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Lausitz Festival 2021 | Interview Daniel Kühnel

„Eure Region gibt das her!“

Daniel Kühnel ist seit 2004 Intendant der Hamburger Symphoniker und leitete bereits viele internationale Festivals. Der Regisseur, Jurist, Musikwissenschaftler und Pianist hat jüngst in der Lausitz ein europäisches Festival initiiert und schwärmt von noch unbekannten Kleinoden im Dreiländereck.

vonSusanne Bánhidai,

Was hat Sie gereizt, die Leitung des Lausitz Festivals zu übernehmen?

Ich war seit 2015 immer mal wieder in der Planung und Initiierung von Kunstfestivals involviert, etwa in Jerusalem, London oder Berlin. Bei einem Festival der Staatlichen Kunsthalle Dresden habe ich die Gegend östlich der Stadt kennengelernt und zwei Jahre später zum ersten Mal Görlitz besucht. Dort habe ich etwas entdeckt, das mich wirklich umgehauen hat, nämlich eine große Konzerthalle. Sie wurde 1910 erbaut, war bis 2005 in Betrieb und wurde dann stillgelegt. „Stadthalle Görlitz“ klingt provinziell und nüchtern, dabei haben dort 1.800 Leute Platz. Die Halle wird wieder hergerichtet, und dieser Vorgang der Erneuerung steht für vieles, was mich reizt. So ist die Idee entstanden, in dieser Region ein europäisches Kunstfestival zu machen und ein Europa zu denken, das auf Kunst basiert und nicht so sehr den politischen oder ökonomischen Zusammenhalt in den Vordergrund rückt.

Warum gerade die Lausitz, was ist das Besondere an diesem Landstrich?

Zunächst fällt auf, dass es hier kein großes Zentrum gibt. Neben den Einzugsgebieten um Görlitz, Bautzen und Hoyerswerda ist die Gegend eher dezentral strukturiert. Das ist Chance und Herausforderung zugleich. Diese Region befindet sich unter anderem durch die Abkehr vom Braunkohleabbau im Strukturwandel und lädt zu Wandlungsprozessen ein. Unser letztes Festival-Motto war die Idee der Metamorphose – wir verändern uns, um weiter zu bestehen. Außerdem befindet sich die Lausitz im Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik, ist aber auch innerhalb Deutschlands keine einheitliche Region. Die Lausitz bietet die Chance, Ost und West wieder in eine neue Balance zu bringen. Durch die politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ist die Trennung in diese Pole in unsere Kultur übergegangen. Das ist schade, denn vor hundert Jahren war es selbstverständlich, als Pariser Aristokrat auf der Krim Urlaub zu machen oder aus St. Petersburg nach Bad Soden zur Kur zu fahren. Das alte Schlesien ist der Beginn eines kulturell-ökonomischen Gürtels, der früher bis ans Schwarze Meer reichte. Hier befand sich auch ein Kern des jüdischen Lebens, das wir dieses Jahr besonders würdigen. Vieles, was Europa toll machen kann, müssen wir wieder mitdenken, auch wenn es verschwunden ist. Dafür bietet das Lausitz Festival einen Anlass. Es geht darum, die Lausitz als europäische Region ins Bewusstsein zu bringen. Das Festival soll die Erneuerung der Region begleiten und so auch ein Impuls für die Erneuerung Europas sein. Es ist ein Festival, das etwas bewirken möchte.

Wie kam es zur Gründung dieses Festivals, wer hat die Initiative ergriffen?

Die Initiative ging von mir aus, aber das würde alleine nichts bedeuten. Es gab viel Unterstützung vom Bund, der eine gute Startsumme zur Verfügung gestellt hat. Das Land Brandenburg und das Land Sachsen sind ebenfalls mit im Boot, beide Ministerpräsidenten sind Schirmherren. Wir arbeiten eng mit regionalen Playern zusammen wie der Stadt Görlitz und der Stadt Cottbus. Der künstlerische Beirat besteht aus Intendanten-Kollegen vieler Sparten vor Ort, die unsere Arbeit glücklicherweise stark unterstützen und mitprägen.

Noch ist die Zukunft des Festivals von Jahr zu Jahr neu zu bewerten?

Veranstalterin des Festivals ist zur Zeit die Kultur-Service-Gesellschaft der Stadt Görlitz mit den Mitteln der Länder und des Bundes. Wir arbeiten jetzt an festen Strukturen, um das Weiterbestehen des Festivals zu gewährleisten. Wir freuen uns aber sehr, das Festival dieses Jahr zum zweiten Mal ausrichten zu können.

War die Premiere 2020 unter Pandemie-Bedingungen ein holpriger Start?

Verwaltungstechnisch bedingt hatten wir einen kurzen Planungsvorlauf – dann kam auch noch Corona. Trotzdem hatten wir unendliches Glück. Das Festival fand genau in den Wochen mit den niedrigen Inzidenzen statt. Auch schon letztes Jahr hatten wir das Festival den Hygienebestimmungen angepasst: reduziertes Publikum, Masken und tägliche Testungen des Teams. Das hat sehr gut funktioniert. Corona war vielleicht ein atmosphärischer Dämpfer, aber von den Publikumszahlen insgesamt waren wir positiv überrascht. In Cunewalde – nicht gerade New York City – konnten wir keine Menschen mehr in die Kirche lassen. Das Publikum war sehr dankbar. Dieses Jahr sind wir wieder bestens vorbereitet und noch früher dran.

