Die diesjährigen Dresdner Musikfestspiele stehen unter dem Motto „Visionen“. Da auch Uraufführungen Visionen davon sind, welche Richtung Musik einschlagen kann, gibt es eine ganz besondere Weltpremiere: Zusammen mit dem WDR Sinfonieorchester unter seinem neuen Chef Cristian Măcelaru bringt Jan Vogler ein Cellokonzert zur Uraufführung, zu dem drei Komponisten aus drei Kontinenten je einen Satz bei gesteuert haben.
Herr Vogler, was erwarten Sie sich von der besonderen kompositorischen Konstellation des Cellokonzerts?
Vogler: Es ist eine besondere Gelegenheit, mit drei so unterschiedlichen Komponisten parallel arbeiten zu können! Zhou Long, Sven Helbig und Nico Muhly ergänzen sich wunder bar. So wie dieses Cellokonzert könnte unsere heutige Welt sein: farbig und kontrastreich, in glücklicher kultureller Koexistenz.
Wie gut kennen Sie die drei Komponisten?
Vogler: Zhou Long war vor ungefähr fünfzehn Jahren gemeinsam mit seiner Frau Chen Yi Com poser in Residence bei meinem Moritzburg Festival. Es gab viele Gespräche bei Proben, Essen und Spaziergängen. Ganz ähnlich verhält es sich bei meiner Bekanntschaft mit Sven Helbig: Auch hier stand die Zusammenarbeit in Moritzburg am Anfang. Nico Muhly kenne ich persönlich erst seit Kurzem, aber seine originellen Kompositionen interessieren mich schon länger.
Lässt sich das Cellokonzert als „klangliche Weltreise“ verstehen?
Vogler: Das wäre ein guter Titel! Ja, jeder der Komponisten steht in einer klaren Tradition. Auch wenn wir uns ab und zu als musikalische Rebellen fühlen: Unsere Lehrer, Umgebung und jeweilige Kultur haben uns geprägt. China, die USA sowie Deutschland und Europa – das Stück umspannt drei große Kulturkreise unserer Zeit. Um bei dem Reisebild zu bleiben: Die Musik schickt uns alle zehn Minuten auf einen anderen Kontinent. Das ist nicht nur spannend, sondern durchaus auch sehr unterhaltsam.
Ihre Dresdner Musikfestspiele 2019 haben Sie mit „Visionen“ überschrieben. Was ist für Sie eine Vision?
Vogler: Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Das war sehr richtig zu seiner Zeit, in der es um den Aufbau Deutschlands ging, um eine bodenständige Politik. Ich finde aber, dass wir heute im reichen Deutschland zu wenige Visionen haben, wir leiden an Visionslosigkeit im Hinblick auf Architektur, auf erneuerbare Energien, auf Umwelttechnologien und vieles anderes – wie auch im Hinblick auf die Zukunft der klassischen Musik. Als ein in New York lebender Musiker denke ich: Wir brauchen den globalisierten Blick.
Auch das Bauhaus spielt bei den Festspielen eine Rolle.
Vogler: Das Bauhaus vor hundert Jahren war selbst eine große Vision, die nicht nur auf die Architektur strahlte, sondern auch auf die Lebenskultur, auf die Musik, auf die Kunst. Bis heute eigentlich. Ferner wollen wir die Genregrenzen überschreiten, mit einer Jazz-Gala, mit Weltmusikkonzerten. Auch Eric Clapton kommt …
Ein Freund aus New York wie Bill Murray, den Sie auch gut kennen?
Vogler: Ja. Wir haben uns zufällig in Europa kennengelernt und werden in Dresden auch gemeinsam auftreten.
Gibt es Momente, in denen Sie das beschauliche Dresden vermissen?
Vogler: Nein, ich bin ja so oft da. Ich liebe den Kontrast. Es gibt in Deutschland eine Art Versenkung beim Hören von Musik, eine Atmosphäre der Stille, eine fast andächtige Art des Zuhörens, die ich nicht missen möchte. In Amerika möchte das Publikum unterhalten werden, und ich fühle mich verantwortlich dafür – als Entertainer, als jemand, der für sein Publikum spielt. Es macht riesigen Spaß, wenn man die Schlacht gewonnen und das Publikum auf seine Seite gebracht hat. Aber es gibt auch in Amerika Hörer, die das Köchelverzeichnis auswendig kennen und Musik als Stimulation des Geistes empfinden.