Es ist so etwas wie eine Blitzkarriere: Im Alter von 29 Jahren wurde Killian Farrell aus über hundert Bewerbern zum Generalmusikdirektor des Staatstheaters Meiningen gewählt und startete in seine erste Saison mit Richard Wagners Erstlingsoper „Die Feen“. Der junge Ire begann seine musikalische Karriere als Knabenchorist in Dublin, studierte dort neben Dirigieren auch Klavier, Orgel und Musikwissenschaft. Farrell wollte unbedingt zur Oper, startete in Bremen als Korrepetitor und kam schnell über Stuttgart nach Thüringen.
Mister Farrell, sind Sie wirklich der jüngste GMD in Deutschland?
Killian Farrell: Ich glaube, der Kollege in Wuppertal ist noch jünger. Aber darauf konzentriere ich mich nicht, es werden bestimmt noch Jüngere kommen.
Der Erfolg der „Feen“ von Wagner, Ihre Eröffnungspremiere der Saison, war sehr groß. Wie sind Sie im Thüringer Wald angekommen?
Farrell: Ich fühle mich sehr wohl, die Landschaft erinnert mich an meine Heimat rund um Dublin – es gibt gewisse Ähnlichkeiten von der Geografie her. Meiningen mag eine ländlich gelegene kleine Stadt sein, hat aber eine so reiche kulturelle Tradition, dass sie alles andere als abgeschieden ist. Von überallher kamen Menschen, um Wagners erste Oper zu sehen, das hat mich sehr beeindruckt. Wir sind ein sehr wichtiges Theater zwischen Unterfranken und Erfurt.
Was hat Sie bewogen, den Schritt von der Insel auf den Kontinent zu wagen?
Farrell: Als ich mit fünfzehn Jahren entschied, Dirigent zu werden, war mir klar, dass ich in Deutschland die besten Möglichkeiten dafür haben würde. Als ich kurz zuvor eine „Salome“ mit Georg Solti gehört habe, war ich davon regelrecht besessen. In seiner Biografie habe ich das erste Mal das Wort „Kapellmeister“ kennengelernt. Da habe ich begriffen, dass es in Deutschland Institutionen gibt, die jemanden fürs Operndirigieren bezahlen. Das fand ich so toll, dass ich dachte: Da musst du hin!
Gibt es das in Irland nicht?
Farrell: Nein. Das einzige Haus dort, die Irish National Opera, macht nur sechs Produktionen im Jahr. Als ich jung war, gab es nicht mal die. In Wexford existiert ein berühmtes Opernfestival, das dauert zwei Wochen. Und dann haben wir noch eine Tournee-Kompanie, aber die ist auch erst neu entstanden.
Früher, als Sie noch jung waren, soso. Aber Sie haben ja tatsächlich früh angefangen. Erklären Sie mal, was der Palestrina Choir ist.
Farrell: Das ist der einzige katholische Knabenchor in Irland, der am Dom zu Dublin singt, allerdings ohne Internatsbetrieb. Dort habe ich mit sechs Jahren begonnen, bekam eine umfassende Ausbildung, war auf vielen Tourneen unterwegs und zuletzt sogar Stimmführer. Leider ist die Karriere dort – anders als in Deutschland – mit dem Stimmbruch zu Ende, gerade zu der Zeit, als ich meine musikalische Energie entdeckt habe.
Mit siebzehn haben Sie dann schon die „Johannes-Passion“ dirigiert. Wie kam es dazu?
Farrell: Nach dem Stimmbruch mit zwölf Jahren fehlte mir die Musik sehr, so dass ich sehr stringent begann, Klavier zu üben. Eine Solokarriere als Pianist war aber nichts für mich, viel eher wollte ich mit anderen zusammen musizieren. Die Oper hat mich dagegen schon als Kind fasziniert – wegen der Mischung aus Theatralik und Musik. Mit vierzehn denkt man ja, wenn man zum ersten Mal Mahler hört: Jetzt verstehe ich mein Leben. In dieser wunderbaren Phase der Neugier überlegte ich mir, wie ich zur Oper käme. Zu der Zeit stand ein Kirchenjubiläum an, und dafür waren Ideen gefragt. Es war mein Vorschlag, Bach zu dirigieren, den ich sehr geliebt habe. Also gründete ich einen neuen Chor aus absoluten Laien, die keine Noten lesen konnten, und wir haben die Johannes-Passion erarbeitet, Ton für Ton.
Das muss sehr langwierig und mühsam gewesen sein. Bachs Koloraturen sind ja schon für Profis nicht einfach.
Farrell: Das stimmt, aber das Projekt bezog seine Attraktivität aus der bedingungslosen Faszination derer, die dabei waren. Zumal wenn ein Fünfzehnjähriger davorsteht und sagt, wo es langgehen soll. So hatten wir am Ende doch Erfolg. Und ich habe dabei viel gelernt, vor allem wie man effektiv proben und die Spannung halten kann. Den Chor habe ich auch während des Studiums behalten, irgendwann konnten die Leute dann auch Noten lesen.
