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Interview Klaus Florian Vogt

„Ein Heldentenor ist kein Brüllaffe“

Der Tenor Klaus Florian Vogt über Halsweh, Unterforderung und seine Liebe zu Wagner

vonArnt Cobbers,

Für viele war er die Entdeckung der Bayreuther Festspiele 2011. Dabei hat Klaus Florian Vogt den Lohengrin bereits an der Met und an der Scala gesungen. Der 41jährige Dithmarscher ist studierter Hornist, auf die Opernbühne fand er erst über den Umweg durch den Orchestergraben. Am 21. Januar gibt er an der Deutschen Oper sein Rollendebüt als Cavaradossi in Puccinis Tosca, im Oktober singt er an der Bismarckstraße den Parsifal.

Herr Vogt, ist es nicht langweilig, immer nur strahlende Helden und Liebhaber zu geben?

Ich finde die Heldenpartien überhaupt nicht einseitig. Für mich ist ein Held nur der, der auch eine sehr weiche und gebrochene Seite hat; einer, der in der Lage ist, gewisse Zweifel und Unzulänglichkeiten zu überwinden.

Und doch steckt kaum ein anderer Musiker in solch einem Erwartungskorsett wie ein Heldentenor.

Umso schöner, wenn man es schafft, das aufzubrechen.

Aber als Sportskanone mit wallender blonder Mähne, der für PR-Fotos auf dem Motorroller posiert, erfüllen Sie das Klischee perfekt.

Das ist alles echt, der Motorroller ist meiner. Auch das Wohnmobil auf den Fotos, darin wohne ich tatsächlich während der Probenphasen in anderen Städten. Das ist so, wie ich bin und wie ich lebe.

Aber Sie sind nicht wirklich auf einer Geburtstagsfeier als Sänger entdeckt worden, oder?

Auch wenn es wie ein PR-Gag klingt, es ist tatsächlich so passiert. Andere haben mich auf meine Stimme aufmerksam gemacht, und da wollte ich wissen, ob wirklich was dahinter steckt und habe einem Gesangslehrer, Günter Binge, vorgesungen. Der hat erstmal festgestellt, dass ich ein Tenor bin – das wusste ich ja nicht. Und er wollte mit mir arbeiten. Das reizte mich, und so habe ich das Singen weiterverfolgt bis zur Aufnahmeprüfung an der Hochschule. Die habe ich bestanden und dann neben meinem Orchesterjob ein Gesangsstudium in Lübeck aufgenommen. Aber die ganze Zeit lag mein Fokus auf dem Orchester. Eines Tages kam der Punkt, an dem mein Lehrer und meine Frau sagten: Du musst jetzt mal vorsingen. Nach vielem Hin und Her – ich selbst wollte nicht – habe ich einem Agenten in der Hochschule vorgesungen. Und der sagte mir: In drei Tagen ist Vorsingen in Flensburg, die suchen jemanden wie Sie. Ich bin hingefahren – und wurde engagiert. Und dann stand ich da und wusste nicht, was ich machen sollte.

Was hat den Ausschlag gegeben?

Der Reiz, mich weiterentwickeln zu können. Mein Lehrer hat relativ früh bemerkt: Das geht ins dramatische Fach, da eröffnen sich  Möglichkeiten mit Wagner. Das hat mich sehr motiviert. Als stellvertretender Solo-Hornist der Hamburger Philharmoniker hatte ich eine gute Stelle, aber ich hatte etwas Angst davor, das dreißig Jahre weiter bedienen zu müssen. Zudem konnte ich das Risiko eingrenzen. Ich bin zum Intendanten Albin Hänseroth gegangen und habe ihn gefragt: Was soll ich tun? Und er sagte: Wenn Ihre Horngruppe einverstanden ist, gebe ich Ihnen die Möglichkeit, ein Jahr unbezahlten Urlaub zu nehmen und dann zurückzukommen. Das war ein Riesengeschenk, ich hatte ja schon Familie.

Ein Jahr später kamen Sie schon ins Ensemble der Semperoper.

