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Interview Leonidas Kavakos

„Viele Talente werden in Griechenland verschwendet“

Der Geiger Leonidas Kavakos über den Zweck der Kunst, den Erfolg von David Garrett und die griechische Misere

vonChristian Schmidt,

Leonidas Kavakos gehört zur ersten internationalen Garde der nicht mehr ganz jungen Geigergeneration. Er hat sich längst alle Konzertpodien dieser Welt erspielt, inzwischen dirigiert er auch. Beim Frühstück im Berliner Grand Hyatt offenbart er die Weisheit eines vollkommenen Musikers.

Herr Kavakos, zuletzt haben Sie Brahms und Bartók eingespielt, widmen sich aber auch zeitgenössischer Musik –Ihr Repertoire ist sehr breit. Welche Epoche mögen Sie am liebsten?

Das kann ich Ihnen nicht beantworten.

Warum nicht?

Sie fragen einen Vater, welches Kind er am liebsten hat.

Dann versuchen wir die Wertung auf einem anderen Gebiet: Wie wichtig ist Ihnen die Kammermusik?

Sie ist für mich völlig gleichwertig. Das Repertoire für die Violine ist riesig, und es hat mich geprägt, als ich jung war. Ich würde nicht sagen, ich hätte alles gespielt, aber fast. Alles außer Streichquartett.

Wieso haben Sie das außen vor gelassen?

Streichquartette finden in einer eigenen Welt der absoluten Übereinstimmung statt. Dafür braucht es sehr viel mehr Zeit und auch mehr Hingabe.

Fühlen Sie eine Verantwortung für zeitgenössische Musik?

Nein. Komponieren ist kein Selbstzweck, sondern sollte einen nachhaltigen Wert haben. Leider haben nicht sehr viele Leute dieses Talent, komponieren aber trotzdem. Wir leben in einer anderen Epoche als Bach, unsere Zeit kennt wenig Ästhetik, und das spiegelt sich in der Musik wider. Häufig klingt zeitgenössische Musik wie ein organisiertes Chaos.

Und das finden Sie sinnlos?

Das sage ich nicht, aber als ausführender Künstler unterwerfe ich mich keiner Doktrin, die da meint, ich müsse diese Musik mögen. Ich empfinde also keine grundsätzliche Verantwortung für die Zeitgenossen, sondern für meine Auswahl. Und wenn ich ein modernes Stück für gut halte, dann stimmt es wieder für mich. Ich habe einige Sachen uraufgeführt, aber ich betrachte das nicht als meine Hauptaufgabe. Neue Stücke einzustudieren, ist ja wie ein Blind Date zu haben: Sie wissen nicht, was auf Sie zukommt, müssen es dann aber durchziehen. Ich mag generell keine Blind Dates.

Was muss Musik in Ihren Augen können?

Sie ist nicht dafür da, uns zu amüsieren. Sie ist nur gut, wenn sie Gefühle transportiert. Man ist jeden Tag in einer anderen Verfassung, manchmal aggressiv, manchmal gelöst, manchmal ungeduldig. Kunst im Allgemeinen muss all diese Gefühle ausdrücken können.

Bach zum Beispiel lebt aber nicht von Emotionen, er beeindruckt durch seine Architektur, oder?

Das darf man nicht trennen. Die architektonische Meisterschaft ist ja kein Selbstzweck. Die musikalische Struktur ist nur ein Mittel.

Wenn Sie meinen, dass Musik nicht nur zum Vergnügen da ist, was halten Sie dann von Crossover-Projekten?

Wir leben in einer Zeit ästhetischer Verwirrung. Insofern führt Crossover völlig in die Irre. Das ist eine Annäherung an das Publikum, die sehr auf Personen zentriert ist. Ich kann das nicht nachvollziehen, Musik zur Selbstprofilierung zu betreiben. Das bedeutet doch, sie zu missbrauchen.

Ihr Geigenkollege David Garrett ist damit sehr erfolgreich.

Ja, so wie Coca-Cola. Aber was ist die Botschaft? Für mich ist wichtig, dass das Publikum die Musik versteht. Crossover ist eine Marke, die man konsumiert – Erkenntnis gewinnt man dadurch nicht. Ich spiele ja keine eigene Musik, sondern ich habe ihr zu dienen. Im Griechischen gibt es für Interpretation ein wunderbares Wort: ermenia. Darin steckt Hermes, der Götterbote. Das ist sehr wichtig zu verstehen, dass nicht der Interpret das Wesentliche ist, sondern die Botschaft des Komponisten.

Dafür müssen Sie das Stück zunächst selbst verstehen.

Natürlich. Dafür müssen Sie Instinkt und Intellekt kombinieren und das Stück wirklich studieren, bevor Sie es aufführen.

Ist so auch Ihr Bonmot zu verstehen, Virtuosität werde missverstanden?

Das Wort kommt von virtus, und das bedeutet Tugend. Virtuosität hat nichts mit sehr schnell spielen zu tun. Es bedeutet, die Musik so darzubieten, dass das Publikum drumherum Zeit und Raum vergisst. Dass es ein Stück auch aus seiner Geschichte heraus begreift. Zum Beispiel Dutilleux fiel ja nicht vom Himmel, in seinem Werk finden Sie den gesamten musikhistorischen Hintergrund, vor dem man ihn verstehen muss. Wissen Sie, ein Konzert bedeutet doch nicht, sich wie im Restaurant in der Erwartung hinzusetzen, ein nettes Steak zu essen. Kunst ist generell nicht zur Entspannung oder zur Unterhaltung geeignet. Dafür geht man in die Bar. Kunst ist, die Seele zu bilden.

Sie kommen gern auf Griechenland zurück, die Wiege unserer Kultur. Wenn Sie an die jetzigen politischen Zustände denken, bekommen Sie da Angst?

Die griechische Kultur ist in Gefahr. Alle großen Werte des Lebens ordnen sich einer finanziellen Funktionalität unter. Hier zeigt sich ein Ergebnis der Wachstumsideologie. Man will von allem mehr: Frieden, Geld, Macht. Kunst kann uns lehren, dass all das seine Grenzen hat. Da ist Kunst politisch, in erster Linie.

Kann es Zufall sein, dass Sie der einzige griechische Musiker von internationaler Bekanntheit sind?

Griechenland ist ein kleines Land, hat aber viele Talente. Das Bildungssystem aber erkennt sie nicht, viele werden verschwendet. Ich hatte Glück, weil meine Eltern mich sehr unterstützt haben – und weil ich das selbst wollte.

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