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Interview Jonas Kaufmann

„Muss ich immer stolz sein auf das, was ich kann?“

Jonas Kaufmann ist nicht nur Startenor, sondern kann Dirigierpulte bauen und hat auch schon mal vor Affen Mahler interpretiert, wie er erklärt.

Mit seinem Debüt als Otello in Verdis gleichnamiger Oper hat Jonas Kaufmann lange gewartet: Erst 2017 stand der Startenor in London erstmals in dieser Rolle auf der Bühne. Antonio Pappano, der damals dirigierte, bezeichnete die Titelrolle einst als „Mount Everest“ für Tenöre. Inzwischen hat Kaufmann eine erneute Everest-Besteigung gewagt und den „Otello“ auf CD eingespielt.

„Corona, Corona, Corona, jetzt sitzen wir alle daheim! Corona, Corona, Corona – anstatt im Theater zu sein!“, trällern Sie in einem Video zu fröhlichen Play-back-Klängen …

Jonas Kaufmann: Ich hatte von Freunden und ihrer Initiative, einem Nothilfe-Fonds für Sänger, gehört. Ich möchte sie unterstützen und habe mir dafür ein paar Zeilen ausgedacht. Wenn ich gewusst hätte, dass so viele Menschen zuschauen, dann hätte ich mich doch etwas mehr bemüht …

Noch aus der Zeit vor Corona stammt ein anderes, sehr amüsantes Video – aus einer Vorstellung des Otello in Convent Garden. Jago steht bereits auf der Bühne, Sie noch in den Kulissen …

Kaufmann: … und da merke ich, dass ich mein Schwert vergessen habe! Die Szene ist aus einer englischen Dokumentation, als ich in London mit Otello debütierte. Zwanzig Minuten vor Vorstellungsbeginn war Tony Pappano ganz aufgeregt in meine Garderobe gekommen und hatte die Kameraleute angefaucht: „Get out of here! This guy is going to debut Otello, leave him alone!“ Nur wenig später stand ich auf der Seitenbühne in der Kulisse, wartete auf meinen Auftritt, fasste an meine Hüfte und dachte mir: Mist, das Schwert! Wo ist es?! Also nichts wie hoch in die Garderobe, Schwert umbinden und dann direkt raus auf die Bühne! Ich war, wenn man so will, emotional bestens auf die Partie vorbereitet, abgekämpft und voller Schweiß, wie nach einer Schlacht.

Pappano sagt, die Otello-Partie verlange vom Interpreten auch ein „gewisses Maß an Masochismus“.

Jonas Kaufmann
Jonas Kaufmann

Kaufmann: Wenn man die Partie von ihrer Länge her betrachtet, der Höhe der Töne, der Größe des Orchesters, dann hat man nicht den Eindruck, dass sie eine der schwersten Tenor-Partien ist. Auf dem Papier wirkt alles relativ normal. Der emotionale Faktor aber macht die Partie interpretatorisch schwierig: die Doppelbödigkeit jeder Aussage, die Ironie, der Hohn, der unterdrückte Zorn, besonders ab dem zweiten Akt. Otellos Eifersucht ist pathologisch. Dank seiner Heldentaten hat er Desdemona heiraten dürfen, sie hat ihn in einen gesellschaftlichen Stand gehoben, den er als Nicht-Christ und Schwarzer nie erreicht hätte. Dennoch bleibt alles sehr fragil. Beim leisesten Zweifel an der Treue seiner Frau muss er um den Verlust seiner Ehre fürchten. Das treibt ihn in Aggression und Paranoia. Er steht unter psychischem Druck, wie ein Dampfkochtopf, der jederzeit explodieren kann. Aber auch im Piano implodiert. Für den Interpreten, der diesen psychischen Ausnahmezustand, diese Tragik wahrhaftig vermitteln will, ist es schwer, stimmlich dabei gesund zu bleiben. Das Stück geht einem wörtlich an die Nieren.

Die Bühne formt den Künstler, aber ruiniert den Sänger, sagte Alfredo Kraus.

Kaufmann: Die Otello-Partie übt einen Sog aus, dem man sich als Sänger kaum entziehen kann. Deshalb muss man aufpassen: Die Emotionen dürfen einen nicht so weit davontragen, dass man die Kontrolle über Stimme und Gesang verliert. Wenn man das schafft, kann man sich ganz der Inspiration widmen. Dann ist es fantastisch, mit dieser Partie auf der Bühne zu stehen.

Unter Kontrolle, so sagen Grafologen, aber hat man nicht die eigene Handschrift. Ihre Unterschrift scheint aus zwei großflächigen Dreiecken zu bestehen. Was sagt sie über Sie aus?

