Mag klassische Klaviermusik eine Kunst für eine kleine Spezies sein, Lang Lang ist längst auch all jenen Menschen ein Begriff, die nie einen Konzertsaal von innen gesehen haben. Denn auf seinem Weg vom chinesischen Wunderkind zum internationalen Starpianisten hat der Musiker stets auch ganz gezielt auf Massenkultur und Massenmedien gesetzt, den gemeinsamen Auftritt mit Elton John oder Robbie Williams ebenso wenig gescheut wie den kurzen Griff in die Tasten bei „Wetten, dass…?“ oder zur Eröffnung der Olympischen Spiele.
Sie spielen 120 bis 150 Konzerte pro Jahr – wird da die Musik nicht zur Last?
Nein, das habe ich noch nie so empfunden. Solch ein ständiges Konzertieren ist einfach ein zentraler Bestandteil im Leben eines Pianisten, wir müssen lernen damit umzugehen, und ich habe mich längst daran gewöhnt. Sowohl an das Tempo, mit dem ich neue Werke einstudiere, als auch daran, sehr viel unterwegs zu lernen – und im Vergleich zu Mozart geht es uns doch noch wirklich gut!
Inwiefern?
Nun, Mozart war fast die ganze Zeit auf Tour. Er hat praktisch alle Werke auf Reisen einstudiert – und er hat auch die meisten Werke unterwegs komponiert! Da haben wir es doch heute sehr viel bequemer: Es gibt nicht nur die sehr angenehme Möglichkeit, mit dem Flugzeug zu reisen, sondern auch wirklich bequeme Autos und Züge. Zudem stehen uns rund um die Uhr MP3 und Smartphones zur Verfügung, wir können uns die meisten Werke auf Youtube anschauen – wenn ich mich da an meine Kindheit erinnere…
…da standen Ihnen all diese Medien nicht zur Verfügung.
Nein, wenn ich mir damals in China etwa Aufnahmen berühmter Pianisten anschauen wollte, musste ich die Videos überhaupt erst einmal bestellen und dann meist lange auf die Kassetten warten. Oder wenn ich eine CD haben wollte, die es in China nicht zu kaufen gab, musste ich versuchen, mir diese über die Universität auszuleihen, was oft sehr lange dauerte – da haben wir es heute doch um vieles einfacher.
Nichtsdestotrotz bleibt für Sie die Herausforderung, im Schnitt jeden dritten Tag ein Konzert spielen zu müssen…
…nicht immer: 2012 habe ich wirklich mal zwei Monate pausiert und Urlaub gemacht…
…ganz ohne Klavier?
Zumindest eine Woche lang habe ich tatsächlich nicht geübt – länger habe ich es dann aber auch nicht ausgehalten. Denn ein Leben ohne Musik ist für mich so langweilig, dass ich unbedingt wieder ans Klavier musste. Doch daneben habe ich mich auch mit Musikerkollegen getroffen, habe einige Zeit mit Nikolaus Harnoncourt verbracht und auch mit Yo-Yo Ma, und mich mit ihnen über Musik, aber auch die Entwicklung des Menschen unterhalten.
Das klingt ja fast nach einem kleinen Sabbatical…
Ja, ich habe einige alte Freunde getroffen und eine wirklich schöne Zeit verbracht. Und ich habe die Olympischen Spiele in London besucht und mir dort neben der Eröffnungsfeier verschiedene Wettbewerbe wie Tischtennis, Badminton und Radrennen angeschaut – das hat wirklich Spaß gemacht. Ja, ich war wirklich sehr glücklich über diese Auszeit.
Trotzdem mochten Sie am Ende dann doch nicht mehr als eine Woche ohne Klavierspiel verbringen…
Ohne Musik fühlt sich mein Leben seltsam leer an – Musik ist für mich wie eine Sprache mit den allerreichsten Ausdrucksmöglichkeiten. Klar ist es wunderschön, wenn man jeden Tag an einem schönen Strand ist, gut speist und sich nett mit Familie oder Freunden unterhält – aber mir fehlt da einfach etwas. Ohne Musik ist mein Leben nicht vollständig, meine Finger beginnen einfach ganz von selbst zu spielen. Schon als ich noch ganz klein war, hat meine Mutter immer gesagt: Irgendetwas ist mit dem Jungen los, wir müssen unbedingt ein Klavier für ihn finden…
Und was möchten Sie im Konzert mit Ihrem Spiel erreichen?
