkeiten. Ich habe auch immer wieder an meine Vorbilder gedacht: Pablo Casals, Emanuel Feuermann. Die haben mich daran erinnert, warum ich mit dem Cello-Spielen überhaupt angefangen habe.

Wie hat sich Ihr Leben seit der Solokarriere verändert?

Beide Berufe haben im täglichen Leben nicht viel miteinander zu tun. Als Orchestermusiker ist man immer in einen Gesamtapparat eingepackt. Als Solist hat man die Reiserei, Interviews, Agenturen, CD Aufnahmen, den direkten Kontakt zum Publikum. Das Publikum spricht ja oft ganz gezielt von dem Geiger oder dem Cellisten. Das ist eine große Verantwortung.

Pablo Casals, Jaqueline du Pré, Mstislav Rostropowitsch, die Liste berühmter Cellisten des 20. Jahrhunderts ist lang. Haben sich die Interpretationen geändert?

Ja, sehr. Ich bin nicht sicher, ob wir jeden dieser großen Cellisten heute genauso feiern würden. Das war ein ganz anderer Stil. Den Anforderungen unserer Zeit gerecht zu werden, ist unsere einzige Rechtfertigung für die zehnte Plattenaufnahme eines Werkes. Wa­rum sollte man sonst heute noch Musik von Dvořák oder Elgar hören?

Was sind die Anforderungen unserer Zeit?

Wenn ein Theaterregisseur Hamlet inszeniert, muss er einen Bezug zur Gegenwart herstellen. Uns Instrumentalisten geht es genauso. Wir können nicht mehr spielen wie 1940. Wir haben so viele Kenntnisse in Bezug auf Aufführungspraxis und Stilistik Alter Musik erworben. Wenn ich Bach-Suiten spiele oder das Cellokonzert von Arthur Honegger, muss ich mich fragen, welche Botschaft hat das Werk für uns im 21. Jahrhundert.

Das Cellokonzert von Honegger spielen Sie mit dem Deutschen Symphonie-Orchester. Was ist das Besondere dieses Werkes?

Das Werk ist ein meisterhaftes Patchwork und passt sehr gut in unsere Zeit. In 15 Minuten schafft es Honegger, ohne Brüche durch verschiedene Stile zu wandern, ohne nach Plagiat zu klingen. Jazz, russische Avantgarde, französische Musik, etwas Habsburger Tradition. Man spielt heute eben nicht mehr nur Zweite Wiener Schule und dann die Moderne. Man spielt wieder Verzweigungen: Paul Hindemith, Erwin Schulhoff oder Arthur Honegger. Das ist das Schöne.

Sind Sie gläubig?

Nicht kirchlich organisiert. Aber man muss wissen, dass bis Brahms jeder Komponist gläubig war, selbst Beethoven. Brahms hat selbst gesagt: „Ich könnte keine Note schreiben ohne Gott.“

Gefühle wie Freude oder Angst kann man mit Musik darstellen. „Glauben“ auch?

Natürlich. Bach hat den „Glauben“ selbst in der Musik dargestellt. Es finden sich in seinen Werken zahlreiche Hinweise auf religiöse Symbole oder Zahlen. Ich komme aus einer Musikerfamilie, in der viel Wert auf diese technischen Einzelheiten gelegt wurde. Das muss man konkret musikalisch verstehen.

Haben Sie Bilder im Kopf im Konzert?

Eher nicht. Aber ich beschäftige mich gerne mit dem Umfeld des Komponisten und interpretiere skrupellos Dinge hinein. Um Beethovens unglaublich riskante, rebellische Art zu verstehen, sollte man über die Französische Revolution und ihre Folgen Bescheid wissen. Bei Schumann ist es diese Mischung aus Selbstzweifel und Enthusiasmus.

Wie würden Sie Ihre Art zu musizieren beschreiben?

Sagen wir, ich spiele ein Konzert in Berlin, einen Klassiker, den jeder kennt, den man selbst und tausend andere auf CD aufgenommen haben. Zusätzlich wird das Konzert live im Radio übertragen und man soll natürlich genauso spannend, und perfekt spielen, wie auf der CD und noch mit Risiko. Das geht nicht, man muss sich entscheiden. Ich habe mich entschieden, Risiken einzugehen. Im Konzert locker lassen kann man aber nur, wenn man zu Hause hart arbeitet.

Was passiert, wenn Sie sich verspielen?

Daran denke ich nicht. „Verspieler“ von Kollegen sind mir völlig egal. Wenn mir selbst was passiert, ärgere ich mich natürlich, aber niemand ist davor gefeit. Ein Risiko einzugehen heißt nicht „Verspiel ich mich, oder verspiel ich mich nicht“. Ich halte nichts davon, ein Konzert so abzuspulen, wie man es zu Hause mühevoll einstudiert hat. „Risiko“ bedeutet sich zu fragen: „Bin ich flexibel? Vergesse ich meine einstudierte Interpretation, weil der Dirigent eine gute Idee hat oder eine Farbe vom Orchester kommt? Kann ich gemeinsam musizieren?“

Sind Sie abergläubisch?

Ein bisschen. Wenn mein Hotelzimmer die dreizehn ist, macht mir das nichts aus, aber ich glaube, wie man am Abend Cello spielt, hängt damit zusammen, wie man seinen Tag verbringt.

Sind Ihre Hände versichert?

(lacht) Nein! Wenn ich nicht mehr Cello spiele, spielt ein anderer. Ich liebe meinen Beruf, aber ich versuche, ihn auf das zu reduzieren, was er ist: Die Chance, mit großen Dirigenten und Orchestern zu arbeiten. Für den Lauf der Welt sind wir nicht so existenziell.

Für was würden Sie richtig viel Geld ausgeben?

Für Instrumente. So viel Geld kann ich gar nicht verdienen, wie ich für ein Cello ausgeben würde. Das sind unschätzbare Kunstwerke. Deswegen sind wir ja oft auf Mäzene und Stiftungen angewiesen, die uns die Instrumente zur Verfügung stellen.

David Garrett ist 2008 auf der Treppe gestürzt und auf seine Guadagnini-Geige von 1772 gefallen …

Das ist ein Alptraum. Das wird man sein Leben lang nicht los. Man hat ja eine Verantwortung gegenüber jüngeren Generationen. Die wollen in hundert Jahren auch noch auf einer Stradivari oder Guadagnini spielen.

Sie sind Künstlerischer Leiter des Moritzburg Festivals und Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Wie schützt sich der Cellist Jan Vogler vor Ablenkung?

Ich habe zwei Regeln: 1. Am Konzerttag gehe ich ab mittags nicht mehr ans Handy und lese keine Emails. 2. Meine Cello-Zeiten sind heilig. Ich arbeite immer vormittags, da kann sich das Telefon tot laufen. Das wissen auch meine Mitarbeiter.

Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen der Arbeit als Cellist und als Intendant?

Ich möchte mit beidem die Gesellschaft durch Musik beeinflussen. Als Intendant muss ich mich damit beschäftigen, welche Mahler-Symphonie passen könnte, welche Werke ein bestimmtes Thema treffen und welche Interpreten am besten spielen. Ich muss mich sehr konkret mit der ganzen Musik- und Interpretationsgeschichte befassen. Das ist für einen Cellisten eine schöne Bereicherung.

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