Ich habe dieses erste Jahr als Probejahr genutzt, um zu testen, wie mir der Beruf gefällt und wie meine Stimme die Dauerbelastung aushält. Ich wollte aber auch herausfinden, ob es wirklich sinnvoll war, weiter zu machen. Im Zuge dessen konnte ich informative Vorsingen mitmachen, auch in Dresden durfte ich mich zu einem Vorsingen dazustellen. Da habe ich dem Intendanten so gut gefallen, dass er sich eine Vorstellung mit mir in Flensburg angehört und mir sofort ein Angebot gemacht hat. Das war natürlich eine Riesensache – und der ausschlaggebende Punkt, dass ich beschlossen habe: Ich wage es. Wobei dieses erste Jahr in Dresden schwer war. In Flensburg hatte ich die ersten Partien, in Dresden durfte ich in der Ariadne mal einen Satz singen. Wieder so klein zu sein, war sehr frustrierend. Am Ende des ersten Jahres bekam ich meinen ersten Tamino, und dann ging es langsam bergauf.

Und fünf Jahre später wurden Sie Freiberufler.

Da hatte ich schon viele Angebote. Dadurch dass ich in Dresden nicht gleich die großen Partien bekam, die ich singen wollte, habe ich mir an kleineren Häusern die Möglichkeiten gesucht. Das dauerte mir alles zu lange, ich wollte mich schnell entwickeln – und das geht nur mit großen Partien, in denen man gefordert ist. Mit Unterforderung kann ich schlecht umgehen. Mir ging alles viel zu langsam – obwohl es im Nachhinein eigentlich doch schnell gegangen ist.

Kommen Sie aus einer Musikerfamilie?

Ich komme aus einer Medizinerfamilie, aber mein Vater hatte mal angefangen, Musik zu studieren und hat sich sein Studium mit Tanzmusik finanziert. Er hat uns Kinder auf eine ganz tolle Weise an die Musik herangeführt. Meine Schwester singt im Opernchor in Hamburg, meine anderen Geschwister sind heute noch Hobbymusiker.

Wie sind Sie zum Horn gekommen?

Das war der Egoismus meines Vaters. Er wollte gern ein Bläserquintett gründen, aber es gab keinen Hornisten. Und so bekam ich zu Weihnachten ein Horn geschenkt. Wir haben dann tatsächlich ein Bläserquintett gegründet, mit dem wir auch aufgetreten sind. Und wenn der jetzige Hornist mal ausfällt, kann es passieren, dass ich noch mal mitspiele.

Haben Sie als Kind oder Jugendlicher nie gesungen?

Kaum. Ich hatte mal eine ganz kurze Phase im Kirchenchor, wo ich vom Tenor in den Bariton gewechselt bin, weil mir immer der Hals wehtat. Aber ich habe nur ein Weihnachtsoratorium mitgesungen.

Und Sie haben wirklich nie gemerkt, dass Ihre Stimme eine andere Power hat als andere Stimmen?

Ich merke es ja heute noch nicht. (lacht) Im Studium in Hannover muss man vier Semester im Chor singen, und ich kann mich erinnern, dass sich beim „Wachet-auf“-Chor aus den Meistersingern die Kommilitonen vor mir umgedreht und sich gewundert haben. Aber damals habe ich mir nichts dabei gedacht.

Wenn Sie heute ein Geburtstagsständchen singen, singen Sie mit derselben Stimme wie im Opernhaus?

Das ist derselbe Ansatz, nur pustet man im großen Saal mehr rein, dann wird’s auch lauter. Mittlerweile habe ich gelernt, zu markieren, also mit ganz klein gehaltener Stimme zu singen. Wenn man alle Proben aussingt, ist man bei der Premiere platt. Aber das ist keine andere Stimme, man singt einfach mit weniger Engagement.

Ist es schwer, sich zurückzunehmen?

Außenstehende können schwer nachvollziehen, wie groß das Potenzial dieses Berufes ist, einen aufzufressen. Singen ist das, was man am liebsten tut, und da ist es sehr schwer, sich zurückzuhalten. Singen ist nun mal eine sehr körperliche Angelegenheit, der Körper braucht wie beim Sportler Erholungsphasen, und wenn man die nicht in ausreichender Weise einplant, geht’s an die Substanz. Das Problem ist: Wenn man etwas spürt, ist es eigentlich schon zu spät. Es ist eine Erfahrungssache, wo man mit vollem Engagement reingeht und wo man sich besser zurücknimmt. Das erfordert gerade bei Wagner eine hohe Disziplin. Man ertappt sich immer wieder dabei, dass man sich vorgenommen hat, heute markiere ich mal, und dann übt diese Musik so einen Sog aus, dass man sich doch wieder reinhängt und die Bremse lockert. Das erfordert manchmal wirklich Überwindung.