Als Musiker denkt man während der Aufführung nicht über sein Publikum nach – ebenso wenig, wie man ein hübsches Mädchen wahrnimmt, das in dem Moment vielleicht in der ersten Reihe sitzt. Und auch über all das, was man geübt und von anderen Musikern gelernt hat, sinnt man nicht nach: All dies Wissen und die damit verbundenen Emotionen sind im Augenblick des Konzerts vergessen, es geht nur darum, sich ganz dem Moment hinzugeben. Denn wer anfängt nachzudenken, verliert die Musik.
Aber haben Sie denn nicht über das Konzert hinaus den Wunsch, den Menschen mit Ihrer Musik etwas für ihr Leben mitzugeben?
Die Musik ist eine eigene Welt – und entsprechend lässt sich mit dem Gehörten auch nicht nur eine einzige, ganz bestimmte Vorstellung verbinden. So wie ja auch für die Interpretation an sich nicht nur eine einzige Betrachtung existiert, denn Musik entwickelt sich immer weiter. Natürlich gibt es Grenzen auf diesem Planeten Musik, doch ob nun für eine Beethoven-Sonate, bei Chopin oder Schönberg: Immer bietet sich uns ein großer, weiter Gestaltungsraum.
Ein weites Feld, das Sie längst über das klassische Konzert hinaus geführt hat, gelten Sie doch als Popstar der klassischen Musik. Ist die Klassik mittlerweile tatsächlich zu einem Teil des Showbusiness geworden?
Oh nein, ein Konzert ist doch viel, viel mehr als Entertainment! Ich habe niemals gefunden, dass klassische Musik eine Show ist. Musik ist wie eine große Welt mit verschiedenen Interpretationen, und verbunden damit sind die unterschiedlichsten Gefühle – die Klassik allerdings erreicht die Herzen der Menschen viel tiefer und wirkt auch viel länger nach als jedes andere Genre.
Schade nur, dass dies offenbar bei der jüngeren Generation nicht mehr so gut funktioniert.
Mag für die jüngere Generation die erste Annäherung an die Klassik auch schwieriger sein als bei einem Popsong, auf den man meist ganz unmittelbar reagiert: Ich bin überzeugt, dass es trotzdem gelingen kann. Wir müssen da nur auch neue Wege gehen: Nicht mit Blick auf die Musik selbst, aber hinsichtlich neuer kreativer Ideen, wie man diese Menschen ins Konzert locken, sie über die digitalen Medien und Technologien gewinnen kann.
Geht das, ohne der Klassik an sich untreu zu werden?
Es hat ja nichts mit Show zu tun, sondern es geht lediglich darum, die Kids überhaupt zu erreichen. Ich bin wirklich kein Crossover-Pianist, doch manchmal versuche ich einfach Wege zu gehen, die sich unmittelbar an die junge Generation richten: Nicht auf meinen Klavierabenden, sondern mit meinen Aktivitäten im Internet, auf PR-Aktionen oder auch über meine Stiftung. Im Konzert selbst hingegen bleibe ich Traditionalist.
Nun nutzen Sie nicht nur das Internet, sondern auch das Fernsehen, um für die Klassik zu werben. Doch lässt sich mit einem Auftritt in einer TV-Show wie „Wetten, dass…?“ wirklich der tiefere Sinn von Klassik vermitteln?
Natürlich lässt sich in solch einer Sendung nichts vertiefen, denn ein Auftritt am Klavier dauert dort maximal fünf Minuten. Gut sind TV-Shows allerdings, um einen kleinen Einblick in das Wirken eines Künstlers zu vermitteln und in das, was dieser am meisten liebt – nämlich das Klavierspiel und die Hingabe an die Musik.
Und das genügt Ihnen?
Das Entscheidende ist, dass solch eine Begegnung gerade bei jungen Fernsehzuschauern überhaupt erst einmal das Interesse für die Klassik wecken kann. Vielleicht lädt sich der Jugendliche anschließend das Werk im Netz herunter oder wird auf ein Konzert aufmerksam, wo eben dieses Werk oder auch der Künstler zu erleben sind. Und auf einmal sitzt der Junge oder das Mädchen in einem klassischen Konzert und entdeckt seine Begeisterung für diese zuvor völlig fremde Musikwelt.
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