Intendant der Symphoniker Hamburg Daniel Kühnel
Intendant der Symphoniker Hamburg Daniel Kühnel

Wie fügt sich das Festival in die heterogene Lausitz ein?

Es ist selbstverständlich unser Wunsch, in Polen und in der Tschechischen Republik zu veranstalten. Durch Corona war es bisher unmöglich, die Restriktionen waren in Polen sehr viel strenger. Daher bleibt das Festival dieses Jahr wieder in Brandenburg und Sachsen. Die Friedenskirche Jawor gehört definitiv als Ort zum Lausitz Festival. Die Parklandschaften wie der Fürst Pückler Park Branitz reichen nach Polen hinein. Die ganzen Städte zwischen Prag und Görlitz kennt man in Deutschland fast nur aus reaktionären Kreisen. Sie erzählen aber eine europäische Geschichte, und wir vergeben uns ein Stück unserer Erinnerung, wenn wir sie nicht in diesem Kontext sehen. Piotr Anderszewski macht ein Konzert, das in Görlitz beginnt und dann über die Brücke nach Polen wandert – samt Publikum.

Das Motto ist „Zwischensamkeit“. Wie kam diese Wortschöpfung zustande?

Das ist das Ergebnis eines Brainstormings zwischen mir und unserem Chefdramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach. Wir wollten in diesem Jahr den Zustand zwischen den Dingen beleuchten, wir hätten auch Schwelle oder Übergang sagen können, aber beide Wörter erschienen uns zu richtungsweisend. Wir suchten nach einem Begriff für einen Zustand. Man ist nicht mehr da, wo man herkommt, aber auch noch nicht da, wo man hin will, wenn man das überhaupt weiß. In diesem Zustand ist aber auch vieles möglich, zum Beispiel das Erleben von Kultur und das Nachdenken. Das können uns Politiker und Ökonomen nicht gänzlich abnehmen, es bedarf des Künstlerischen.

Was erwartet die Besucher beim Festival?

Trotz der großen Namen wie Gidon Kremer, Martha Argerich oder Elina Garanca ist das Festival kein reines Klassik-Spektakel, sondern ein Mehrspartenfestival. Drei große Originalproduktionen können wir dieses Jahr in unserer Theatersparte stattfinden lassen. Von der Oper haben wir bisher wegen der langen Vorläufe Abstand genommen. Eine kleinere Musiktheater-Produktion realisieren wir in Bautzen, mit einer Reflektion über Freiheit im “Gelben Elend“, dem „Stasi-Gefängnis“ der Stadt. Der Jazz ist ebenso prominent vertreten wie die klassische Weltmusik. Und John Zorn kommt in die Lausitz. Besonders stolz sind wir auf die Liederabendreihe, die es in diesem Volumen so mittlerweile nur noch selten gibt. Für unsere Ausstellung arbeiten wir mit der Staatlichen Kunsthalle Dresden zusammen und erhielten eine Schenkung der Sammlung Hoffmann.

An wen richtet sich das Festival, wen laden Sie ein?

Jeder kann hier auf seine Kosten kommen. Wir legen großen Wert darauf, dass wir die Bevölkerung vor Ort ansprechen und einbinden. Zum Beispiel findet unsere Filmreihe unter freiem Himmel statt, aber auch im „Dorf-Kino“ mit großen Fernsehern in lokalen Kneipen. Unsere Gesprächsreihen sollen Reflexionszonen und Denkräume über Themen werden, die die Bevölkerung bewegen. Daher sind es auch keine Podiumsdiskussionen, sondern überwiegend Begegnungen mit den Lausitzern.
Für Auswärtige gibt es unendlich viel zu entdecken und für die Menschen vor Ort noch viele Möglichkeiten. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in Bezug auf den Austausch mit der Welt. Hier gastieren Künstler, für die man sonst lange reisen müsste. Wir sagen damit: Eure Region gibt das her. Natürlich soll auch der Tourismus erblühen und die eigene Region als Naherholungsgebiet entdeckt werden.

Was würden Sie da besonders hervorheben?

Die Landschaftsparks dort sind atemberaubend, die Städte einzigartig. Görlitz hat einen spätmittelalterlichen Kern und drumherum das größte zusammenhängende Jugendstil-Ensemble hinter Prag. Wenn die Sonne scheint und man sitzt auf dem Marktplatz, wähnt man sich in der Toskana. Bautzen klingt für unsere Ohren immer so trostlos, liegt aber selten schön. Die Dynamik der Universitätsstadt Cottbus zu erleben ist genauso inspirierend wie ein Besuch der größten Dorfkirche Europas, Cunewalde. Historisch Interessierte können auf den Spuren Lessings wandeln, Schlösser entdecken, die Tagebaulandschaft besichtigen und sich an einem der vielen Seen ausruhen. Die urbanen Zentren wie Dresden, Prag, Breslau oder Posen sind wenige Autostunden entfernt. Das Lausitz Festival selbst ist allerdings auch eine Reise wert.

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