Startseite » Interviews » Kurz gefragt » „Die klassische Musik ist tot“

KURZ GEFRAGT FRANCESCO TRISTANO

„Die klassische Musik ist tot“

Bach und elektronische Musik? Kein Problem für den Pianisten Francesco Tristano, der als DJ auch in Techno-Clubs auflegt. Hier spricht er über…

vonChristoph Forsthoff,

…Club oder Konzertsaal?

Ich habe da keine Präferenzen, sondern finde gerade die Abwechslung reizvoll. Doch eigentlich ist die Location egal, denn es kommt auf das Publikum an: Man kann auch Clubmusik im Konzertsaal spielen und Barockmusik im Club – entscheidend ist, dass etwas rüberkommt, das Publikum zuhört und auch mitgerissen wird.

…das allzu ruhige Klassik-Publikum

Es muss ja nicht immer gleich zur Revolte kommen, aber wenn ich Reaktionen erzeugen kann, ist das positiv, denn das sind Momente, wo man spürt: Jetzt kommt etwas rüber. Das kann die Stille sein, aber auch die Erregung – im Jazzclub etwa hört man ja oft während eines Stückes auch die Reaktionen. Wobei die Leute natürlich nicht unbedingt aufstehen und zu tanzen anfangen müssen…

…die Furcht des Publikums vor der Moderne

Das ist leider ein Problem der zeitgenössischen klassischen Musik. Ich glaube, die ist schon tot, bereits gestorben – sie ist einfach nicht mehr zugänglich. Wahrscheinlich war sie es noch nie, aber es gab halt immer diese Elite, die das Thema betreut und weitergeführt hat, doch irgendwann mündete auch das in einer Sackgasse. Insofern ist aber auch die klassische Musik tot, denn es handelt sich nur noch um Wiederholungen: Seit 100 Jahren wiederholen wir die altbekannten Werke immer wieder.

…den Sinn klassischer Musik

Anders als etwa in der Architektur, wo es auch darum geht, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu schaffen, hat Musik kein Ziel. Ja, noch nicht einmal einen Sinn, wenn man es so betrachtet wie John Cage, der einmal gesagt hat: Musik ist kein Versuch, Ordnung ins Chaos zu bringen, sondern es geht nur darum, aufzuwachen und zuzuhören und unser Leben zu erleben – das ist der einzige Sinn der Musik.

…seine Begeisterung für Bach

Was mich bei der Barockmusik so treibt, ist der Minimalismus. Das Layout der Musik ist immer sehr einfach: Es ist entweder ein Kontrapunkt, der sehr streng und ganz minimalistisch durchgeführt wird, oder es ist eine Motorik wie bei Bach oder auch Vivaldi. Dieser Rhythmus ist wie eine Art Ur-Techno, ganz ritualistisch in seiner Form – und das hat mich immer schon motiviert.

…das Besondere seiner Konzerte

Die entscheidende Frage ist: Gehe ich ins Konzert mit einer ganz bestimmten Erwartung und möchte ich hören, was ich schon kenne und dann auch beurteilen kann – oder gehe ich ins Konzert und will etwas Neues entdecken, eine neue klangliche Erfahrung machen? Und mein Publikum weiß in der Regel, dass in meinen Konzerten alle Erwartungen nichts bringen, da es höchstwahrscheinlich wieder ganz anders wird als auf meinen vorigen Tourneen. Ich möchte einfach nicht das Ganze noch einmal wiederholen, das ist für mich nicht interessant: Ich schlafe ein, wenn ich immer dasselbe in immer derselben Form spiele.

…seine Vorliebe für kaum bekannte Werke

Der ganze Beethoven für Klavier wurde schon 30-mal aufgenommen – Buxtehude am Klavier wurde bislang noch nicht eingespielt: Das ist für mich ein Plus, denn es gibt keinen Kanon, der jetzt sagt, das hat der doch besser gemacht oder da gibt es doch noch diese Interpretation. Dieses ungeheure Gewicht der Tradition ist nämlich auch ein Problem: Nehme ich Beethoven auf, kämpfe ich eben gegen die 30 Aufnahmen, die es schon gibt – Buxtehude am Klavier ist hingegen ein Neustart. Und kombiniere ich das dann noch wie bei meinem letzten Album mit eigenen Kompositionen oder schlage den historischen Bogen zu Bach, dann ist das wieder interessant für mich: Denn dann kann ich auch mit der Alten Musik etwas aus meiner Zeit transportieren.

…das Komponieren

Schon als Sechsjähriger habe ich Kassetten mit meiner Musik aufgenommen – und die habe ich heute noch. Seit ich Klavier spiele, habe ich auch immer improvisiert und komponiert: Insofern wäre es falsch, mich als Interpret zu sehen und das Komponieren als Ergänzung. Was ja im Grunde „alte Schule“ ist, denn vor allem die Klavierkomponisten waren ja oft zugleich auch Pianisten – Liszt, Chopin, Schumann oder auch Rachmaninow: Die Trennung zwischen Komposition und Interpretation ist also im Grunde anachronistisch. Doch seitdem das Grammophon erfunden wurde, geht es vor allem darum, Musik einzuspielen – und die Interpreten haben sich darauf konzentriert und haben keine Zeit mehr zu komponieren.

Album Cover für
Long Walk Werke von Bach, Buxtehude
und Tristano
Francesco Tristano (Klavier)
Deutsche Grammophon

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!