Kaufmann: Ha! Da ich viele Autogramme gebe, ist sie mittlerweile von der Geschwindigkeit, mit der ich das mache, geprägt. Fans insistieren, ich möge meinen Namen doch ausschreiben. Ich entgegne immer: Entweder ich gebe ein Autogramm oder ich unterschreibe. Für Letzteres händigt mir die Bank Geld aus, für Ersteres nicht. Ihr müsst euch also entscheiden.

Auch wenn Ihre Unterschrift raumgreifend ist, besonders eitel oder abgehoben wirken Sie nicht. Sie schafften es sogar kürzlich, in einer ZDF-Show einem Busfahrer das Singen beizubringen!

Kaufmann: Muss ich denn immer auf das stolz sein, was ich gelernt habe oder kann? Ich habe irgendwann mal die richtigen Lehrer getroffen, einige Entscheidungen gefällt. Es ist auch sehr viel Schicksal dabei. Heute bin dankbar, dass ich einen Beruf habe, der meine Leidenschaft ist, und mit dem ich auch Geld verdienen kann. Ich bilde mir dennoch darauf nichts ein. Es ist ein zerbrechliches Gefüge, es könnte ja auch morgen vorbei sein.

Mit erstaunlicher Offenheit haben Sie auch über Niederlagen und Probleme mit der Stimme gesprochen.

Kaufmann: Man lernt immer aus den Niederlagen und nur selten aus den Siegen. Eine Fassade, die man sich aufbaut, kann man vielleicht ein paar Jahre aushalten. Aber irgendwann will man wieder ganz man selbst sein.

Wie war es denn mit Rao und Sipura, dem Gibbon-Pärchen aus dem Wiener Tiergarten, dessen Patenschaft Sie 2018 übernahmen?

Jonas Kaufmann
Jonas Kaufmann

Kaufmann: Die singen! Einfach unglaublich. Stimmphysiologisch und genetisch sind sie den Menschen ja ähnlich. Natürlich können die Tiere keinen Verdi oder Brahms singen. Aber ihre Technik, die Stütze, erscheint ihnen so selbstverständlich, dass man fast neidisch sein könnte. Kunst trägt dieses Missverständnis in sich, dass es künstlich sein muss. Man manipuliert, schiebt, drückt. Als junger Sänger hatte ich auch deshalb so viele Schwierigkeiten, weil ich einfach zu viel wollte, alles überfrachtet habe. Ich musste erst einmal ein Selbstvertrauen zu meiner eigenen Stimme fassen.

Es heißt, Sie hätten den Affen ein Lied aus Gustav Mahlers Lied von der Erde vorgesungen. Wie haben die denn reagiert?

Kaufmann: Eigentlich gar nicht. Später dachte ich mir, ich sollte sie nicht damit verschrecken oder in ihre Rituale eingreifen. Denn was ist, wenn das Männchen das Weibchen nicht mehr versteht oder umgekehrt? Bei den Tieren wurde mir bewusst, dass das Singen nicht irgendeine erschaffene Kunstform ist, sondern dass es tief in uns Menschen und in der Tierwelt verankert ist. Man will gehört werden und seine Emotionen transportieren.

Sie haben ein sehr großes Repertoire, das von Operette, Belcanto, Verismo bis hin zum Lied reicht. Irgendwo stand zu lesen, dass Sie mit dem Dirigieren liebäugeln?

Kaufmann: Dirigenten oder Pianisten sind manchmal neidisch auf die Möglichkeiten des Sängers, Emotionen zu vermitteln. Der will aber umgekehrt das große Ganze erfassen. Ich bin in der Hinsicht nicht schüchtern und mache manchen Dirigenten Vorschläge. Das gefällt nicht jedem.

Für das Dirigentenpult haben Sie bereits gesorgt. In einer NDR-Show haben Sie kürzlich Ihr Heimwerker-Talent demonstriert.

Kaufmann: Es hat richtig Spaß gemacht ein Pult zu bauen, mit den Händen etwas zu erschaffen!

Eine Frage, die vielleicht manchen Konzertgänger umtreibt. Welches sind die Gedanken unmittelbar vor dem Auftritt?

Kaufmann: Wenn das Stück verlangt, dass man sofort auf den Punkt sein muss, stimmt man sich ein, um loszulegen. Wenn man Vorlauf hat, gibt es kein Ritual. Es ist ein bisschen wie beim Sportler: Dehnübungen, Kiefer lockern, das passiert eigentlich automatisch.

Und nach dem Auftritt?

Kaufmann: Da kommt es darauf an, wie erfolgreich man war … Beim Otello kann ich allerdings nicht von jetzt auf gleich den Stecker ziehen.

Solange Sie das Schwert nicht nach Hause mitnehmen …

Kaufmann: Haha! Das habe ich noch nicht getan!

Album Cover für Verdi: Otello

Verdi: Otello

Jonas Kaufmann Orchestra e Coro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Antonio Pappano (Leitung) Sony

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