Wahrscheinlich wagt man nur in diesem Alter, eine so übermenschliche Aufgabe zu übernehmen. Sie kennen keine Angst, oder?
Farrell: Das stimmt nicht. Ich habe sehr viel Respekt vor der Musik. Die Aufgabe schien nicht lösbar, aber wir haben sie gemeinsam bewältigt.
Es scheint so, als hätten Sie damals schon die Autorität gelernt, die man am Pult auch heute noch braucht. Hatten Sie später eigentlich jemals Probleme mit altersüberheblichen Musikern?
Farrell: Wenn man als Dirigent gut vorbereitet ist und respektvoll mit allen Kollegen umgeht, entstehen keine solchen Probleme. Respekt ist das Wichtigste: vor den Menschen, vor ihrer Erfahrung, vor der Partitur. Jeder hat etwas anzubieten. Die Aufgabe des Dirigenten ist, diese Erfahrungen mitzunehmen, um die eigenen musikalischen Ideen daraus zu entwickeln.
Sie haben schnell Karriere gemacht. Wie kam das?
Farrell: Zuerst war ich vier Jahre in Bremen, wo ich mit 23 als Korrepetitor anfing. Das war meine erste Stelle hier, ich konnte noch kein Deutsch. Obwohl ich schon viele Erfahrungen gesammelt hatte, sagte man mir, ich sei noch nicht reif genug, um an diesem großen Haus zu dirigieren. Nach einem halben Jahr fiel aber der Dirigent kurzfristig aus, und ich musste aus dem Stand „Rusalka“ leiten. Aus Dublin kannte ich das Stück zum Glück schon. Die Vorstellung lief und hatte auch schöne Momente. Sowohl Orchester als auch Theater waren zufrieden, so dass ich zunächst eine Dirigierverpflichtung, später die Stelle als Erster Kapellmeister bekam. Dort habe ich mein Handwerk gelernt. Dann kam die Chance, nach Stuttgart zu wechseln, wo es noch einen Repertoirebetrieb gibt, in dem die Kapellmeister viele Vorstellungen dirigieren. In diesen zwei Jahren konnte ich mir so ein großes Repertoire erarbeiten – die Grundlage für Meiningen.
Abgesehen von Fähig- und Fertigkeiten braucht es also auch viel Glück, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein?
Farrell: Meine Karriere ist bisher eine Verkettung glücklicher Umstände gewesen. Und man braucht auch immer künstlerische Partner, die das Risiko eingehen, so junge Menschen wie mich zu verpflichten.
Mit 29 sind Sie schon GMD an einem Theater mit berühmten Vorgängern von Liszt über Strauss bis Bülow. Wo soll es denn dann noch hingehen? Mit 35 nach New York an die Metropolitan Opera?
Farrell: Es ist keine Koketterie, wenn ich sage, dass für mich die Musik im Vordergrund steht. Wie Sie sagen, hat Meiningen eine große Tradition, die im Hintergrund steht, aber keine Fesseln legt. Das Orchester ist wunderbar offen, und nach nur ein paar Wochen haben wir uns schon gut kennengelernt. Ich habe hier die Möglichkeit, mit dem Orchester zu wachsen. Das kann man nicht überall erwarten.
Mancher Generalmusikdirektor dirigiert lieber, hat aber auch viele administrative Pflichten. Können Sie diesem Teil derArbeit etwas abgewinnen?
Farrell: Partituren studieren und dirigieren ist natürlich meine Hauptaufgabe. Aber die administrativen Aufgaben sind auch sehr wichtig. Gemeinsam mit dem Intendanten planen wir die Saison. Was die Sinfoniekonzerte angeht, habe ich relativ freie Hand, darf Gastdirigenten und Solisten auswählen. Das ist eine schöne Sache. Manches andere ist etwas mühsamer, aber gleichwohl wichtig, um die Kunst machen zu können. Hans von Bülow hat auch am Schreibtisch gesessen und Briefe geschrieben. Weil Toscanini unzufrieden mit dem Geräusch der Schuhe seiner Choristen war, kümmerte er sich persönlich darum, dass sie neu besohlt wurden.
Carte blanche zu haben ist ein Luxus für jeden Musiker. „Die Feen“ standen jedoch schon seit Längerem fest, und Sie machen ja auch Wiederaufnahmen.
Farrell: Ich fand es gut, dass die Produktion schon feststand, weil mir die Oper, mit der Wagner begann, wahrscheinlich so schnell nicht wieder über den Weg läuft. Was die Wiederaufnahmen betrifft, bin ich ja nach Deutschland gekommen, um das Repertoiresystem zu erleben. Da sollte man als GMD alles dirigieren können und wollen. Ich möchte die Arbeitsweise des Orchesters und Ensembles schließlich auch im Alltagsbetrieb erleben und nicht nur bei einigen wenigen Höhepunkten. Das wäre die falsche Haltung.