Seit 2002 singen Sie den Lohengrin – und letzten Sommer in Bayreuth jubelten die Kritiker plötzlich, als wären Sie aus dem Nichts gekommen.

Na, ist doch wunderbar, dass es nach so langer Zeit mit einer Partie noch mal so einen Knall gibt. Ich glaube, ich konnte da auch von der tollen Arbeit mit Hans Neuenfels profitieren, der andere Facetten rausgekitzelt und mich ermutigt hat, intensiv in eine gewisse Richtung zu gehen. Das Schauspielerische schlägt sich ja immer auch stimmlich nieder, man kann eine Dramatik nicht nur spielen, man muss sie auch stimmlich unterstützen. Vielleicht ist meine Stimme aber auch noch einmal gewachsen.

Ist der Lohengrin Ihre Traumrolle?

Das jugendlich-dramatische Fach ist mein Traumfach, das macht riesig Spaß. Der Lohengrin ist eine meiner Traumpartien, er war auch meine Entwicklungspartie, an der ich gemerkt habe, wie es stufenweise weiterging. Und nach Pausen zu dieser Partie zurückzukommen, war immer auch ein Gradmesser, ob die gut verläuft.

Und jetzt liegt eine Zukunft als Wagner-Tenor vor Ihnen?

Ich bin sehr gerne Wagner-Tenor, aber ich möchte mir auch andere Möglichkeiten offenhalten. Meine Stimme ermöglicht es mir, ein bisschen zur Seite zu gehen – wie jetzt mit dem Cavaradossi in der Tosca. Das italienische Fach ist bislang total an mir vorbei gegangen – es hieß immer: deutsche Stimme, deutsches Fach. Dass ich jetzt doch nochmal ins italienische Fach komme, ist sehr reizvoll – ich bin gespannt darauf, wie es wird. Ich denke, im vermeintlich leichteren Fach kann man wieder ein paar andere Farben pflegen, die man auch für Wagner benutzen kann.

Warum präsentieren Sie sich auf Ihrer ersten CD auch mit Lortzing und Flotow?

Um zu zeigen, dass ein Heldentenor auch diese viel lyrischere Farbe singen kann. Ein Heldentenor ist nicht nur der Brüllaffe, der steif vorn an der Rampe steht und Sprechgesang von sich gibt.

Das Schauspielern scheint Ihnen in der Tat zu liegen.

Das war ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung fürs Singen. Ich wusste ja nicht, ob ich mich auf der Bühne wohlfühlen würde, wo man viel mehr von sich preisgibt als im Orchestergraben. Das war schon eine große Überwindung. Aber ich habe schnell gemerkt, dass mir gerade das viel Spaß macht. Zudem hatte ich das Glück, dass mir meine Regisseure in Flensburg viel mehr aufbauende Hilfe gegeben als Angst vermittelt haben. Wichtig für mich ist, auf meine Intuition zu vertrauen und mir eine Offenheit und Natürlichkeit zu bewahren.

Sind Sie deshalb auch Ihrer schleswig-holsteinischen Heimat treu geblieben?

Ich bin ein Kind von der Westküste, das den Wind und das Meer braucht. Wenn ich zu Hause bin, habe ich ja frei, insofern ist mir der Freizeitwert wichtig, und deshalb wohne ich in einer Kleinstadt. Die bietet alles an Infrastruktur, was man braucht.

Auch einen Flugplatz, von dem aus Sie mit Ihrer Cesna zu Ihren Engagements fliegen können?

Soweit es das Wetter zulässt. Der Flugplatz liegt ganz in der Nähe. Nur habe ich keine Cesna, sondern eine Mooney. Die ist ein bisschen schneller.

Album Cover für
Helden. Arien von Wagner, Weber, Lortzing, Mozart, Korngold u.a. Klaus Florian Vogt (Tenor), Orchester der Deutschen Oper, Peter Schneider (Leitung). Sony Classical

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